Tochter einer narzisstischen Mutter: „So sehr habe ich gelitten“
Von der Mutter seelisch vergiftet: Gabriele Nicoleta ist die Tochter einer narzisstischen Mutter und schildert in „Gift der Narzisse“, wie ihre Mutter sie gequält hat.
Oft wird Narzissmus als Eigenliebe definiert. Narzissten können jedoch nicht richtig lieben. Weder andere noch sich selbst. Der narzisstische, emotionale Missbrauch innerhalb der Familie und besonders durch die Mutter bleibt oft unverstanden und unbemerkt.
So auch bei Gabriele Nicoleta aus Regensburg die von frühester Kindheit an unter ihrer narzisstischen Mutter litt.
Gabriele Nicoleta: Tochter einer narzisstischen Mutter
„Es machte ihr Spaß, mich zu verletzen. Ich verstand zu dieser Zeit noch nicht, warum es für sie so wichtig war, mir seelische Schmerzen zuzufügen. Aber ich hatte begriffen, dass es etwas in ihr geben musste, was sie dazu trieb.“
Geboren wurde Gabriele Nicoleta 1964. Aus erster Ehe hat sie drei Kinder. Seit 2010 ist sie zum zweiten Mal verheiratet. Heute lebt sie mit ihrer Tochter und ihrem Mann in der Nähe von München und arbeitet freiberuflich als Fotografin. 2013 gründete Gabriele eine Gruppe, um sich mit anderen Betroffenen über Eltern mit narzisstischer Persönlichkeitstörung auszutauschen.
"Narzisstische Mütter sind ein Tabu"
Mit ihrem Buch „Das Gift der Narzisse“ hat Gabriele Nicoleta einen mutigen und schonungslos offenen Erfahrungsbericht über ihr Leben und Leiden mit einer narzisstischen Mutter veröffentlicht.
„Das Thema Narzissmus insbesondere der grausame Umgang einer narzisstisch gestörten Mutter mit ihrem Kind ist in unserer Gesellschaft nach wie vor ein großes Tabu. So groß, dass es bis heute nur wenig deutschsprachige Fachliteratur darüber existiert und die Opfer so gut wie gar nicht zu Wort kommen. Mein Anliegen ist es, diesen Opfern eine Stimme zu geben“, erklärt Gabriele Nicoleta.
Im folgenden Interview berichtet Gabriele Nicoleta über den Narzissmus ihrer Mutter, wie sie es schaffte, als erwachsene Frau dieser Hölle zu entkommen und warum solche Mütter in unserer Gesellschaft immer noch ein großes Tabu sind:
»Eine Mutter, die ihrem Kind absichtlich schadet, will sich keiner vorstellen«
Wunderweib.de: Ihr erschütterndes Buch Das Gift der Narzisse erzählt Ihre Geschichte, die Geschichte einer Frau, deren Leben von Kindheit an durch eine narzisstische Mutter systematisch zerstört wurde. Was hat Sie veranlasst, all das aufzuschreiben?
Gabriele Nicoleta: Eigentlich fing alles mit diesem Versprechen gegenüber meinem Stiefvater an: »Dann zwingst du mich, eure Lügen und deine Feigheit öffentlich zu machen.« Hintergrund war, dass er selbst nach dem Tod meiner Mutter nur in ihrem Sinne handelte und alles tat, um ihr Lügengebäude aufrecht zu erhalten. Den letzten Ausschlag gab ein Schreiben des Nachlassgerichtes, durch das ich erfuhr, dass meine Mutter mich enterbt hatte, als ich gerade 21 Jahre alt war. Einfach so, ohne nachvollziehbaren Anlass. Das war erneut ein Schlag ins Gesicht.
Das Thema Narzissmus, insbesondere der grausame Umgang einer narzisstisch gestörten Mutter mit ihrem Kind ist in unserer Gesellschaft nach wie vor ein großes Tabu. Ihr Buch ist die erste Autobiografie der Tochter einer narzisstischen Mutter. Warum glauben Sie, gehen so wenige Opfer mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit?
