Wie kläre ich mein Kind auf? 10 Tipps von der Expertin
Wie kommt das Baby in den Bauch? Wie bin ich entstanden? Was ist eine Scheide? Kinderfragen, die Eltern manchmal ins Schwitzen bringen. Unsere Expertin klärt auf, wie Eltern sicher ihr Wissen vermitteln können und worauf es dabei ankommt.
Der Mensch ist ein sexuelles Wesen. Deshalb sollte es das Natürlichste auf der Welt sein, dass wir unseren Kindern alles Wissen mit auf den Weg geben, was sie brauchen, um den Körper und was wir mit ihm erleben können zu verstehen. Doch es ist nicht jedem in die Wiege gelegt, entspannt und sicher über Sexualität zu sprechen. Die gute Nachricht ist: Das kann jeder lernen.
Ich selbst habe in meiner Zeit als Leiterin des Dr. Sommer Teams der BRAVO zu diesem Thema Tausende Fragen junger Menschen beantwortet und immer wieder viel von anderen Fachleuten, Eltern und Kindern dazu gelernt. Ich weiß auch, wie es sich anfühlt, wenn die eigenen Kinder mit den ersten „entscheidenden Fragen“ auf einen zukommen und man nach den richtigen Worten sucht, um möglichst nicht zu überfordern.
Sehen Sie deshalb die folgenden Empfehlungen als die Summe meiner bisherigen Erfahrungen und schauen Sie dabei, was Ihnen selber passend erscheint. Denn es kommt immer auch darauf an, dass Sie sich in dem Moment wohl damit fühlen, wie Sie es machen – auf Ihre ganz eigene Art.
Aufklärung der Kinder: 10 Tipps von der Expertin
Offenheit signalisieren
Eltern sind die Ansprechpartner Nummer 1 für alle Kinderfragen. Und Mutter und Vater bleiben selbst in der Pubertät wichtige Vertrauenspersonen, wenn es um intime Fragen geht. Im Umkehrschluss bedeutet das: Verschließen sich Eltern vor Fragen aus dem Bereich der Sexualität, bleiben die Kinder mit ihren Fragen allein oder sie müssen sich andere Personen suchen, die ihnen ihre Fragen beantworten. Das birgt natürlich die Gefahr, dass Ihr Kind unpassende oder gar falsche Informationen bekommt. Eltern können nur dann sicher sein, dass ihr Kind die wichtigsten und richtigen Infos bekommt, wenn sie diese Aufgabe selber übernommen haben. Deshalb signalisieren Sie ihrem Kind, dass es Sie alles fragen kann. Dann wird es auf Sie zukommen, wenn es so weit ist.
Der richtige Zeitpunkt für die Aufklärung
Sie fragen sich vielleicht, ab wann ein Kind bereit ist, „alles“ zu erfahren. Was das angeht, können Eltern zunächst auf ihr Kind vertrauen: Es wird sich melden, wenn es Fragen hat. Und genau das ist dann der richtige Zeitpunkt. Da vor allem kleinere Kinder sehr pragmatisch mit dem Thema umgehen, können Eltern alles so erklären, wie sie es auch für andere Interessengebiete tun. Denn Kinder haben normalerweise keine extra schambesetzte Schublade für Spezialfragen, die man vielleicht nur flüstern darf. Sie wollen es einfach wissen.
Rund um die Pubertät kann sich die Art und Weise etwas verändern, wie die Gespräche laufen. Es werden allerdings nur häufiger „Vier-Augen-Gespräche“ gewünscht und Vertraulichkeit der Eltern (auch gegenüber dem anderen Elternteil) eingefordert, die für Erwachsene bindend sein sollte, um das Vertrauen der Kinder nicht aufs Spiel zu setzen.
