Kristina Vogel im Interview: "Sport gibt mir Freiheit"
Olympiasiegerin Kristina Vogel spricht im Interview über die Diagnose nach ihrem lebensverändernden Unfall, was ihr Sport heute bedeutet und ihr Engagement für Wings For Life.
Sie fuhr nicht nur mehrmals Weltrekordgeschwindigkeit, sondern holte auch zwei Olympiasiege in den Jahren 2012 und 2016 und insgesamt elf Weltmeister- und fünf Europameistertitel. Doch im Juni 2018 veränderte sich das Leben der Leistungssportlerin Kristina Vogel für immer: Nach einem Trainingsunfall ist sie querschnittsgelähmt. Sechs Monate verbrachte sie im Krankenhaus und kämpfte sich zurück.
Inzwischen ist sie nicht nur in ihren Dienst als Polizistin bei der Bundespolizei zurückgekehrt und seit 2019 im Erfurter Stadtrat tätig, sie ist auch sehr aktiv auf unterschiedlichen Social-Media-Kanälen und zeigt sich dort ganz ehrlich und echt. Seit 2020 ist Kristina Vogel außerdem offizielle Botschafterin des Wings For Life World Runs.
Mit uns hat sie über ihre Gedanken nach ihrer Diagnose vor über zwei Jahren gesprochen, darüber, was ihr Sport heute und die Rolle der Botschafterin des Wings for Life World Runs bedeutet und wie es sich angefühlt hat, in diesem Jahr zum ersten Mal an dem Lauf teilgenommen zu haben.
Dein Unfall liegt heute über zwei Jahre zurück. Was waren damals deine ersten Gedanken, als du die Diagnose gehört hast?
Natürlich war es schwierig und traurig, aber für mich galt eigentlich immer: „Das ist jetzt der Standpunkt und jetzt gucken wir, wie wir weiterkommen.“ Es war für mich glaube ich auch ganz gut, dass ich schon früh gespürt habe, dass ich nicht mehr laufen kann. Das war für mich eigentlich schon klar, als ich wach geworden bin, ohne jetzt zu viel zu sagen.
Als wir dann mit dem Chefarzt noch einmal gesprochen haben, habe ich mir gedacht „Okay, das ist jetzt der Istzustand und dann gucken wir, wie es weitergeht“, weil mein Arzt im gleichen Atemzug, auch gesagt hat, dass die Lähmungshöhe, die ich habe „eine ganz gute“ ist, weil ich irgendwann selbstständig werde leben können. Das war dann auch gleich mein Ziel.
Wer oder was hat dir am meisten dabei geholfen, mit der neuen Situation umzugehen? Waren deine Zielstrebigkeit, das Mindset, das du dir in 18 Jahren als Leistungssportlerin erarbeitet hast, eine Hilfe?
Ziemlich viel. Also ich glaube gerade im Leistungssport hat man das Denken, dass wer am schnellsten ist, am Ende auch Weltmeister wird. Und man kämpft und bleibt dran, auch wenn man vielleicht das Ergebnis nicht sofort sieht. Gerade, wenn man dann dranbleibt, dann kommt das Ergebnis schon. Das lernt man natürlich im Leistungssport.
Aber darüber hinaus war ich happy, dass ich meine Familie hatte, Michael (Kristina Vogels Lebensgefährte; Anmerkung der Redaktion) hatte, der die ersten Wochen an meinem Bett geschlafen hat. Ich hatte auch Rückhalt von der Bundespolizei und wusste, ich muss keine Angst haben, wie es da mal bei mir weitergeht. So konnte ich mich wirklich erst einmal darauf konzentrieren, heilen zu müssen.
Warum sprichst du so offen über deinen Unfall und dein Schicksal?
Am Ende ist es eigentlich so, dass ich damals auch schon in der Reha gemerkt habe, bevor ich offiziell darüber gesprochen habe, dass ich Menschen so, wie ich bin, mitnehmen und motivieren kann. Und dadurch, dass ich so offen bin, erfahre ich auch so viel Liebe und bekomme so viele schöne Geschichten mit, dass es für mich jeden Tag ganz toll macht. Das ist ein Geben und Nehmen.
Welche Rolle spielt Sport heute in deinem Leben? Wie sieht dein Sportprogramm jetzt aus?
Also es spielt immer noch eine Rolle. Es macht einfach Spaß, sich selbst zu challengen. Und ich finde, wenn man fit im Alltag ist, dann fallen viele Sachen leichter. Es ist natürlich so, dass ich durch Sport eine gewisse Freiheit bekomme. Wenn ich fit bin, bin ich selbstständig. Das geht allen so und nicht nur mir. Von daher gucke ich in der Hektik des Alltags immer, wie es irgendwie passt, Sport zu machen. Manchmal klappt es besser, manchmal weniger.
