Leben mit dem Down Syndrom: „Meine Tochter hat Special Effects“
Sonea ist neun Jahre alt und ein ganz normales Mädchen. Sie mag Meerjungfrauen und hat das Down Syndrom. Ihre Mutter Katharina Weides spricht mit Wunderweib über ihren Kampf gegen Vorurteile.
Katharina Weides lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Köln. Auf ihrem Blog „Sonea Sonnenschein“ schreibt sie über das „völlig normale Leben, nur anders“. Heißt: Ihr Alltag als Mama einer Tochter und eines Sohns, die beide ganz normal sind. Nur dass die neunjährige Sonea eben das Down Syndrom hat.
Mama-Bloggerin Katharina Weides im Interview mit Wunderweib
Aus welchem Impuls heraus hast du deinen Mama-Blog gestartet?
"Mein Mann hat zwei Monate nach der Geburt eine Homepage gemacht und angefangen Fotos hochzuladen. Bis zu Soneas Geburt hat er keine Menschen fotografiert. Ich hatte über diese Fotos hinaus das Bedürfnis, einfach aus unserem Alltag zu berichten. Um vor allem einen kleinen Gegenpol zu bilden, zu den Sachen die man findet, wenn man das Down-Syndrom googelt.
Da kam 2009 nämlich vor allem: Geringe Lebenserwartung, furchtbare Bilder. Das hat sich in den letzten Jahren aber geändert, die Toleranz gegenüber dem Down Syndrom ist gewachsen – nichtsdestotrotz ist die Abtreibungsrate gestiegen.
Als ich angefangen habe zu bloggen, war es sicherlich auch eine Bewältigung der Diagnose. Das Schreiben hilft mir im Alltag, meine Gedanken zu sortieren und mir über Dinge klar zu werden."
Was gibt dir die Kraft, Arbeit, Familie und Blog unter einen Hut zu bekommen?
„Das Feedback! Wenn ich nicht wüsste, dass es die Leute interessiert, würde ich es nicht machen. Aber wenn ich blogge oder etwas auf Instagram teile, kommt immer etwas zurück. Das ist mein Verdienst und das motiviert mich.“
Seit wann bist auf Instagram?
"Ungefähr seit drei Jahren. Ich bin ein sehr visueller Typ, deswegen ist Instagram definitiv eins meiner Lieblingsmedien. Das Feedback ist schneller dort. Und ich mag einfach Bilder gucken. Es ist mal was anderes. Ich habe auch den Eindruck, dass der Ton auf Instagram deutlich freundlicher ist, als auf anderen Portalen.“
Du hast ein Bild auf Instagram geteilt, das kurz nach Soneas Geburt entstand. Wann hast du erfahren, dass Sonea das Down Syndrom hat?
„Ich weiß noch eine Situation im Schwesternzimmer. Sonea hatte ganz spitze Ohren, weil die wohl geknickt wurden im Bauch, da hab ich nur gesagt, 'die sieht ja aus wie eine kleine Fledermaus mit ihren Öhrchen'. Da sagte die Schwester nur: 'Ja, das ist nicht die einzige Besonderheit an ihrer Tochter.' Und ich dachte nur: Hm, naja, sieht halt aus wie ihr Opa. Sonst konnte ich nichts feststellen.
Abends als ich dann ganz alleine mit ihr war, schoss mir das Down Syndrom plötzlich durch den Kopf. Ja, den ersten Tag und die erste Nacht war Sonea einfach ein ganz normales Baby und am nächsten Morgen habe ich die Diagnose dann vom Kinderarzt ziemlich unsanft um die Ohren gepfeffert bekommen."
"Ich hatte die ganze Schwangerschaft über eine komische Vorahnung"
Gab es während der Schwangerschaft schon Hinweise darauf, dass Sonea das Down Syndrom haben könnte?
"Um die 22. Woche hatten wir ein Organ-Screening gemacht. Da hat dann die Ärztin im Krankenhaus gesagt, 'Ihre Tochter hat einen Soft Marker fürs Down Syndrom, den White Spot, ein weißer Fleck im Herzen.' Aber sie hätte sie ganz genau angeschaut und war sicher, mein Kind hätte kein Down Syndrom. Aber ich hatte die ganze Schwangerschaft über so eine komische Vorahnung.
Dann hatte ich in der 29. Woche nochmal eine Untersuchung und die Ärztin war ganz nachdenklich und komisch. Ich denke, dass sie was gesehen hat, aber nichts sagen wollte. Einfach aufgrund der Tatsache, dass ich in 10 Wochen mein Kind kriegen sollte und alleine da war. Ich bin ihr ganz dankbar dafür, denn was hätte es geändert?"
Was würdest du Müttern heute raten, die in der Schwangerschaft vom Down Syndrom erfahren?
