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Diagnose Colitis ulcerosa: Wie Mara mit einem künstlichen Darmausgang lebt

Bei Mara wurde 2016 die chronische Darmerkrankung Colitis ulcerosa diagnostiziert. Im Rahmen unserer Kampagne #WunderbarECHT haben wir mit Mara über ihr Leben mit einem künstlichen Darmausgang gesprochen und wie sie es geschafft hat, ihren Körper so zu akzeptieren, wie er ist. 

Diagnose Colitis ulcerosa: Wie Mara mit einem künstlichen Darmausgang lebt
Wie lebt es sich mit einem künstlichen Darmausgang? Mara verrät es uns. Foto: Instagram/ uc_warriorprincess
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Wie lebt es sich mit einem künstlichen Darmausgang? Auf ihrem Instagram-Account uc_warriorprincess teilt Mara ihre Erfahrungen mit der chronischen Darmkrankheit Colitis ulcerosa. Mit ihrem offenen Umgang mit der Krankheit will sie anderen Menschen Mut machen, die ebenfalls betroffen sind. Maras Massage: "Habt keine Angt anders zu sein, habt eher Angst davor so zu sein wie alle Anderen." Wir haben ein Interview mit ihr geführt. 

Was war dein erster Gedanke, als deine Ärzte dir sagten, dass du dich aufgrund deiner Krankheit operieren lassen sollst?

Als ich 2016 die Diagnose Colitis ulcerosa bekam, ging alles ziemlich schnell. Ich hatte meinen ersten schweren Schub, der im Krankenhaus behandelt wurde, bin nach der Entlassung nach Hause gefahren und es wurde alles irgendwie noch schlimmer. Ich bin also ganz schnell wieder ins Krankenhaus gekommen und lag auf der Intensivstation mit einem toxischen Megakolon. Ich kann mich nur noch bruchstückhaft an alles erinnern was zu der Zeit passiert ist, da man mich mit starken Schmerzmitteln versucht hat, die meiste Zeit schlafen zu lassen. Einen Tag bin ich aufgewacht und an meinem Bett standen mein behandelnder Arzt und eine Chirurgin, die mir mitteilte, dass man mich sofort operieren müsste. Meine Eltern haben sich dafür eingesetzt, dass wenigstens noch ein Medikament getestet wird, bevor man sofort operieren muss. Und tatsächlich ging es mir innerhalb kürzester Zeit wieder sehr viel besser.

Erst als ich dann zurück auf die normale Station verlegt wurde, hatte ich Zeit und Kraft mir darüber Gedanken zu machen, was es heißt operiert zu werden. Und mein einziger Gedanke war: Ich will das nicht. Lieber sterbe ich als einen künstlichen Darmausgang zu tragen. Und ich habe mir selbst geschworen, dass ich alles versuchen würde, um das zu verhindern.

Warum hast du dich letztendlich für einen künstlichen Darmausgang entschieden?

Die Entscheidung für einen künstlichen Darmausgang kam eher schleichend. Mit jedem Medikament, das nicht gewirkt hat, wurde meine Angst größer, dass ich operiert werden müsste. Und mit jedem nicht funktionierenden Medikament wurde mir klar, dass ich mich damit auseinandersetzen muss. Also habe ich genau das getan. Ich suchte mir gleichgesinnte und versuchte mich schon mal mit dem Gedanken anzufreunden. Die endgültige Entscheidung fiel dann im Jahr 2018. Ich bin nach Reduzierung einiger meiner Medikamente zurück in einen schweren Schub gerutscht. 30 Stuhlgänge am Tag, Blutverlust, Fieber. Ich hatte alle Medikamente getestet und ich wollte einfach nicht mehr so weiter machen. Ich habe so viele Veranstaltungen und Möglichkeiten in den letzten Jahren verpasst, weil es mir nicht gut ging. Ich konnte kaum noch etwas essen und schon gar nicht die Dinge, die ich mochte, weil ich dann stunden- und tagelang Schmerzen hatte. Ich wollte wieder ein „normales“ Leben führen und Dinge tun, die man eben mit Mitte 20 so tut.

Wie hat dein Umfeld auf dein Stoma reagiert?

Ich bin immer sehr offen mit der ganzen Situation umgegangen, daher weiß jeder in meinem näheren Umfeld von dem Stoma. Tatsächlich sind die meisten eher fasziniert von dem Ganzen. Erst vor Kurzem musste ich mit Hilfe zweier Freundinnen meinen Beutel in einem kleinen Toilettenraum wechseln und die beiden haben sich alles ganz interessiert angeschaut.

Unangenehm wird es mir manchmal nur wenn mein kleiner Fawkes (so habe ich das Stoma liebevoll genannt) lautstark pupst. Ich kann das leider nicht kontrollieren und manchmal ist es doch etwas lauter.

Wirst du in der Öffentlichkeit manchmal komisch angeschaut?

Ich trage meinen Stomabeutel in der Regel „versteckt“ in einer High Waist Jeans, unter einem Kleid oder Rock oder unter einer Leggings, das aber auch allein, weil es für mich so am bequemsten ist. Dadurch sieht man den Beutel eigentlich nicht. Und wer nicht weiß, dass er da ist, würde auch die kleine Ausbeulung in der Hose, wenn er gefüllt ist, kaum merken.

Das einzige was aber leider immer wieder negativ auffällt, ist die Reaktion von Menschen, wenn ich aus einer Behindertentoilette komme. Man sieht mir die Behinderung nicht an und daher ist sie für viele Menschen auch einfach nicht da. Ich habe oft das Gefühl mich rechtfertigen zu müssen, obwohl ich eigentlich jedes Recht habe diese Toilettenräume zu nutzen.