Ich meine, früher war es mein Beruf und ich musste quasi jeden Tag Sport treiben. Mittlerweile, und das weiß ja jeder selbst, ist eben manchmal auch ein bisschen schwieriger, immer Sport in den Alltag einzubauen. Diese Probleme mache ich auch mit. Nichtsdestotrotz macht es mir sehr viel Spaß.
Ich gehe gerne in den Kraftraum und habe mir auch einen Personal Trainer, den André Büttner, gesucht, der mit mir Übungen macht, die Spaß machen und mich challengen – denn die Sportler-DNA geht nicht einfach weg – die aber auch Sinn für meinen Alltag machen, damit ich da fitter bin. Außerdem fahre ich auch gerne Handbike.
Seit diesem Jahr bist du Botschafterin des Wings For Life World Runs. Wie ist es dazu gekommen und was bedeutet es für dich?
Ich war letztes Jahr beim Run in München mit dabei (als Zuschauerin; Anmerkung der Redaktion) und war, wenn ich ehrlich bin, fast zu Tränen gerührt, wie viele Menschen da für mich, für unser Schicksal der Welt, mitlaufen und etwas dafür tun wollen aufgrund von ganz verschiedenen Ambitionen. Wie viele Hundertausende Menschen dort mitgelaufen sind - das war der Wahnsinn.
Tatsächlich war es so, dass ich dann darauf angesprochen wurde, ob ich mir das (Botschafterin zu werden; Anmerkung der Redaktion) vorstellen kann und ich mir dann gedacht habe „Warum eigentlich nicht?“ Ich wollte schon immer gerne Teil dieser Community sein.
Ich sehe es auch als Verbindung. Weil ich merke, dass es manchmal als Rollstuhlfahrer schwierig ist. Allein schon, wenn man zum Beispiel ein Rollstuhlteil googeln möchte, dann fällt das schwerer, als wenn es um ein Telefon oder eine Kamera geht. Da gibt es Tausende YouTube-Videos und Berichte.
Darum ist es für mich auch so wichtig, diese Verbindung zu tragen und zum Beispiel zu sagen „Hier ist es. Ich kann vielleicht helfen. Dieses Teil ist zum Beispiel cool.“ Und gemeinsam können wir dafür kämpfen, dass es nicht das endgültige Schicksal ist. Die Wissenschaft arbeitet weiter und in der Zeit kann ich motivieren und helfen.
Der große Wings for Life World Run Anfang Mai in München musste abgesagt werden, dennoch fand der Lauf virtuell via App statt. Du selbst hast auch teilgenommen. Wie hat sich das angefühlt?
Da ich schon im letzten Jahr dabei gewesen bin, war es total schön. Weil ich mich auch daran erinnern konnte, wie es letztes Jahr gewesen ist. Diese Gefühle habe ich mitgenommen und dann war es auch sehr beflügelnd.
Aufgrund der Höhe deiner Querschnittslähmung bist du Risikopatientin. Wie hast du die letzten Monate erlebt? Wie hat sich dein Alltag aufgrund der Corona-Pandemie verändert?
Ich war zuerst einmal ganz schnell in Quarantäne. Allein schon aus Respekt anderen gegenüber und mir selbst gegenüber natürlich auch. Ich sage immer, man muss es positiv sehen: Es ist ja auch schön zu gucken, was noch so zu Hause passiert. Ich habe viel für meine Selbstständigkeit tun können. Ich habe zum Beispiel geschaut, wie ich am besten wischen, am besten ein Bett beziehen kann. Für mich war das eben auch ein großer Punkt: meine Selbstständigkeit zu Hause.
Jetzt bin ich natürlich nach wie vor vorsichtig, aber gehe raus. Wir müssen ja alle arbeiten.
Du sollst dir nach deinem Unfall noch im Krankenhaus eine „Bucket List“ zusammengestellt haben. Was steht noch auf dieser Liste und was hast du schon gemacht?
Ich war auf Reisen, ich war auf einem Konzert, was ich schon immer machen wollte, ich habe ein Boot getauft, die Bad Düben der Bundespolizei, was eine große Ehre ist, und ansonsten geht es eben vor allem um Dinge, die mit Freiheiten zu tun haben.
Danke für deine Zeit, liebe Kristina!
Das Datum für den nächsten Wings For Life World Run steht übrigens schon: Geplant ist der Lauf für den 9. Mai 2021. Ungefähr zwei Monate zuvor, am 1. März 2021 erscheint Kristina Vogels Buch "Immer noch ich. Nur anders", von dem sie hofft, "dass andere Menschen davon etwas mitnehmen können". Für sie ist ihr Buch schlussendlich aber auch "etwas Tolles, was man seinen Kindern mitgeben kann. Die Geschichte von Mama."
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