"Ich finde es jedes Mal unglaublich traurig, wenn ein Kind mit Down Syndrom nicht leben darf – aber es ist nicht mein Leben. Ich kann nicht mitreden, weil ich diese Entscheidung selbst nicht treffen konnte. Ich kenne heute beides – Paare, die sich für, aber auch gegen ein Kind entschieden haben. Und es ist tatsächlich so, dass die meisten Ärzte zum Abbruch raten. 95 Prozent werden abgetrieben.
Also die Toleranz gegenüber Sonea ist sehr groß. Sie ist mitten im Leben. Aber ich glaube, die meisten Leute können sich einfach nicht vorstellen, ein behindertes Kind zu kriegen und das kann ich nicht verurteilen, weil das konnte ich vorher auch nicht."
Wenn man sich für das Kind entschieden hat – kannst du Eltern ein Stück weit die Angst nehmen?
"Ich hatte auf jeden Fall schon Kontakt zu Müttern, die frisch die Diagnose bekommen haben und ich weiß noch, wie traurig die waren. Eine Mutter hat dann zu mir gesagt: 'Was ist, wenn mein Sohn niemals Mama sagen kann?“'und in dem Moment kam Sonea um die Ecke und rief nach mir."
Wie ist denn bei Sonea der Stand?
"Also gesundheitlich ist sie topfit. Im Moment sind übrigens Meerjungfrauen bei ihr ganz angesagt. Sie ist auch total pfiffig, spricht ganz normal, grammatikalisch manchmal etwas durcheinander, sie rechnet, sie liest total gerne. Aber: Sie merkt ganz deutlich, sie ist anders als die anderen Kinder. Und das stört sie. Sie kann Dinge nicht so schnell lernen wie andere."
"Kinder mit Down Syndrom haben einen Arschloch-Filter"
Du bezeichnest Soneas Down Syndrom oft als Special Effects. Welche davon hast du am liebsten?
„Ihren Humor! Und ich glaube, ich kenne niemanden, der so einfühlsam ist, wie Sonea. Eine Mutter hat mal gesagt, Kinder mit Down-Syndrom haben einen „Arschloch-Filter“. Die merken ganz genau ob jemand gut oder schlecht ist. Und ich weiß, wenn Sonea jemanden nicht mag, dann hat das seinen Grund.
Sonea sind übrigens Geburtstage heilig. Sie würde am liebsten jeden Tag Geburtstag feiern, manchmal deckt sie hier einfach den Tisch und sagt: So, wir feiern jetzt den Geburtstag von dem und dem."
Feiert sie auch den Muttertag gerne?
„Letztes Jahr – das habe ich auch total genossen – da haben die Kinder gewetteifert, wer das schönere Geschenk bastelt. Ich muss immer noch darüber lachen. Mein Sohn hatte mir eine Blume aus Filz und Pappe in einem Blumentopf gebastelt. Und Sonea guckte und sagte: 'Ist das dein Ernst? Du schenkst der Mama eine Klobürste?'“
"Durch Sonea haben wir viel über uns selbst gelernt"
Kannst du heute sogar etwas Positives in der Diagnose sehen?
"Auf jeden Fall! Aber das dauert seine Zeit. Durch Sonea haben wir viel über uns selbst gelernt und unser Blickwinkel auf das Leben hat sich verändert. Ich glaube, so jemanden in der Familie zu haben, das erdet einen auch nochmal ganz anders. Ich mein, heutzutage sind alle total leistungsorientiert und durch Sonea habe ich einfach gelernt zu sagen: Nein, ich muss nicht in allem perfekt sein. Das will ich auch auf meinem Blog zeigen."
Das ist deine Botschaft?
"Mein Blog steht dafür, dass sich das Bild über das Down Syndrom in der Gesellschaft auch verändert. Ich möchte, dass meine Tochter akzeptiert und respektiert wird und dass sie in einer Welt leben kann, in der ein Down Syndrom nicht unbedingt wie eine Behinderung angesehen wird.
Mein Leben mit dem Besonderen ist auch eine Rubrik auf dem Blog – ich will zeigen, dass jeder etwas in seinem Leben hat, das ihn von anderen unterscheidet. Da ist auch schonmal eine Familie dabei gewesen, die ganz normal ist und darüber geschrieben hat, was sie besonders macht."
Hast du abschließend einen Rat an andere Mütter?
"Ich würde sagen, dass man sich nie zu ernst nehmen sollte. Ich bin immer für leben und leben lassen. Ich hab auch einfach gelernt, dass man mit Humor in der Erziehung viel weiter kommt. Gerade wenn mein Sohn wieder am Rumtrotzen ist - dann schmeiß ich mich eben auch auf den Boden und mach was total Unerwartetes. Lieber improvisieren als alles durchplanen!"
Vielen Dank für das schöne Gespräch!