"Der Weihnachtsmann bringt die Geschenke": Darf ich meine Kinder anlügen?
Ob Weihnachtsmann oder Christkind - am Ende sind es nicht sie, die die Geschenke bringen. Ist es okay, meinen Kindern wissentlich eine Lüge aufzutischen?
Jedes Jahr erzählen Eltern ihren Kindern aufs Neue, dass der Weihnachtsmann oder das Christkind ihnen Geschenke unter den Tannenbaum legen. Aber was macht es mit den Kindern, wenn sie erfahren, dass sie von ihren Eltern angelogen wurden? Ist es überhaupt eine Lüge? Wir haben einen Experten dazu befragt.
"Weihnachtsmann bringt Geschenke": Eine Lüge? Wir haben einen Experten befragt
Könnt ihr euch noch an den Moment erinnern, an dem ihr erfahren habt, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt? Ich schon. Es war an einem kalten Tag im Januar, Weihnachten war gerade vorüber. Ich war sechs Jahre alt und so langsam kamen in mir Zweifel hoch, ob es überhaupt sein kann, dass ein alter Mann allen Kindern die Geschenke bringt.
Als ich meine Eltern darauf ansprach, wollte ich eigentlich nur eine Bestätigung haben. Ich wollte hören, dass ich nicht zweifeln brauchte, dass es das Wunder um den Weihnachtsmann wirklich gibt. Doch stattdessen kam eine Antwort, die mich erschütterte: Es gibt den Weihnachtsmann wirklich nicht!
So langsam dämmerte es mir, warum mein Vater immer dann zurückgegangen ist, wenn wir an Heiligabend unterwegs waren in Richtung Kirche. Er war es, der die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legte und nicht der Weihnachtsmann! Auch wenn meine Eltern es mir schonend beibrachten, ich kann mich genau daran erinnern, wie traurig und enttäuscht ich dann war. Die Spannung und der Zauber rund um den Weihnachtsmann waren plötzlich weg.
Empfinden Kinder die Geschichte vom Weihnachtsmann als Lüge?
Was macht es mit Kindern, wenn sie erfahren, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt? Sind sie enttäuscht darüber, dass sie über viele Jahre lang angelogen wurden? Schließlich sollen Eltern ihren Kindern doch vermitteln, dass sie sich auf die Eltern verlassen können. Sie sollen Vertrauen entwickeln in das, was die Eltern ihnen sagen. Wie passt das zusammen?
Wir haben den Diplom-Psychologen und Familientherapeuten Dr. Klaus Neumann gefragt, ob es tatsächlich eine Lüge ist, wenn man Kindern vom Weihnachtsmann erzählt. Er sagt, dass die Frage so alt wie der Weihnachtsmann selbst und es das elterliche Bemühen zeigt, dass sie immer alles richtig machen wollen.
„Hier wird nicht gelogen, sondern altersentsprechend erzählt – das größer gewordenen Kind versteht, dass der Weihnachtsmann ein Symbol ist für so vieles und dabei nicht unbedingt real sein muss. Wenn Eltern im Alltag nicht lügen, darf es zu Weihnachten, Ostern, etc. schon mal ein wenig Märchen geben“.
Weihnachtsmann existiert nicht: Wie können es Eltern erklären?
Kinder verstehen, wenn sie älter werden, dass der Weihnachtsmann nicht real ist. Dazu rät Dr. Neumann, dass die Eltern ihren Kindern Folgendes sagen könnten: „Der Weihnachtsmann ist eine Figur aus einer großen Erzählung über Weihnachten, ein Symbol, das für etwas steht: Für den christlichen Gedanken der Nächstenliebe, des Schenkens, der Geborgenheit mit anderen, usw. Der Weihnachtsmann ändert seine Gestalt - für ein kleines Kind ist er ganz bestimmt da, für ein größeres Kind - wie dich - wird er zu einer Sagengestalt. Den wirklichen Weihnachtsmann hat noch keiner gesehen, aber alle reden von ihm und schenken sich in seinem Namen schöne Dinge oder auch schöne Gefühle".
Und dürfen Eltern ihren Kindern erzählen, dass der Weihnachtsmann nur den braven Kindern Geschenke bringt? Nein, das ist wirklich nicht angebracht. „Eltern schenken, weil sie ihre Kinder lieben und behüten und das ist unabhängig von braven Vorleistungen“, sagt Dr. Neumann.
Weihnachtsmann-Lüge: Kinder akzeptieren es gerne
Für Kinder ist es also nicht schlimm, wenn sie die Geschichte vom Weihnachtsmann erzählt bekommen und irgendwann begreifen, dass es ihn nicht gibt. Herr Dr. Neumann sagt: „Kinder akzeptieren das gern, weil sie spüren, dass ihnen über das Symbol Weihnachtsmann ihre Eltern Gutes tun wollen.“
Und auch ich habe es letztendlich verkraftet. Ich erinnere mich nicht nur an den Schreckmoment, als ich erfuhr, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt – sondern auch an den Zauber, die Spannung, die angeregte Fantasie, die ich mit dem Weihnachtsmann verbinde. Und das war eine schöne Zeit!
Wir danken Herrn Dr. Neumann für das Interview!
Dr. Klaus Neumann, Diplompsychologe Gesprächstherapeut + Systemischer Familientherapeut Beauftragter für Kindeswohl + Kinderrechte im BDP (Berufsverband Deutscher Psychologinnen + Psychologen) Mitglied der Sektion Politische Psychologie im BDP Deisenhofener Straße 44 81539 München Tel.: 089 - 696306 E-Mail: dr.klausneumann@gmx.de
(ww3)
Artikelbild und Social Media: dragana991/iStock