Sich Zeit erbitten
Es hat Sie kalt erwischt, dass Ihr Kind „jetzt schon“ solche Fragen hat? Tja. Sie werden einfach so schnell groß, dass wir Eltern manchmal nicht hinterherkommen. Haben Sie also in einem bestimmten Moment das Gefühl, spontan nicht souverän und kompetent aufklären zu können, erbitten Sie sich ein bisschen Zeit. Zum Beispiel so: „Du. Da muss ich erst mal überlegen, wie ich das am besten erkläre. Kann ich dir das morgen sagen?“ Oder: „Ich glaube, da gibt es gute Bücher dazu. Ich besorge eins und dann schauen wir uns das zusammen an. Okay?“ Dann ist es allerdings wichtig, dass Sie den Faden wieder aufgreifen und ihre Ankündigung einhalten und fragen: „Du hattest gestern eine Frage. Ich habe jetzt die Antwort. Willst du sie wissen?“
Rückfragen stellen
Sie möchten Ihr Kind nicht überfrachten mit Informationen? Dann fragen Sie nach: „Was weißt du schon darüber?“ Das hat zum einen den Vorteil, dass Sie gleich erfahren, wo es vielleicht noch falsche Vorstellungen im Kopf ihres Kindes gibt. Außerdem vermeiden Sie Ungeduld oder Genervtheit, wenn Sie etwas erzählen, was Ihr Sprössling schon lange weiß. Und es hat noch einen Vorteil: Sie bekommen gleich mit, wie unbefangen Ihr Kind darüber sprechen kann. Das entspannt oftmals die Lage bei einem selbst.
Setzen Sie auch bei älteren Kindern nicht zu viel voraus. Denn Jugendliche heute sind zwar oft schon gut aufgeklärt, doch viele Studien belegen, dass es Wissenslücken im Detail gibt, die fatale Folgen haben können. Sagt Ihr Kind also: „Ich weiß das schon alles.“ ist es legitim zu antworten: „Das kann sein. Diese eine Sache möchte ich Dir trotzdem noch mal auf meine Weise erklären, damit ich ganz sicher sein kann, dass du alles darüber weißt, was jetzt wirklich wichtig ist. Bitte gib mir die Gelegenheit. Danach lass ich dich wieder in Ruhe.“
Gute Bücher und Broschüren einbeziehen
Kleinere Kinder lieben es Bücher anzuschauen. Es macht eigentlich keinen Unterschied, ob da Bagger, Blumen oder Körper erklärt werden. Kinder wollen einfach alles wissen. Und oft löst es den Anflug von eigener Aufregung etwas auf, wenn man gute Materialien zur Hand hat. So kann Ihr Kind gezielt nachfragen und Sie müssen nicht allein entscheiden, was jetzt eine für Ihr Kind wichtige Information sein könnte. Hilfreich ist es, wenn Sie als Eltern das Buch selber gut finden. Liegt Ihnen die Sprache des Buches nicht oder mögen Sie die Bilder nicht? Dann benutzen Sie es nicht.
Es gibt für jedes Alter eine mittlerweile recht große Auswahl an Büchern, Broschüren, CDs und Filmen – auch auf Youtube, was mit jüngeren Kindern (unter 12 Jahren) nicht allein geschaut werden sollte, weil die nachfolgenden Empfehlungen auf Irrwege führen können, die nicht kindgerecht sind.
Darüber hinaus gibt es sehr gute Bücher, die Eltern im Dialog mit ihren Kindern helfen und aktuelle Informationen liefern, die einem vielleicht manchmal selber fehlen. Zum Beispiel „Mädchen fragen Mütter wissen“ https://www.springer.com/de/book/9783662584484 .
Aufklärung ist kein Rundumschlag
Es ist für alle entspannt, wenn Aufklärung sich natürlich durch das Größerwerden zieht. Deshalb braucht es kein: „Ich erkläre dir das jetzt mal alles.“ Es soll dem Kind ja nicht auf die Nerven gehen. Und vor allem bei pubertierenden Kindern sollte nicht der Eindruck entstehen: Wenn ich da eine Frage habe, komme ich erst mal eine Stunde nicht aus der Nummer raus.
Deshalb: kurze Frage, kurze Antwort. Dann die Rückfrage: „Möchtest du noch mehr darüber wissen?“ Oder anders: „Möchtest du eine kurze Antwort oder willst du es ganz genau wissen?“ Oft genügt nämlich die kurze Erklärung. Kurz ist allerdings nicht immer leichter, weil dann in wenigen Worten das Wichtige rüberkommen muss. Deshalb ist es auch legitim zu sagen: „Ganz ehrlich. Das kriege ich nicht auf die Schnelle erklärt. Gib mir X Minuten. Sonst habe ich ein doofes Gefühl dabei."
