Mindset

Unzufriedenheit: Warum wollen wir immer mehr?

Julia Großmann

Was auch in deinem Leben passiert, das Gefühl von Unzufriedenheit begleitet dich stets und geht nicht weg? Erfahre, wieso wir unzufrieden sind und was dagegen hilft.

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Der Traumjob, eine glückliche Beziehung, die neue Wohnung,… wenn ich DAS erreicht habe, DANN bin ich endlich glücklich, dann bin ich endlich zufrieden. Ach ja? Wem kommt das bekannt vor?

Oftmals leben wir so sehr mit unseren Gedanken und Erwartungen in der Zukunft, dass wir den gegenwärtigen Moment verpassen. Wir sind nie zufrieden, wir wollen immer mehr oder das, was wir gerade nicht haben. Im Irrglauben, dass uns das dann endlich die Zufriedenheit bringt, die wir aktuell missen.

Doch das ist der völlig falsche Ansatz. Natürlich ist es gut und wichtig, Ziele zu haben, sich auf diese zu freuen und darauf hin zu arbeiten. Doch gleichzeitig sollten wir wieder lernen, im Hier und Jetzt zu leben und für den Augenblick dankbar zu sein. Das ist nicht einfach. Es scheint fast so, als hätten wir verlernt, die kleinen Dinge in unserem Leben zu schätzen. Vielmehr sind wir damit beschäftigt, unseren hohen Erwartungen gerecht zu werden. Diese sind aber vielleicht nur die Projektion der Bedürfnisse anderer.

Dr. Karsten Wolf, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und ärztlicher Leiter der Libermenta Klinik Schloss Gracht, erklärt, woher diese permanente Unzufriedenheit kommt und was wir dagegen tun können.

Wie zeigt sich Unzufriedenheit?

„Unzufriedenheit äußert sich in Mimik, Gestik und Kommunikation in einer Art und Weise, die dein Gegenüber eher „abschreckt“, also „auf Distanz hält“. Das führt dazu, dass die Unzufriedenheit bestätigt und verstärkt wird“, erklärt Dr. Wolf.

Bist du stets unzufrieden, so fühlst du dich selbst vermutlich träge, überfordert oder innerlich unruhig. Wer unzufrieden ist, jammert außerdem gerne. Permanente Unzufriedenheit kann sich auch auf deine Gesundheit auswirken. So können im schlimmsten Fall psychische Probleme und körperliche Beschwerden auftreten.

Wer unzufrieden ist, dem ist das auch äußerlich und durch das Verhalten anzusehen. Welche Folgen das für zwischenmenschliche Beziehungen hat, weiß Dr. Wolf: „Ein Überwiegen negativer Emotionsausdrücke wie das Rümpfen der Nase und Sorgenfalten zwischen den Augenbrauen führen beim Gegenüber zu Distanzierung. Das wiederum verstärkt die erlebte Unzufriedenheit … ein „Ärger-Ausdruck“ in Mimik und Gestik leitet sich genauso wie der Ausdruck von Wut, Ekel und Verachtung vom Grundgefühl der Aggression ab – evolutionsbiologisch ein Warnsignal von potenzieller Gefahr, das beim Gegenüber zu vorsorgender Distanzierung führt.“

Unrealistische Erwartungen? Das führt zu Unzufriedenheit

Was ist der Grund, warum du dich ständig unzufrieden fühlst? Dr. Wolf erklärt die Ursachen von ständiger Unzufriedenheit. Hohe Erwartungen, aber auch Prägungen aus der Kindheit können eine Rolle spielen.

„Unzufriedenheit ist das Gegenteil von Zufriedenheit und kann als Kluft zwischen den eigenen Erwartungen, Wünschen und Vorstellungen und der erlebten Wirklichkeit verstanden werden. Je ausgeprägter der Unterschied, desto ausgeprägter die Unzufriedenheit. Je festgefahrener die Erwartungen und Wünsche, desto unveränderbarer und chronischer ist die Unzufriedenheit. Die Ursache für diese Unstimmigkeit von Erwartungen und Realität liegt in der Persönlichkeit des Einzelnen, also in angeborenen Persönlichkeitsmerkmalen (Temperament) und in Kindheitsprägungen (Charakter).“

Persönlichkeitsmerkmale seien z. B. „ängstlich-zwanghafte Anteile“. Diese können nur schwer verändert werden. Eine Lösung liege in der „Passform“: „In Köln sagt man „jede Jeck is anders“ und akzeptiert damit das Anderssein. Jeder Mensch ist frei, sich seine passende Umgebung auszusuchen, manchmal ist es dazu notwendig, Erwartungen und Hoffnungen an eine bestimmte Umgebung aufzugeben und sich eine für das eigene Temperament passende Umgebung zu suchen.