Wie hast du es geschafft, deinen Körper (wieder) lieben zu lernen und ihn so zu akzeptieren, wie er ist?

Mit einem künstlichen Darmausgang und einer großen offenen Wunde am Bauch aufzuwachen, war kaum das was ich mir für mein Leben vorgestellt hatte. Und ich habe auch in den ersten Wochen wirklich viele Tränen verloren. Ich war einfach sehr frustriert über die ganze Situation. Ich sollte zuerst nur minimalinvasiv operiert werden und hatte zwei kleine winzige Narben und plötzlich ging alles schief.

Aber die Situation hat mir geholfen anders auf Dinge zu sehen. Ich würde ohne meinen künstlichen Darmausgang heute nicht mehr am Leben sein. Und auch die Narben zeugen von einem Kampf, den ich gewonnen habe. Das Ganze mag für andere vielleicht eklig und hässlich sein, für mich jedoch ist dies mein Lebensretter. Ich schaue mich im Spiegel an und kann jeden Tag sehen wie stark ich im letzten Jahr war. Und auch heute in schweren und schwachen Momenten weiß ich, dass mich so schnell nichts klein kriegt. Meine Narben gehören zu mir. Meine Narben haben den Menschen geformt, der heute hier steht. Wie sollte ich also etwas hassen, dass mir so viel gegeben hat. Ich bin einfach perfekt unperfekt und darauf unglaublich stolz.

Was hat dich dazu bewegt deine Geschichte öffentlich zu machen?

Die Krankheit Colitis ulcerosa gilt wie auch Morbus Crohn als Tabukrankheit. Niemand redet gerne über Ausscheidungen und dieses Thema anzusprechen ist vielen noch sehr unangenehm. Oft hört man Dinge wie: Colitis? Das ist doch nur ein bisschen Durchfall und Bauchschmerzen. Leider fehlt einfach oft die Wahrnehmung für die Erkrankung. Viele Patienten werden in ihrem Freundeskreis ausgeschlossen, weil sie nie Zeit haben. Auf der Arbeit oder der Schule gilt man schnell als Hypochonder. Eine chronisch entzündliche Darmerkrankung zu haben ist sowohl physisch als auch psychisch eine sehr große Herausforderung. Nicht in allen Fällen kann man die Erkrankung mit Medikamenten in Remission bringen. Ich möchte auf das was diese Krankheit mit sich bringt aufmerksam machen. Möchte Mitpatienten zeigen, dass sie nicht alleine sind und möchte der Welt da draußen zeigen, dass die Krankheit nicht nur ein bisschen Bauchschmerzen ist. Wir brauchen ein Verständnis dafür, dass nicht jede Krankheit sichtbar sein muss, um da zu sein.

Zusätzlich hat sich mein Körperbild durch die OPs, die ich hatte, stark verändert. Ich trage eine große Narbe und einen Stomabeutel auf dem Bauch und damit passe ich nicht mehr in unser heutiges vorgegebenes Schönheitsideal. Mit meinen Posts möchte ich versuchen ein Bewusstsein zu schaffen, dass jeder Mensch auf seine ganz eigene Art schön ist. Wir sind perfekt so wie wir sind und sollten damit aufhören Menschen in Kategorien wie „schön“, „durchschnittlich“ und „nicht schön“ zu stecken.

Wie geht es dir heute? Nimmst du nach wie vor Medikamente?

Im Vergleich zu den letzten Jahren geht es mir um einiges besser. Leider hat sich bei mir aus der Colitis heraus noch eine chronisch autoimmune Bauchspeicheldrüsenentzündung entwickelt, die mich schon allein dieses Jahr fünfmal ins Krankenhaus gebracht hat. Und auch der Rektumstumpf, der bis zur möglichen Rückverlegung in mir liegt, ist nach wie vor entzündet. Ich werde so wie es derzeit aussieht, also auch noch sehr lange auf Immunsuppressiva und andere Medikamente angewiesen sein.

Nichtsdestotrotz liebe ich mein Leben so wie es ist. Es ist nicht immer leicht aber man lernt die guten Tage und Momente sehr viel mehr wertzuschätzen und kann sich oft auch schon an kleinen Dingen wirklich erfreuen.

Was ist dein Tipp an andere Menschen, die sich gerade mit der Entscheidung für einen künstlichen Darmausgang auseinandersetzen?

Macht diese Entscheidung nicht von anderen abhängig. Denkt zuerst an euch. Wird euch diese OP Erleichterung und ein besseres Leben geben? Einen künstlichen Darmausgang zu tragen mag zuerst durchaus beängstigend sein, das ganze Leben wird plötzlich auf den Kopf gestellt. Aber die OP kann euch im besten Fall ein ganz neues Leben schenken. Versucht euch vor der OP schon mit dem Thema auseinanderzusetzen, schaut euch vielleicht an wie Patienten ihren Beutel wechseln, versucht vielleicht in den sozialen Medien Gleichgesinnte zu treffen und stellt so viele Fragen wie möglich.  Ihr werdet sehen, dass mehr Menschen da draußen, vor allem aber auch viele junge Menschen, tatsächlich auf ein Stoma angewiesen sind.

Und ganz wichtig: Sind Menschen in eurem Umfeld, die dem ablehnend gegenüberstehen und meinen euch damit nicht akzeptieren zu können, dann solltet ihr euch klar machen, dass nicht ihr es seid, mit denen etwas nicht stimmt. Die OP mag vielleicht euer Aussehen auf eine Art verändern, nicht aber eure Persönlichkeit! Wer euch damit nicht akzeptiert, hat euch auch ganz einfach nicht in seinem Leben verdient!

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