Rat von der Expertin

Hilfe, ich mag mein eigenes Kind nicht: Was kann ich tun?

Es plagen dich heftige Schuldgefühle, weil du dein Kind nicht magst? Familientherapeutin Marthe Kniep gibt Tipps, wie du damit umgehen kannst.

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Es gibt Momente im Leben von Eltern, von denen man nie dachte, dass sie einem je passieren werden. Und ich meine damit nicht die einfach überraschenden aber trotzdem tollen Augenblicke, sondern „die Schattenseite des Elternseins“: Momente oder gar Phasen, in denen man mit seinem Kind nichts anfangen kann, es sogar richtig doof findet, es nicht riechen kann und sich vielleicht auch für den Nachwuchs und sein aus elterlicher Sicht befremdliches Verhalten schämt.

Dann fragen sich Mutter, Vater oder beide gemeinsam, wie aus diesem niedlichen kleinen Windelscheißer von früher so ein Ätzknochen, komische Dinge redender Wunderling oder geschmacksverirrtes Wesen hat werden können. Je nach Alter des Kindes ist man dann froh, wenn es woanders spielt, ins Ferienlager geht oder vielleicht sogar für ein Jahr im Ausland beschult wird. Etwas Abstand kann da sehr entlastend sein.

Viele Eltern kennen solche Gefühle

Es gibt wohl keine Statistik darüber, wie vielen Eltern es so ergeht. Deshalb greife ich auf die Erfahrung aus meinem privaten und beruflichen Umfeld als Familientherapeutin zurück. Und da ist es so, dass die meisten Eltern in offenen Gesprächen von ganz unterschiedlichen Situationen berichten, in denen sie Anteile ihres Kindes nicht mögen oder sogar ablehnen. Manchmal ist es nur vorübergehend. Doch manche schwer annehmbare Seite des Kindes hält sich auch als Teil seiner Persönlichkeit. Und damit gilt es umgehen zu lernen.

Hier kommen die wichtigsten Tipps von Familien-Therapeutin Marthe Kniep

Annehmen: Negative Gefühle gehören dazu

Eltern dürfen ihr Kind oder bestimmte Eigenschaften des Kindes auch mal nicht mögen. Das ist menschlich und normal. Schlechtes Gewissen und Schuldgefühle sind vorprogrammiert, wenn man in dieser Hinsicht den Anspruch an sich erhebt, niemals solche Gefühle gegenüber seinem Kind haben zu dürfen. Gesund ist es, wenn wir uns erlauben, auch mal zu sagen: Es ist mein Kind, ich liebe es, ich werde es immer lieben, und trotzdem muss ich nicht alles toll finden, was es macht. Das tun unsere Kinder uns gegenüber ja auch nicht. Mit dem Unterschied, dass sie den Eltern oft unverblümt sagen was sie doof finden und sich auf diese Weise Luft machen, während Eltern es oft für sich behalten und heimlich ihr schlechtes Gewissen pflegen.

Aufhören: mit Selbstvorwürfen

ALLE Eltern machen in der Erziehung Dinge, auf die sie nicht stolz sind oder für die sie sich sogar schämen. Fehler machen gehört zum Elternsein dazu. Doch deswegen ist man noch lange kein schrecklicher Mensch. Auch nicht, wenn dein Kind sich gerade so schräg oder blöd verhält, dass du dich sinngemäß fragst: „Was habe ich nur falsch gemacht?“ Streich diese Frage wieder. Denn sie macht nur Schuldgefühle. Und die helfen niemandem. Im Gegenteil: Sie stehen zwischen dir und deinem Kind, wo sie die Beziehung stören.

Vielleicht hast du Fehler gemacht. Ja. Trotzdem zielt die wichtigere Frage auf die Zukunft ab: Was mache ich jetzt, damit ich wieder liebevoll auf mein Kind schauen kann? Was brauchen mein Kind und/oder ich, dass wir „trotzdem“ eine gute Beziehung haben können? Wie kann ich lernen damit umzugehen, dass mein Kind an dieser einen Stelle so ist, wie ich es überhaupt nicht gut finde? Das können Eltern am besten zusammen mit dem Kind überlegen. Oft geht es leichter mit der Hilfe von Profis: in einer Erziehungsberatungsstelle oder bei einem Familientherapeuten.

