Corinna Hansen-Krewer: Fehlgeburten sind keine Fehler - Gebt den Sternenkindern mehr Raum
Der Verlust eines Kindes gehört zu den schmerzvollsten Erfahrungen im Leben. Corinna Hansen-Krewer hat ein Buch über Sternenkinder geschrieben. Sie weiß genau, wovon sie spricht.
"Ich wusste, es gibt nur zwei Wege: Ich gebe auf und will nicht mehr leben oder ich finde einen Grund, weiter zu machen", sagt Corinna Hansen-Krewer. Im April 2017 verändert ein Moment das komplette Leben der damals 33-Jährigen. Sie erfährt, dass ihr Sohn Jonathan nicht mehr lebt. Da ist sie im zehnten Schwangerschaftsmonat, zwei Wochen vor dem Geburtstermin. "Es fühlte sich an, als hätte mir jemand mein Herz herausgerissen", erzählt sie im Interview mit Wunderweib.
Corinna Hansen-Krewer: Ein Buch über stille Geburten
Vier Jahre später ist alles anders – auch die junge Mutter selbst hat sich verändert. Die Erfahrungen, die sie gemacht haben, haben sie geprägt und dafür gesorgt, dass sich die Autorin viel mit dem Thema Sternenkinder beschäftigt hat. Dabei ist sie auf Missstände gestoßen, die sie in ihrem Buch "Stille Geburten sind auch Geburten und Sterneneltern sind auch Eltern" aufgreift. Ursprünglich habe sie ihre Geschichte niederschreiben wollen, doch dann seien so viele Mütter mit ihren teils schrecklichen, teils guten Erfahrungen auf sie zugekommen, die einfach gehört werden wollten. Auch Hebammen und Krankenschwestern hätten sich bei ihr gemeldet. Kurz danach steht der Entschluss fest: Die Autorin setzt sich an ein Buch, das nicht nur zu Jonathans Vermächtnis wird, sondern auch zeigt, was in Deutschland bezogen auf Sternenkinder und ihren Eltern alles falsch läuft.
Corinna Hansen-Krewer erinnert sich noch genau an dem Moment, als ihr Mann und sie selbst zu Sterneneltern wurden. Im Krankenhaus wurde ihr Sohn durch chemisch eingeleitete Wehen auf natürlichem Weg zur Welt gebracht. Die 37-Jährige beschreibt die Geburt als besonders schmerzvolle Erfahrung, doch Hebamme und Ärzte gaben ihr und der Familie das Gefühl, wichtig und aufgehoben zu sein. Neben der Traurigkeit angesichts des Abschiedes habe sie auch Dankbarkeit gespürt, ihr Kind nun endlich in den Händen halten zu können. Obwohl der Schock tief sitzt, will die junge Mutter es erneut versuchen, der Wunsch nach einem weiteren Geschwisterkind für ihren Sohn Benedikt ist groß. "Sehr schnell war uns bewusst, dass wir weitermachen wollen. Bei der Geburt habe ich gesagt: ‚Ich kriege nie wieder ein Kind.‘ Nachmittags danach habe ich dann gesagt: Wann machen wir weiter?“, erzählt sie.
Corinna Hansen-Krewer will über das Thema Sternenkinder aufklären
Doch der Schmerz über den Verlust des Kindes, er setzt sich fort – und wird noch größer. Vier Monate nach der Totgeburt wird Corinna Hansen-Krewer erneut schwanger, doch die eineiigen Zwillinge schaffen es nicht. Wenig später verliert sie ein weiteres Baby in der sechsten Schwangerschaftswoche. "Es war wie Augen zu und durch. Ich will ein Kind, ein lebendiges Kind gebären. Mit mir war in der Zeit nichts anzufangen. Ich hatte nur meine Kinder im Kopf, habe alles ausgeblendet, war oft krankgeschrieben und bin gerannt, bis ich dann irgendwann unser Regenbogenbaby eineinhalb Jahre später lebend und schreiend im Arm halten durfte“, erinnert sich die Autorin. Im Herbst 2018 kommt ihre Tochter Maria zur Welt.