Charaktereigenschaften wiederum können durch Beziehungserfahrung verändert werden. Doch Traumatisierungen, insbesondere in der Kindheit (unsichere Bindung, Missbrauchserfahrung etc.), können sich sehr negativ auf das Grundvertrauen auswirken. Die unsichere Bindung bleibt bis ins Erwachsenenalter. „Zufrieden ist, wer frei ist - frei ist, wer sicher gebunden ist“ – im Erwachsenenalter meint die sichere Bindung eine innerliche Sicherheit in Bindungen, was den Einzelnen frei macht, glückliche Beziehungen zu führen und sich zufrieden in der Welt zu bewegen.“

Ob wir zufrieden sind, hängt also mit den Erfahrungen, die wir machen, und den Erwartungen, die wir haben, zusammen. Häufig sind diese Erfahrungen und Erwartungen mit elementaren Lebenssäulen wie Beruf, Liebe und Selbstwert verknüpft. Kommen Unzufriedenheit im Job, in Beziehungen und im Leben allgemein zusammen, ist das Gefühl überwältigend. Wer unzufrieden ist, hat oftmals auch Angst vor einer Veränderung. Doch genau die ist notwendig, damit du zufrieden werden kannst. Wichtig ist, einen Schritt nach dem anderen zu gehen und so den Druck aus der aktuellen Situation zu nehmen.

Chronische Unzufriedenheit: Kann ich niemals glücklich werden?

Doch ab wann kann man bei der eigenen Unzufriedenheit von einer chronischen sprechen und ist diese nicht lösbar? „Je starrer die Erwartungen, desto unveränderbarer und chronischer ist die Unzufriedenheit. Chronische Unzufriedenheit wird durch die Faktoren „Dauer“ und „Rigidität“ (= starres Festhalten) bestimmt. Dementsprechend braucht es auch länger, um zufrieden zu werden.“ Aber es ist natürlich möglich.

Tipps für mehr Zufriedenheit: Was mache ich gegen Unzufriedenheit?

Zunächst ist es wichtig zu erkennen, woher die Unzufriedenheit kommt. Gleichzeitig ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, wofür man dankbar sein kann. Wenn du es schaffst, deinen Fokus mehr auf die positiven Aspekte deines Lebens zu lenken, dann fühlst du dich automatisch zufriedener.

Unzufriedenheit ist oftmals auch eine Folge von gesellschaftlichem Druck. Der ständige Vergleich mit anderen führt dazu, dass du den Fokus auf dein eigenes Leben aus den Augen verlierst. Schaffst du es, dich davon freizumachen, verändert sich auch das Gefühl. Hörst du zum Beispiel auf, dich mit anderen zu vergleichen und strebst nicht länger nach Perfektionismus, wirst du feststellen, dass du zufriedener wirst. Frage dich, was dich wirklich glücklich machen würde. Ganz unabhängig davon, was du glaubst, erreichen zu müssen. Nur weil viele Menschen eine Beziehung führen möchten, heißt das nicht, dass du auch eine*n Partner*in brauchst, um glücklich zu sein. Genauso solltest du nicht irgendeinen Job machen, von dem du glaubst, dass er bei anderen für Ansehen sorgt, obwohl er dir vielleicht gar keinen Spaß macht.

Zufriedenheit kannst du aber auch erreichen, indem du deinen Körper austrickst. Dr. Wolf hat diesen Tipp für dich: „Lächeln üben! Stelle dich vor den Spiegel und registriere, wie dein Gesicht aussieht, wenn es uneingeschränkt offen lächelt. Ziehe die Mundwinkel nach oben, der Mund kann sich leicht öffnen und die Augen können weit geöffnet werden, keine anderen Muskeln dürfen aktiviert sein! Sind andere Muskeln auch nur leicht mitaktiviert, drückt sich ein „Maskiertes Lächeln“ aus (Der Ärger-Ausdruck wird durch ein Lächeln maskiert), der vom Gegenüber zumindest unbewusst registriert wird und auch wieder zu tendenzieller Distanzierung führt. An sich selber kann man das ausschließliche Lächeln daran erkennen, dass sich nach wiederholten Lächel-Übungen eine tatsächliche Freude einstellt.“

Je stärker die Unzufriedenheit ist, desto schwerer ist es natürlich, diese aufzulösen. Wenn du das Gefühl hast, dass du aus diesem Gefühlszustand nicht herauskommst, empfiehlt Dr. Wolf Unterstützung: „Ist die Unzufriedenheit so ausgeprägt, dass das eigene Erleben erheblich beeinträchtigt ist, das Leiden sehr groß wird und Symptome im Sinne psychischer Erkrankung entstehen (Depressionen, Ängste, Zwänge etc.), so ist es ratsam, sich z. B. in eine psychotherapeutische Behandlung zu begeben.

Artikelbild und Social Media: Emir Memedovski/iStock