Klarmachen: die elterliche Aufgabe…

Ein Kind hat nicht zu seinen Eltern gesagt: Bring mich auf die Welt, dann mache ich dich glücklich. Es ist schön, wenn Kinder ihre Eltern glücklich machen. Doch es ist nicht ihre Aufgabe. Andersrum wird ein Schuh daraus: Die Aufgabe von Eltern ist es, ihre Kinder gut auf die Welt und ein möglichst selbständiges Leben darin vorzubereiten. Wie sie dies eines Tages ausfüllen werden und welche Persönlichkeit sie entwickeln, liegt nur bedingt in den elterlichen Händen.

Deshalb ist wichtig, dass Eltern ihr Lebensglück nicht allein davon abhängig machen, wie wohlgeraten in ihren Augen die Sprösslinge „funktionieren“. Sondern dass Eltern gut für sich sorgen, damit es ihnen auch dann gut geht und sie nicht sofort ihr ganzes Elternsein in Frage stellen, wenn das Kind sich mal sonderbar, abweichend von der Norm, vielleicht sogar kriminell oder anderweitig schwer nachvollziehbar verhält. Denn zufriedenstellende eigene Lebensinhalte über Elternschaft hinaus lassen uns Dinge gelassener akzeptieren, die bei den Kindern nicht ganz nach unseren Vorstellungen laufen.

Verstehen: Ich lehne nur einen Teil ab!

Normalerweise ist es ja so, dass Eltern in Momenten der Ablehnung oder des Unverständnisses über die Art des Kindes nicht das ganze Kind ablehnen, sondern nur einen bestimmten Teil, den es gerade von sich zeigt. Deshalb ist es auch wichtig, in ernsten Auseinandersetzungen nicht pauschal auf den ganzen Menschen zu schimpfen und diesen abzuwerten, sondern konkret zu sagen, was man gerade nicht auszuhalten findet und wie es einem damit geht. Dann bleiben die geliebten Seiten von der Kritik unberührt und das Kind fühlt sich nicht komplett in Frage gestellt.  

Hinterfragen: Was könnte die Funktion sein?

Oft liegt im Verhalten des Kindes ein tieferer Sinn, den es zu ergründen gilt, damit es annehmbar wird. Gerade dann, wenn man als Elternteil irritiert denkt: Wo kommt das denn jetzt her? Manche Kinder möchten einfach gucken, wie die Eltern reagieren: Vertrauen und Grenzen checken, den Eltern neue Gesichtsausdrücke entlocken oder mit Wonne provozieren, weil dann mal ordentlich was los ist zu Hause bei den sonst so gestressten oder müden Eltern. Andere suchen mit ihrem aneckenden Verhalten nach Aufmerksamkeit oder versuchen, mit einem Problem umzugehen, dass sie noch nicht reif lösen können.

Bevor wir losschimpfen oder urteilen ist es deshalb oft hilfreich zu fragen: „Was ist eigentlich bei dir gerade los? Du bist so anders. Das kenne ich gar nicht von dir.“ Oder: „Was du gerade machst, habe ich noch nicht bei dir erlebt. Kann es sein, dass das jemand mit dir gemacht hat?“ Oft ist es auch ratsam, sich im Umfeld umzuhören: „Weißt du, warum gerade … ist? Ich habe das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Aber mein Sohn/meine Tochter sagt nichts.“

Abgrenzen: Nicht persönlich nehmen!

Gerade in der Pubertät präsentieren Kinder einem auf ganz unterschiedliche Weise Seiten von sich, die Eltern irre machen und es erheblich erschweren, einen liebevollen Blick für sie zu behalten. Und manchmal scheinen Kinder absichtlich den Gegenpol zu vielem abzubilden, was Eltern sich eigentlich von ihrem Kind wünschen. Das fühlt sich manchmal an, als würde man abgelehnt. Doch das trifft es nicht.

