Ausbildungsgehalt: Azubis leben unter dem Existenzminimum
Auszubildende bekommen in Deutschland ein sehr geringes Gehalt. Friseure bekommen am wenigsten Geld. Zum Überleben reicht es nicht.
Wer noch in der Lehre ist, ist in Deutschland arm dran. Auszubildende können sich ihr Überleben alleine nicht finanzieren. Sie sind angewiesen auf familiäre Unterstützung, einen Nebenjob oder staatliche Beihilfe. Eine Ausbildung zu absolvieren heißt: zwei bis drei Jahre lang in Armut leben. Abhängig sein.
Hartz IV-Empfänger haben mehr Geld als Auszubildende
Kein Wunder, dass sich immer mehr Menschen gegen eine Ausbildung entscheiden. Sogar Hartz-IV-Empfänger haben mehr Geld zur Verfügung als Auszubildende. Ein Arbeitsloser bekommt vom Staat die Mietwohnung bezahlt, die Heizkosten und diverse Versicherungen - und erhält zusätzlich 416 Euro (ab 2018) im Monat (HIER sind alle Leistungen für Hartz IV-Empfänger aufgelistet).
Azubis leben unter dem Existenzminimum
Ein Auszubildender dagegen ist gut beraten, nach der Schule erst einmal im Hotel Mama zu bleiben. Denn: Im schlimmsten Fall bekommt ein Azubi im ersten Lehrjahr zwischen 269 und 394 Euro pro Monat bezahlt. Das trifft beispielsweise auf Friseurlehrlinge in den neuen Bundesländern zu. In den alten Bundesändern sieht es nur wenig besser aus: Hier bekommt ein Friseur-Azubi zwischen 404 und 494 Euro pro Monat.
Ebenfalls arm dran: Floristen. Sie bekommen in den neuen Bundesländern 422 Euro im ersten Lehrjahr, in den alten Bundesländern zwischen 485 und 587 Euro. Wer Bäcker werden möchte - ganz gleich in welchem Bundesland - bekommt gerade mal 600 Euro im Monat bezahlt.
Wenigstens gilt: Bekommt ein Azubi monatlich unter 325 Euro bezahlt, muss er weder Steuern noch Sozialabgaben zahlen. Das erledigt der Ausbildungsbetrieb für ihn. Doch das ist nur ein winziger Lichtblick in der Zukunft eines Auszubildenden.
Unwürdiges Leben nach einer Ausbildung
Das Azubi-Geld reicht weder für eine Wohnung noch für ein Monat Nahrung aus. Und wenn ein Azubi das "Glück" hat, 950 Euro oder mehr im Monat zu verdienen, werden ihm von diesem "Gehalt" auch noch Sozialabgaben (Kranken-, Pflege-, Arbeitslosenversicherung) und Steuern abgezogen. Was einem Azubi monatlich übrig bleibt, ist lachhaft und geradezu würdelos.
Das Argument, man solle sich seine Arbeitsstelle nicht nur nach der Gehaltshöhe, sondern auch nach dem Spaßfaktor und der Arbeitsatmosphäre (z.B. Kollegenkreis, Anfahrt zur Arbeit, Kundschaft) auswählen, gerät immer mehr in den Hintergrund. Denn wer jeden Tag den Cent zweimal umdrehen oder sich monatlich gar verschulden muss, um auch nur eine Waschmaschine zu kaufen, für eine Reparatur aufzukommen oder gar noch ein Kind zu versorgen, hat nicht (mehr) viel Spaß am Leben.
Von Luft und Liebe wurde noch niemand satt. Auch nicht in Deutschland. Während der Staat eine schwarze Null nach der anderen schreibt, sind Millionen arbeitender (!) Menschen auf das Dispo ihrer Bank angewiesen.
3 Millionen Fachkräfte fehlen
Kein Wunder also, dass sich immer weniger Schüler zu einer Ausbildung ermutigen lassen. Die Folgen schaden allerdings dem Staat. Laut einer Studie des Forschungsinstituts Prognos werden bis 2030 rund 3 Millionen Fachkräfte in Deutschland fehlen. Experten sprechen vom "Kernproblem" der deutschen Wirtschaft. Das so hoch zelebrierte Wirtschaftswachstum bekommt in naher Zukunft einen ordentlichen Dämpfer verpasst, wenn aufgrund der Situation keine neuen Fachkräfte mehr ausgebildet werden.
Zwar werden als Ursache für den Arbeitskräftemangel auch die Digitalisierung und Alterung der Gesellschaft genannt. Doch zweifelsohne hängt die Berufswahl junger Menschen auch von der Zukunftsperspektive ab, die sich ihnen mit dem Job bietet. Um beim Friseur zu bleiben: Nach der Ausbildung steht ihnen gerade einmal genug Geld zu, um nach Abzug von Miete, Nahrungsmitteln und Co. am Ende des Monats bei 0 Euro anzukommen. Im Durchschnitt verdient ein Friseur 1.435 Euro im Monat - und zwar brutto. Noch weniger bekommen Modeschneider und Tankwarte (s.u.).
Floristen bekommen nach der Ausbildung durchschnittlich 1.531 Euro im Monat, Bäcker im Durchschnitt 1.802 Euro, ein Fleischer durchschnittlich 1.816 Euro.