Gabriele Nicoleta: Aus den Erfahrungen in meiner Gruppe weiß ich, dass es viele Gründe dafür gibt. Wenn man zum Beispiel in der Öffentlichkeit sagt, dass man keinen Kontakt mit seiner Mutter hat oder dass die Mutter einen manipuliert, können die meisten damit gar nichts anfangen. Viele reagieren mit Ungläubigkeit und Unverständnis. Das Bild der Mutter ist in den meisten Köpfen mit Liebe und Respekt verknüpft. Die Eltern sind das Wichtigste und Heiligste. Deswegen bekommen die Opfer immer wieder Sätze zu hören wie »Das kann ich mir bei deiner Mutter gar nicht vorstellen«, »Es ist doch aber deine Mutter«, »Sie meint es doch nur gut mit dir« oder »Blut ist dicker als Wasser«. Auch ich habe diese Sätze immer wieder gehört. Danach traut man sich nicht mehr, was zu sagen.
Eine Mutter, die ihrem Kind absichtlich schadet, kann oder will sich keiner vorstellen. Ein gutes Beispiel ist über 200 Jahre alt, aber noch immer bestens bekannt: das Märchen »Schneewittchen«. In der Originalversion von 1812 schrieben die Gebrüder Grimm von der Mutter (die Königin), die neidisch auf ihre Tochter ist. Im Jahr 1819 wurde daraus die »böse Stiefmutter«, weil es in einem Kindermärchen keine böse Mutter geben durfte.
Ein weiterer Grund, damit nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, ist die Scham über das Erlebte. Hinzu kommen niederschmetternden Selbstzweifel. Kann es vielleicht doch sein, dass man es verdient hat, so behandelt zu werden? Ist man in den Augen der Leute ein Nestbeschmutzer? Ich bin immer davon ausgegangen, dass es an mir liegt, dass ich ein bedauerlicher Einzelfall bin. Erst meine Gruppe hat mir die Augen geöffnet.
Wann haben Sie bemerkt, dass Ihre Mutter nicht so wie andere Mütter ist? Wann haben Sie erkannt, dass Ihre Mutter narzisstisch ist?
Gabriele Nicoleta: Als Kind dachte ich, meine Mutter würde sich überhaupt nicht für mich interessieren, sondern nur für meinen Bruder Tony. Aber das war falsch. Es machte ihr Spaß, mich zu verletzen. Ich verstand zu dieser Zeit noch nicht, warum es für sie so wichtig war, mir seelische Schmerzen zuzufügen. Sie hat mich sehr genau beobachtet und wusste nur zu gut, wie es in mir aussah. Deswegen war es für sie auch so einfach, mich immer an der Stelle zu treffen, wo es am meisten wehtat. Egal, ob es um meine Einschulung, um meine Liebe zu Tieren oder um meine beste Freundin ging – sie war immer ganz genau im Bilde. Ich hatte das vielleicht gefühlt in all diesen Jahren, aber so richtig begriffen hatte ich es nie, vielleicht weil ich es nicht hatte begreifen wollen. Die Erkenntnis, dass meine eigene Mutter nichts anderes im Sinn hatte, als meine Gefühle zu verletzen, und sich nur mit mir beschäftigte, weil sie mein Glück zerstören wollte, war schmerzhafter als alles andere.
Ein typischer Zug narzisstischer Mütter ist, dass sie ein Kind in den Himmel heben und das andere zerbrechen. Das war bei Ihnen und Ihrem Bruder auch so. Wie sind Sie damit umgegangen? Das war doch bestimmt ganz schwer nachvollziehbar für Sie?
