Die Mama als beste Freundin - toll oder schädlich?
„Mutti ist die Beste!“ Wie schön, wenn Frauen das über ihre eigene Mutter sagen können. Doch muss das unbedingt heißen, dass die eigene Mutter gleichzeitig die beste Freundin ist? Diplom-Pädagogin und Familientherapeutin Marthe Kniep aus Jesteburg erklärt, warum eine gesunde Distanz in dieser Beziehung wichtig ist.
- Immer mehr gute Eltern-Kind-Beziehungen
- Aufgaben einer Mutter
- Ungesund: Zu freundschaftliche Mütter
- Mutter oder Freundin - was ist der Unterschied?
- Die Entwicklungsaufgabe von Müttern
- Als Mutter gut für sich sorgen
- Erwachsene Töchter und ihre Mütter
- Wenn die Mutter zur Oma wird
- Veränderungen durch die eigene Mutterschaft
- Wenn ein Partner dazu kommt
- Die Chance im Loslassen
„Meine Tochter und ich sind wie beste Freundinnen!“ Wenn ich diesen Satz in einer Therapiestunde höre, ist er ein ziemlich klarer Hinweis für mich, dass in dieser Familie „Abnabelung“ und „Loslassen“ wichtige Themen sind und dass es hier – vorsichtig gesagt- in Sachen gesunde Distanz etwas hakeln könnte. Und nicht selten gibt es in diesen Familien schon mehr oder weniger deutliche Anzeichen im Verhalten der Töchter, dass diese nicht nur begeistert davon sind, wie dicht Mama ihnen mit ihrem Wunsch nach einer freundschaftlichen Beziehung auf die Pelle rückt.
Immer mehr gute Eltern-Kind-Beziehungen
Grundsätzlich ist es erst mal erfreulich, dass sich im Vergleich zu früher immer mehr junge Menschen und deren Eltern gut verstehen. Der Wunsch überwiegt, gut miteinander auszukommen. Viele Jugendliche müssen deshalb heute längst nicht mehr so sehr gegen ihre Eltern rebellieren, wie dies noch ein, zwei Generationen zurück der Fall war. Denn es gibt ein Verständnis für die jeweiligen Entwicklungsphasen der Kinder auf der Erwachsenenseite und Eltern haben offene Ohren für die Anliegen ihrer Kinder. Bis hierhin ist alles in Ordnung. Ab und zu passiert es jedoch, dass die Grenzen zwischen Eltern und Kindern auf eine Weise Richtung Freundschaft verschoben werden, die für diese Beziehung nicht angemessen ist. Und das hat Folgen.
Aufgaben einer Mutter
Wie sich die Beziehung einer Mutter zu ihrer Tochter gestaltet, hängt dabei viel von den Erfahrungen der Mütter aus ihrer Herkunftsfamilie ab. Und weil in keiner Familie immer nur alles glatt läuft, gelingt es Müttern mit ihren Töchtern unterschiedlich gut, ihre von Geburt an eng verbundene Beziehung auf eine Weise zu gestalten, in der die Mutter als Vorbild, Vertrauensperson und Wegbegleiterin der Tochter immer präsent ist. Und die die Beziehung zu ihrer Tochter auf eine Weise aufrecht hält, in der die sie sich nicht aufdrängt oder anbiedert, sondern einfach da ist:
Als Leuchtturm, der in der Nähe und Ferne für Sicherheit steht und von dem aus sich ein Kind auf seinen Weg in die Welt begeben kann. Aber auch wieder in den Heimathafen einlaufen kann, wenn die Sehnsucht nach Familie ruft. Diesen Weg nehmen Kinder dann gern, wenn sie wissen, dass es der Mutter auch ohne die Tochter gut geht. So sollte es zumindest sein. Manche Mutter kann ein Leuchtturm sein und sogar die Vorteile dieses inneren Standortes genießen und vertrauensvoll dabei zusehen, wie das Kind seinen Weg geht und findet. Andere möchten sich gemeinsam mit der Tochter ins Boot setzen. Wie eine Freundin. Letzteres ist ungesund und schwächt die Position der Mutter als wichtigen Orientierungspunkt und Konstante für das heranreifende Kind.
Ungesund: Zu freundschaftliche Mütter
Aber wir kennen sie zu Genüge: Zum Beispiel diese Mütter, die sich selber noch so hipp, so jung oder angesagt finden und dies ständig zur Schau tragen müssen! Die dieselben Frisur- und Makeup-Trends tragen, wie die jungen Leute und doch immer einen Tick daneben liegen. Die bei Teen-Idol-Konzerten mitkreischen oder später bei der Geburtstagsfeier zum 17ten der Tochter die ganze Zeit auf deren Party bleiben, weil sie sich ja sooo gut mit den Freundinnen der Tochter verstehen und ja auch die gleiche Musik mögen!