Weitere Durchschnittsgehälter (brutto) nach einer abgeschlossenen Ausbildung (laut gehaltsvergleich.com):
- Modeschneider: 1.344 Euro
- Tankwart: 1.426 Euro
- Restaurantfachmann: 1.607 Euro
- Hotelfachmann: 1.645 Euro
- Tierpfleger: 1.670 Euro
- Gebäudereiniger: 1.721 Euro
- Steinmetz: 1.740 Euro
- KFZ-Mechatroniker: 1.793 Euro
- Koch: 1.711 Euro
- Raumausstatter: 1.738 Euro
- Buchhändler: 1.781 Euro
- Glaser: 1.833 Euro
- Tischler: 1.886 Euro
- Metallbauer: 1.901 Euro
- Pharmazeutisch-kaufmännischer Angestellter: 1.915 Euro
- Verkäufer: 1.944 Euro
- Gerüstbauer: 1.979 Euro
- Mediengestalter: 1.982 Euro
- Landwirt: 2.005 Euro
- Maler / Lackierer: 2.014 Euro
- Drogist: 2.015 Euro
- Automobilkaufmann: 2.132 Euro
- Klempner: 2.173 Euro
- Straßenbauer: 2.257 Euro
- Maurer: 2.283 Euro
- (Stahl-)Betonbauer: 2.313 Euro
- Zimmerer: 2.341 Euro
- Schornsteinfeger: 2.352 Euro
- Verwaltungsfachangestellter: 2.386 Euro
- Dachdecker: 2.440 Euro
- Bankkaufmann: 2.652 Euro
- Informatikkaufmann: 2.709 Euro
"Berufspraktische Tätigkeiten müssten akademischer Bildung gleichwertig gegenübergestellt werden – auch finanziell", bringt es die ZEIT auf den Punkt. Doch so lange das nicht der Fall ist, so lange die Gehälter in Deutschland nicht mit den Lebenserhaltungskosten wachsen, wird die Armut in Deutschland steigen - und mit ihr die Schere zwischen Armen und Reichen. Der sogenannte "Mittelstand" ist kaum noch vorhanden.
Mindestlohn gilt nicht für Azubis
Der Mindestlohn (8,50 Euro pro Stunde) gilt nicht für Azubis, weil diese sich nicht in einem Arbeits-, sondern sich in einem Bildungsverhältnis befinden. Stattdessen werden die Ausbildungsgehälter in den meisten Branchen durch Tarifverträge geregelt. "So wird Ausbeutung in der Ausbildung staatlich toleriert und über Steuergelder quersubventioniert", sagt Benjamin Roscher, Landesbezirkfachbereichsleiter bei der Gewerkschaft Verdi Berlin/Brandenburg, gegenüber der BILD.
Statt 8,50 Euro kommt ein Friseur-Auszubildender im ersten Lehrjahr also gerade mal auf 1,57 Euro pro Stunde - dafür kann man in Deutschland nicht einmal ein belegtes Brötchen oder ein Kurzstrecken-Ticket in Großstädten bezahlen. Die Lebenshaltungskosten in Deutschland steigen - die Gehälter der Deutschen dagegen stagnieren oder sinken sogar.
Diejenigen können sich glücklich schätzen, die bei sehr großen Unternehmen anheuern. Oft haben die Riesen einen eigenen Tarifvertrag, der ggf. besser vergütet, als der Durchschnitt. Auch zusätzliche Schulungen, freie Tage, Arbeitsmaterialien und andere Sonderleistungen können so konzernintern festgelegt sein. Doch diese Stellen sind begrenzt - und heiß begehrt. Die Konkurrenz unter den Azubis ist hier am größten.
Trotzdem erscheint vielen jungen Leuten ein Studium lukrativer als eine Ausbildung. Denn sogar Studenten, die nebenher einem 450-Euro-Job nachgehen, verdienen mehr als beispielsweise Friseur-Azubis (s.o.). Zudem sehen die Zukunftsperspektiven für Akademiker finanziell besser aus (genaueres siehe HIER).
Warum werden Azubis so schlecht bezahlt?
Es galt lange der Grundsatz: Der Ausbilder investiert seine Zeit und sein Geld (z.B. für die nötigen Arbeitsmaterialien in der Lehre) in den Azubi - deswegen muss er nicht auch noch ein angemessenes Gehalt zahlen.
Inzwischen gilt aber für Azubis, was auch für Studenten gilt: Sie können staatliche Hilfen beantragen. Dazu gehören Kindergeld (bis 25 Jahre), Miethilfe, BaföG, Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) und Wohngeld (nur wenn BAB-Antrag abelehnt wurde).
Für jede dieser finanziellen Stützen müssen Azubis und Studenten allerdings reihenweise Grundbedingungen und Auflagen erfüllen. So hat man beispielsweise nur Anspruch auf BAB, wenn es die erste Berufsausbildung ist, wenn man deutscher Staatsbürger ist und wenn man in einer eigenen Wohnung lebt (weitere Informationen dazu siehe HIER). Viele junge Menschen werden von der deutschen Bürokratiekeule abgeschreckt.
(ww7)