Gabriele Nicoleta: Mein Bruder Tony sah mit seinen blonden Locken aus wie ein Engel. Allein schon deshalb verstand ich, dass es leicht sein musste, ihn zu lieben – ganz im Gegensatz zu mir. Schließlich war ich optisch das Gegenteil von meinem Bruder. Mein Bruder nutzte es aus, dass er machen konnte, was er wollte, ohne dafür bestraft zu werden. Als meine Mutter einmal mitbekam, wie er log und trotzdem mich bestrafte, wurde mir zum ersten Mal klar, dass es sinnlos war, an Gerechtigkeit zu glauben. Es schmerzte mich, wenn ich mit ansehen musste, wie mein Bruder auf der Couch lag und den Kopf in den Schoß meiner Mutter legte. Sie streichelte seine Haare und sah mich dabei grinsend an, während mein Bruder mir die Zunge rausstreckte. Ich saß ungeliebt abseits. Als Kind habe ich meinen Bruder nicht gehasst, sondern beneidet. Später tat er mir sogar Leid, denn er hatte nie ein eigenes Leben. Bis zu seinem Tod lebte er immer bei meiner Mutter, fast wie ein Partner und nicht wie ein Kind. Meine Mutter hatte zwischen meinem Bruder und mir eine unüberwindbare Kluft geschaffen, die uns trennte. Das macht mich heute noch traurig.
Ihre Mutter verweigerte Ihnen nicht nur Liebe, Zärtlichkeit und Geborgenheit, sondern oft genug auch notwendige ärztliche Versorgung. Jede scheinbare Nebensächlichkeit wird zur Erniedrigung und Machtausübung genutzt, sogar über deren eigenen Tod hinaus. Wie haben sie es geschafft, aus dieser Hölle auszubrechen?
Gabriele Nicoleta: Das habe ich nur durch die Hilfe meines zweiten Mannes geschafft. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Er hat sich nie blenden lassen und stand immer an meiner Seite. Das gab mir letztendlich die Kraft, alles zu überstehen. In meiner Gruppe fand ich zudem viele Leidensgenossen, mit denen ich mich austauschen konnte. Zu wissen, dass man nicht allein ist, half mir sehr.
Sie haben inzwischen selbst drei Kinder, auch eine Tochter. Fällt es Ihnen schwer, Ihren Kindern die Liebe zu geben, die Sie nie bekommen haben?
Gabriele Nicoleta: Nein, ganz und gar nicht. In mir ist so viel Liebe, die ich geben kann. Da die zwei Jungs einen Altersunterschied von elf bzw. 13 Jahren zu ihrer Schwester haben, war es nie ein Problem, jedem meiner Kinder genug Aufmerksamkeit zu schenken. Meine Tochter und mich verbindet allerdings ein besonderes Band. Ihre Augen vor Glück strahlen zu sehen, ist für mich das schönste Geschenk. Sie gibt mir damit jedes Mal einen kleinen Teil meiner Kindheit zurück.
Was raten Sie Töchtern und Söhnen narzisstischer Eltern? Wo können Sie Hilfe finden?
Gabriele Nicoleta: Wenn man sich nicht sicher ist, ob man narzisstische Eltern hat, dann wäre es hilfreich, sich die 25 Punkte auf der Seite www.narzissmus.org aufmerksam durchzulesen. Sollte man sein eigenes Leben darin wieder erkennen, dann rate ich dazu, sich einen Therapeuten zu suchen. Da die Suche nach einem geeigneten Therapeuten länger dauern kann, wäre am Anfang eine Selbsthilfegruppe, in der man sich austauschen kann, von Vorteil. Dieser Austausch mit anderen Betroffenen, gibt einem die Kraft weiter zu machen. Auf jeden Fall sollte man den Kontakt zu seiner Mutter nach Möglichkeit abbrechen oder auf das Nötigste beschränken, damit man nicht weiterhin verletzt wird und die Wunden an der Seele heilen können. Leider gibt es momentan noch keine Organisation, die sich mit diesem Thema beschäftigt und die Opfer unterstützt.
Die ganze Geschichte von Gabriele Nicoleta und ihrer narzisstischen Mutter ist in diesem Buch zu lesen:
Narzissmus in der Beziehung: Liebe, die dein Leben zerstört
7 Zeichen dafür, dass dein Mann ein Narzisst ist
3 Gedankenspiele, mit denen ein Narzisst dich manipuliert
Willst du aktuelle News von Wunderweib auf dein Handy bekommen? Dann trag' dich schnell in unserem WhatsApp-Newsletter ein!
ww1