Oft steckt hinter diesem Verhalten der Kinder der altersgemäß notwendige Wunsch nach Ablösung vom Elternhaus. Das gelingt manchmal leichter, wenn man durch das aus elterlicher Sicht ungeliebte Verhalten für Abstand zu selbigen sorgt, den das Kind anders (noch) nicht herstellen kann. Früher hat man dieses Verhalten oft Rebellion genannt. Heute lösen sich junge Menschen oft nicht mehr so radikal ab. Dennoch besteht weiterhin das jugendliche Bedürfnis, sich von den Eltern abzugrenzen, wozu fast immer gehört, dass man für eine Zeit einiges davon ablegt, was sonst Konsens war. Das hört in dieser Form normalerweise nach der Pubertät wieder auf. Deshalb tut man gut daran, es nicht persönlich zu nehmen, sondern dem Angebot nach Reibung so gelassen es geht standzuhalten, ohne sich auf einen Kampf einzulassen. Schließlich sollen sich die Kinder ja ablösen.  

Forschen: Woher kenne ich das?

Häufig erinnern uns Kinder an einen bekannten Menschen – oft aus der Familie: Eltern, Großeltern, Partner, Partnerin oder auch der/dem Ex. Es kann aber auch eine frühere Lehrerin, Nachbarin oder ein Mitschüler sein. Gab es in diesen Beziehungen konflikthafte Situationen und unser Kind ist einem von diesen Menschen gerade sehr ähnlich, kann man schon mal verzweifeln, wenn das eigene geliebte Kind genau eine dieser Eigenschaften präsentiert, die wir bei anderen (früher mal geliebten) Menschen abgelehnt haben oder erleiden mussten.

Dann reagieren wir manchmal auf verhalten des Kindes so heftig wie damals und projizieren das  Erleben von Früher auf unser Kind. Und wir finden es für den Moment genauso schrecklich, wie wir damals die Person erlebt haben, an die wir erinnert wurden. Doch nur, weil ihr Kind einem anderen Menschen ähnelt, ist es nicht genau wie dieser. Es ist ein eigenes Individuum, das seine Persönlichkeit noch entwickelt.

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Vielleicht war Ihr Kind wirklich gerade nicht nett zu Ihnen. Doch es kann nichts dafür, was es darüber hinaus in Ihnen hochkommen lässt. Deshalb liegt es bei den Eltern, einen neuen Umgang mit ihren eigenen früheren Verletzungen zu finden um das Kind wieder klar sehen zu können. Frei von dem Alten. Je nach Intensität der zurückliegenden Erlebnisse, braucht es hier manchmal therapeutische Unterstützung für die Elternteile.

Manchmal genügt es aber auch zu sagen: „Wenn du so sprichst, erinnerst du mich an eine Lehrerin, die mir mal das Leben schwer gemacht hat. Dann könnte ich ausrasten. Dafür kannst du nichts. Trotzdem versuche bitte, in einem anderen Ton mit mir zu reden.“ Man kann es auch im inneren Dialog zu sich sagen: „Es ist mein Thema, nichts seins/ihres. Ich versuche, auf ihn/sie im Hier und Jetzt und angemessen zu reagieren.“

Offenbleiben: Sich helfen lassen

Das Band zwischen Eltern und Kindern bleibt erhalten, auch wenn man nicht immer toll findet, was der andere macht. Entscheidend ist, wie Eltern damit umgehen. Für die Beziehung ist es wichtig zu lernen, sich in seiner Unterschiedlichkeit nicht abzulehnen, sondern zu achten. Wie das gehen kann, muss im Laufe des Lebens und damit durch alle Entwicklungsphasen von Kindern und Eltern immer mal wieder neu- oder weiterentwickelt werden. Weil das manchmal nicht so einfach ist, nutzen manche Eltern die neutrale Hilfe eines Profis. Dies ist besonders für die Menschen hilfreich, denen das Leben schon schlimme Verletzungen zugemutet hat und die sich wünschen, dass sich solche Dinge mit den eigenen Kindern nicht wiederholen.

Autorin: Marthe Kniep, Diplom-Pädagogin und Systemische Familientherapeutin aus Jesteburg​

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