Je älter die Töchter dieser Mütter werden, desto mehr steht den Mädels die Scham und Verzweiflung über ihre „Freundin-Mutter“ ins Gesicht geschrieben. Manche Töchter trauen sich eines Tages zu sagen: Mama, hör auf damit. Mir ist das peinlich! Oder bei der Party: Geh bitte endlich. Ich will mit meinen Freundinnen allein sein. Andere rebellieren still, entwickeln Essstörungen, Selbstverletzendes Verhalten (Ritzen!) oder binden sich viel zu früh an einen Jungen, um rauszukommen aus den mütterlichen Fängen. Sie müssen auf diese Weise die notwenige Distanz einfordern, die die Mutter von sich aus nicht wahrt, was sehr anstrengend sein kann und die Beziehung zur Mutter belastet. Leichter haben es die Kinder, wenn Mütter von sich aus die Grenze zwischen den Generationen sehen und beachten.
Mutter oder Freundin - was ist der Unterschied?
Die Frage ist dabei berechtigt, wie ein gutes Verhältnis zum Kind von einem zu freundschaftlichen Verhalten zu unterscheiden ist. Manchmal verwischen die Grenzen vielleicht etwas. Aber eigentlich sind die Aufgaben von Müttern klar zu umreißen. Wenn es gut läuft sorgen sie für das körperliche und seelische Wohlergehen des Nachwuchses und helfen den Kindern, sich in der Welt zurecht zu finden. Damit das gelingt, setzen sie notwenige Grenzen - zu deren Sicherheit und Orientierung - und führen ihr Kind an die Pflichten und schönen Dinge des Lebens heran. Sie unterstützen ihre Kinder in ihrer Entwicklung durch Kindheit und Jugend bis ins junge Erwachsenenalter hinein – auch finanziell. Bestenfalls sollte sich eine Eigenständigkeit des Kindes daraus entwickeln, die in seine Unabhängigkeit von den Eltern mündet. Mit der eigenen Mutter kann man sich heftig streiten und ihr einiges zumuten, weil man weiß: Sie wird einem verzeihen, weil die Liebe zu ihrer Tochter viel aushält. All das tun Mütter und all das machen sie mit. Aber das ist nichts für Freundinnen.
Freundinnen kommen dann auf den Plan, wenn Mama nicht mehr alles wissen muss, wenn Gleichaltrige zur wichtigen Orientierung dafür werden, was normal und angesagt ist. Und wenn es um intime Dinge geht, die man höchstens der besten Freundin erzählen würde, weil sie eine Schwester im Geiste zu sein scheint, verschwiegen ist und nicht moralisieren oder strafen wird.
Mütter hingegen müssen auch mal sagen, wenn etwas daneben war oder unmöglich und sie dürfen unbequeme Konsequenzen aussprechen. Bleiben „Fehltritte“ folgenlos, sind Kinder irritiert. Sich hin und wieder unbeliebt machen zu müssen, ist deshalb das Los von Eltern. Wer diese ungeliebte Aufgabe ablehnt, wird Probleme beim Erziehen bekommen.
Die Entwicklungsaufgabe von Müttern
Jetzt soll sich aber bitte keine Mutter auf den Schlips getreten fühlen, die nach einem Weg sucht, ein gutes Verhältnis zur Tochter zu haben. Denn der häufige Wunsch hinter diesem Verhalten ist ganz verständlich: Mütter möchten weiter am Leben des Kindes teilhaben und sich noch nicht alt fühlen, weil sie sich noch als „jung im Kopf“ wahrnehmen.
Diese natürliche Grenze zwischen den Generationen anzunehmen ist die Entwicklungsaufgabe von Müttern mit heranreifenden Kindern. Denn Abnabelung und Abgrenzung zur Mutter sind unausweichlich notwendig für das gelingende Frauwerden und später Mutterwerden der Tochter.
Als Mutter gut für sich sorgen
Wie sich die Mutter-Tochter-Beziehung jetzt weiterentwickelt, hängt zum großen Teil davon ab, wie gut die Mutter loslassen kann, wie gut ihr eigenes Netzwerk ist und welche Lebensinhalte sie außerhalb der Mutterschaft hat. Ist eine Mutter hier gut aufgestellt, wird es ihr leichter fallen, das Kind seinen Weg gehen zu lassen. Bereitet Mama allerdings schon der Gedanke daran Schmerzen, dass sich das Kind abnabelt und sie nicht mehr in alle Entscheidungen einbezieht, wird sie einiges versuchen, um den ehemals engen Kontakt und intimen Austausch aufrecht zu erhalten. So wird dann oftmals der Wunsch nach weiterer Teilhabe am Leben des Kindes gewissermaßen als Freundschaft getarnt. Und genau wegen dieser Tarnung, die für das Kind lange nicht zu durchschauen ist, brauchen betroffene Töchter meist lange Zeit, um sich davon frei zu machen.