Bis dahin haben die Mutter und ihre Familie viel Leid erfahren müssen – und auch Kritik zu hören bekommen. "Uns wurde sehr viel Liebe zu teil. Es gab aber auch Leute, die nicht mehr gegrüßt haben oder die Straßenseite gewechselt haben, sich eingemischt haben in unseren Weg. Die haben dann Dinge gesagt wie: ‚Ihr habt doch jetzt schon Unglück, muss das nächste Unglück gleich hinterher?‘“, erzählt sie. Und noch eine Begegnung sei ihr ganz besonders in Erinnerung geblieben. "Als ich mit schwangerem Bauch auf dem Friedhof stand, sagte eine fremde Frau zu mir: ‚Jetzt ist ja alles wieder in Ordnung.‘"
Eltern von Sternenkindern erleben auch psychische Gewalt
Erlebnisse wie diese entsetzen Corinna Hansen-Krewer – und zeigen ihr, wie überfordert die Gesellschaft noch immer mit dem Thema Sternenkindern zu sein scheint. Ihr Ziel ist es deshalb, aufzuklären, Dinge sichtbar zu machen. Das beginnt schon mit der Sprache, verrät sie. "Ich sage immer Kleine Geburten statt Fehlgeburten, weil es kein Fehler ist. Ich und mein Bauch, wir sind kein Fehler!“ Doch nicht nur hier sieht sie Nachholbedarf – auch der Umgang des medizinischen Personals mit den Sterneneltern ist ein Problem. Das musste die Autorin auch bei ihren eigenen Fehlgeburten feststellen. "Als klar war, dass kein Herzschlag mehr da ist, wollte mir der Arzt direkt die Überweisung für die Ausschabung ausstellen. Da bin ich aus allen Wolken gefallen. Warum sollte ich mich operieren lassen? Das ist ein natürlicher Vorgang, der mir bevorsteht – genauso wie die Totgeburt“, erzählt sie.
Später im Austausch mit anderen Frauen, habe sie dann gemerkt, dass alternative Wege von den Ärzten kaum aufgezeigt werden – obwohl dies durchaus möglich sei. "Ich war überzeugt, dass mein Körper das kann und das war auch so. Ich habe abends auf der Couch die Hände auf den Bauch gelegt und mich von meinen Kindern verabschiedet. Das hatte keine zwei Minuten gedauert und es fing an. Ich habe dann Wehen bekommen, bin zur Toilette und dann diesen letzten Weg gemeinsam mit meinen Kindern gegangen“, erinnert sie sich.
Stille Geburt: Frieden finden in einem liebevollen Abschied vom Sternenkind
Hinzukommt, dass von vielen Ärzten, so Corinna Hansen-Krewer, Druck aufgebaut haben und Ängste bei den Schwangeren geschürt werden. Horror-Sätze wie ‚Du kannst von der natürlichen Geburt eine Sepsis bekommen‘ und ‚Du kannst danach nie wieder Kinder bekommen, weil du deine Gebärmutter verlieren wirst‘ seien keine Seltenheit. Und dann sind da noch die gewaltvollen Erfahrungen, die einige Sterneneltern erleben müssen. "Wenn du der Sternenmutter sagst: ‚Du bist in der 18. Woche, darfst aber erst in der 20. Woche in den Kreissaal rein und jetzt gebärst du hier vor dem Kreissaal zwischen Getränkeautomaten dein Kind‘, dann ist dies psychische Gewalt!“
Corinna Hansen-Krewer: "Es ist mein Leben, mein gebrochenes Herz"
Corinna Hansen-Krewer sieht, was alles fehlt und steht anderen Frauen bei ihren kleinen Geburten bei. Um sich noch mehr Wissen anzueignen, lässt sie sich zur Doula - einer nichtmedizinische Geburtsbegleiterin - ausbilden. "Durch mich haben die Frauen die Chance, die Zeit mit dem Kind zu nutzen“, verrät die 37-Jährige. Sie schlage den Eltern zum Beispiel häufig vor, Schwangerschaftsfotos zu machen, Erinnerungen zu schaffen und Verabschiedungsrituale auszuprobieren. "Dem Sternenkind einen Platz, eine Wertigkeit geben. Warum muss diese Phase denn so negativ behaftet sein? Sie darf traurig sein, aber sie darf dich auch stärken“, betont sie.
Ihre eigene Geschichte in die Öffentlichkeit zu tragen, davor habe sie nie Angst gehabt, erzählt die junge Mutter. "Ich glaube, das hat damit zu tun, dass meine Mutter sich umgebracht hat, als ich 20 war. Sie hat mir als ganz großes Vorbild gezeigt, wie es eben nicht gehen soll. Dass man Dinge nicht in sich reinfressen darf und daran zugrunde geht. Das war der entscheidende Ratgeber für mich. Es ist mein Leben, mein gebrochenes Herz. Für mich gibt es keine andere Möglichkeit als darüber zu sprechen, denn ansonsten ändert sich nichts.“ Der Verlust ihrer Kinder habe sie verändert und zu der Person gemacht, die sie heute ist, betont Corinna Hansen-Krewer. Sie sind der Grund dafür, dass die Autorin heute dafür kämpft, dass auch andere Sterneneltern die Erfahrungen machen dürfen, die sie bei ihren stillen Geburten erleben durfte. Weil eine emotionale Begleitung dieser Geburten so wichtig sei, arbeitet die Autorin gerade daran, ab Herbst eine Fortbildung für medizinisches Personal, aber auch für Doulas anbieten zu können.
Artikelbild und Social Media: www.the-artwork-by-lucie.de/ www.soul-feelings.de
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