Alles beim Namen nennen
Es gibt Sätze, die Überwindung kosten können. Zum Beispiel: „Dann steckt der Mann seinen Penis in die Scheide.“ Aber so ist es. Und dann sollte es auch so genannt werden. Kein: da unten, er, sie, das da und so weiter. Sonst könnte das Kind den Eindruck bekommen: Da gibt es etwas, was nicht beim Namen genannt werden darf, worüber wohl nicht gesprochen werden darf, was nicht wichtig ist oder wohl möglich gar nicht bei jedem existiert. Das schürt Unsicherheit und macht sprachlos über Sexualität, Geschlecht und zwischenmenschliche Zärtlichkeit.
Wichtig: Wählen Sie für ihre Körperregionen und Geschlechtsteile Worte, die sie auch in anderen Zusammenhängen verwenden können, ohne dass es peinlich oder skurril wird. Kann ein Kind sein Geschlechtsteil wie jedes andere Körperteil biologisch korrekt benennen, wird es sich damit sicher fühlen. Benutzen Sie zu Hause andere Worte als Penis, Scheide oder Vagina, weil Sie das irgendwie netter finden, ist der Hinweis ganz gut, dass es viele Bezeichnungen gibt und welche davon in welchem Zusammenhang (Kita, Schule, Arzt, Freundeskreis, Familie) passend wären.
Gleichgeschlechtlichen Ansprechpartner „suchen“
Ermutigen Sie Ihr Kind immer, sich mit seinen Fragen auch an den anderen Elternteil zu wenden. So erleben Kinder beide Seiten und lernen mehr Möglichkeiten kennen, sich auszudrücken. Mütter sind zwar für Mädchen aber auch für viele Jungen die ersten Ansprechpartner für Gesundheitsfragen. Dennoch gibt es Anliegen von Jungs aber auch Mädchen, die Väter einfach aus ihrer Perspektive und daher vielleicht manchmal hilfreicher erklären können.
Mit dem Partner üben: Wie wollen wir unser Kind aufklären?
Optimal ist es, wenn ein Kind das Gefühl hat: Ich weiß, wen ich fragen kann. Und wenn Sie wissen, wo Sie und Ihr Kind sich auf ihren Partner verlassen können, dass es gut machen wird, weil Sie selber erlebt haben, wie er damit umgeht.
Deshalb sprechen Sie gemeinsam mit Ihrem Partner über Ihre über die Irrungen und Wirrungen aus Kindheit und Jugend. Erzählen Sie sich von eigenen Erfahrungen, von peinlichen und vor allem auch von hilfreichen Erlebnissen. So erfahren Sie vielleicht noch mal Neues vom anderen. Dann überlegen Sie gemeinsam, was Ihnen für Ihr Kind besonders wichtig ist und wer sich vielleicht auch für welchen Part mehr oder weniger kompetent fühlt. So werden Sie auch für dieses Thema zu einem guten Team.
Beraten lassen
Der unbefangene Umgang mit Nacktheit, Körperlichkeit und das Reden darüber fällt nicht jedem leicht. In einigen Familien sind diese Dinge sogar Tabu oder sie werden zumindest weitgehend ausgeklammert. In diesen Familien haben die Kinder vielleicht schon früh ein Gefühl dafür entwickelt, dass Fragen den Eltern sehr peinlich wären. Trotzdem haben auch diese Kinder Fragen und brauchen Antworten. Und manchmal ist es auch so, dass Kinder ihre Sexualität auf eine Weise ausdrücken, die die Eltern sehr verunsichert, beschämt oder auch Sorgen macht.
Fühlen Sie sich da angesprochen? Dann gehen Sie das Thema an und lassen Sie sich gut beraten, um Sicherheit zurück zu gewinnen oder ihrem Kind gut zur Seite stehen zu können. Nicht darüber zu reden oder alles zu verbieten schützt die Kinder nämlich vor gar nichts. Im Gegenteil: Gute Aufklärung ist immer auch Prävention von sexuellen Übergriffen.
Autorin: Marthe Kniep, Diplom-Pädagogin und Systemische Familientherapeutin aus Jesteburg
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