Erwachsene Töchter und ihre Mütter
Natürlich ändert sich das Verhältnis und damit auch die Gesprächsinhalte zwischen Töchtern und Müttern, wenn beide Erwachsen sind. Doch auch dann darf es weiter Themen geben, die nicht zwischen den beiden besprochen werden müssen. Eine Mutter, die es mit dem Wunsch nach Freundschaft zur Tochter übertreibt, belastet oftmals ihr Kind mit den eigenen Lebensthemen und missbraucht es gewissermaßen als Vertraute für Themen, die in die Elternwelt oder (noch ältere) Erwachsenenwelt gehören. Selbst wenn die Tochter schon erwachsen ist, kann es unangemessen sein, wenn die Mutter ihr zum Beispiel von Eheproblemen mit Daddy oder vom Sex mit ihrem neuen Partner erzählt. Die meisten Töchter wollen das nicht wissen, viele mögen das aber nicht sagen. Dabei haben sie alles Recht dazu.
Wenn die Mutter zur Oma wird
Durch die Geburt eines Enkelkindes entstehen neue störende Verhaltensweisen durch zu wenig distanzierte Großmütter, die immer noch Freundinnen sein wollen. Ich höre oft von jungen Müttern, dass ihre Mütter sich fast täglich bei der Tochter mit Baby melden oder sehen lassen, „weil das doch früher auch so war“. Dabei ignorieren oder übersehen diese Großmütter, dass die Tochter jetzt einen Partner hat und eine neue Aufgabe, die sie größtenteils allein meistern wird. Und das ist auch wichtig für die junge Mutter. Denn wenn Oma ihr das Kind ständig aus den Armen reißt, wird damit die Tochter auf gewisse Weise unmündig gehalten und kann als Mutter nicht genug Sicherheit aus sich selbst heraus bekommen. Und Tipps für die Ehe möchten in dieser Phase auch wenige Töchtern von ihren Müttern hören, geschweige denn annehmen.
Veränderungen durch die eigene Mutterschaft
Außerdem verändert sich das Verhältnis einer Tochter zu ihrer Mutter durch eigene Elternschaft, weil das eigene Erleben mit dem Kleinkind an vielen Stellen Fragen auslöst: Wie hat meine Mutter das eigentlich mit mir gemacht? Und will ich das auch so machen? Diese Fragen stellen bei jungen Frauen manches auf den Kopf, was man vor der Geburt des ersten Kindes in dieser Intensität nicht bewegt hat. Und das kann durchaus erschüttern: einen selbst und die Beziehung zur Mutter. Manche dazugehörigen Omas verstehen dann die Welt nicht mehr. Sie bemerken, dass sich bei der Tochter etwas verändert. Dass sie Fragen stellt, die der Vergangenheit auf den Zahn fühlen. Töchter in dieser Phase dürfen sich Zeit dafür nehmen, diese Gedanken erst mal in Ruhe zu bewegen und zu überlegen: Wie will ich es denn machen?! Da braucht es eine gewisse Zurückhaltung durch die eigene Mutter. Mit einer Mutter, die Freundschaft sucht, wird es dann schnell zu eng. Und die junge Mutter hat es schwerer, sich in die eigene Mutterrolle einzufinden.
Wenn ein Partner dazu kommt
Außerdem haben das Paar und der neue Partner ein Recht darauf, mit der neuen Kernfamilie eine gewisse Exklusivität zu leben. Es ist spätestens dann zu viel, wenn Oma beleidigt ist, wenn die Eltern des Enkels sie bitten, mal ein Wochenende nicht zu kommen. Auch dann nicht, wenn Oma beziehungsweise Schwiegermutter nett ist und helfen will. Es ist einfach zu viel! Die meisten Männer sagen das nicht so schnell offen, um ihre Frau nicht zu kränken. Aber es nervt sie. Nur „Muttersöhne“ merken Übergriffe der Schwiegermutter nicht so schnell, weil sie dieses Verhalten von ihrer Mutter gewöhnt sind.
Es ist wichtig, dass eine Mutter ihre Tochter in dieser Phase erst mal ziehen lassen kann, im Wissen, wie wichtig das fürs Kind ist, auch wenn es einen selber schmerzt. Weil die Tochter ihren eigenen Platz in der Welt finden muss und noch dabei ist, ihn zu suchen. Und zwar ohne Mami. Die darf zwar auf dem Laufenden gehalten werden, aber alle Details muss sie aus Sicht der Tochter nicht mehr erfahren. Das ist etwas für die Freundinnen oder für die Männer, denen sie begegnen wird.
Die Chance im Loslassen
Das „Kind“ will und wird eigene Entscheidungen treffen müssen, um Sicherheit im eigenen Handeln und seiner Person zu bekommen. Und da ist es hilfreich, wenn die Mutter sich nur dann „einmischt“, wenn die Tochter dafür offen ist. Ein gutes Gespür dafür zu entwickeln, wann man gefragt ist und wann weniger, gehört zu den schwierigen Aufgaben der Elternschaft in jedem Alter. Und zwar ab der Geburt. Denn da fängt das Loslassen für Mütter und Töchter schon an. Wer sich früh mit diesem Gedanken anfreundet, hat es später leichter. Außerdem ist es doch so: Eine gute Mutter-Tochter-Beziehung hat eine ganz eigene und exklusive Qualität, die sehr kostbar und durch nichts zu ersetzen ist. Wer obendrauf noch gute Freundinnen hat, geht mit viel Stärkung durchs Leben! Und das ist es doch, was wir uns für unsere Kinder wünschen sollten!
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