Mutiger Bildband

Liebe und Opfer: Leben mit einem behinderten Kind

Leon Borensztein hat seine behinderte Tochter großgezogen - und will mit seinem Bildband "Sharon" anderen Eltern Mut machen.

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„Ehrlich gesagt wollte ich niemals Kinder haben. Ich hatte Angst, dass ich der enormen Herausforderung ein Vater zu sein, nicht gewachsen sein würde. Doch als ich erfahren habe, dass meine Frau Cathy schwanger ist, erwachte sofort der tiefe Wunsch in mir, unserem Kind der bestmögliche Vater zu sein.“

Wenn du eines Tages erfährst, dass du schwanger bist und ein Baby erwartest, wünscht du dir nichts mehr, als dass dein Baby gesund zur Welt kommt. Doch was, wenn dein geliebtes Kind nicht gesund ist?

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Genau das ist Leon Borensztein, einem Fotografen auf San Francisco, und seiner Frau Cathy geschehen. Ihre Tochter Sharon kam 1984 behindert zur Welt.

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„Schon kurz nach der Geburt merkten wir, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Ich bin Fotograf und arbeite gerne mit Kindern, es fällt mir leicht, sie zum Lachen zu bringen. Doch mein kleines Mädchen lächelte mich nie an.“

Es stellte sich heraus, dass Sharons Gehirn während der Schwangerschaft beschädigt worden war. Ihr Sehvermögen ist beeinträchtigt, sie leidet unter epileptischen Anfällen und Autismus-Symptomen, ihre Sprachentwicklung ist verzögert, die Muskeln schwach. Immer wieder muss sie zu verschiedenen Ärzten, ihre Augen werden operiert.

Leon und seine Frau Cathy lieben ihre Tochter, doch das schwierige Leben mit Sharon bringt sie beide an ihre physischen und emotionalen Grenzen. Als ihre Tochter das erste Mal von einem anderen Kind gehänselt wird, sind sie tief getroffen.

Sharons Mutter Cathy beginnt, sich mehr und mehr zurückzuziehen, sie trinkt Alkohol und nimmt Drogen. Als Sharon 12 Jahre alt ist, verlässt ihre Mutter die Familie. Leon ist darüber zutiefst betrübt:„Meine arme Sharon. Zu all ihren Problemen hat sie nun auch noch: eine kaputte Familie. Es zerreißt mir das Herz.“

Doch Leon ist für Sharon da. Er übernimmt das alleinige Sorgerecht für sie, hält ihre Hand, wenn epileptische Anfälle ihren Körper quälen, wischt den Boden auf, wenn sie sich mal wieder übergeben hat. Seinen Beruf stellt er zurück, widmet sich so gut er kann der Erziehung und Betreuung seiner Tochter.

Leon liest viel darüber, wie behinderte Menschen in unserer Gesellschaft behandelt werden. Er liest, dass gerade behinderte Frauen sehr oft Opfer von sexuellem Missbrauch werden. „Wenn ich über Sharons Zukunft nachdenke, überkommen mich so viele Sorgen und Ängste. Ich war und bin oft verzweifelt.“

Sharon in ein Heim zu geben, ist für ihn lange Zeit undenkbar.

Doch Sharon ist sehr anstrengend.

Am 28. April 2003 schreibt Leon in sein Tagebuch: „Als ich Sharon heute von der Schule abgeholt habe, hat sie wieder Theater gemacht. Sie hat mich angeschrien und geschlagen. Immer wieder schlug sie auch sich selbst ins Gesicht, schimpfte sich selbst „Schlampe“. Sie riss an ihren Haaren und biss sich selbst, bis ihre Haut blutete. Ich konnte es nicht ertragen. Doch der einzige Weg, sie da rauszuholen, war, ihr eine Ohrfeige zu geben. Also habe ich es getan. Habe ich wirklich ihre physische Gewalt durch meine gestoppt? Gott, gibt es keinen Weg hier heraus?

An manchen Tagen stellt Sharon von morgens bis abends dutzende Male die gleiche Frage. „In diesen Momenten kann ich ihre Stimme nicht mehr hören. Ich bekomme dann Schmerzen in meiner Brust. Mein Magen dreht sich um, meine Gelenke tun weh. Doch ich versuche, zu verbergen, wie ich mich fühle. Sie kann schließlich nichts dafür. Es ist nicht Sharons Fehler. Das Leben ist einfach unfair.“

Leon klammert sich an positive Gedanken: „Habe ich das Recht, mich zu beschweren? Was ist mit den Kindern, die nur wenige Jahre oder Monate zu leben haben? Was ist mit den Eltern von Kindern, die Krebs haben, Herzprobleme, was ist mit den Eltern von querschnittsgelähmten Kindern? Sie haben das Recht, sich zu beschweren. Immerhin, mein schönes Mädchen kann selbstständig essen, laufen, auf ihre Weise mit uns kommunizieren. Langsam aber sicher entwickelt sie sich.

Die große Liebe, die Leon für seine Tochter empfindet und die glücklichen Momente, wenn etwa Sharon ihren Vater innig umarmt, geben ihm lange Zeit die Kraft, alleine für sie zu sorgen.

Erst 2013, als Sharon 30 Jahre alt ist, beschließt er, ein eigenes Zuhause für Sharon zu suchen.

An Familie und Freunde schreibt er: „Ich habe ein Heim für Sharon gefunden. Bitte verurteilt mich nicht für diese Entscheidung. Ich habe jetzt 15 Jahre lang alleine für Sharon gesorgt. Es waren unglaubliche Jahre. Ich war kein perfekter Vater, aber ich habe mein Versprechen gehalten: Sharon ist gesund, glücklich und in Sicherheit. Wir haben großartige Momente zusammen erlebt. Sharon ist sehr kooperativ und sie gibt sich große Mühe freundlich und gut zu sein. Ich liebe sie bedingungslos. Doch ich bin emotional und physisch völlig ausgelaugt. Sharon ist jetzt erwachsen genug, um selbstständig weiterzugehen. Wenn ich künftig wieder mehr Zeit für mich habe, werde ich länger leben. Und wenn ich länger lebe, kann ich länger auf Sharon aufpassen. Darum bitte ich um euer Verständnis.“

Inzwischen lebt Sharon schon eine Weile in dem Heim. Ihren Vater darf sie jedes Wochenende besuchen. Sie vermisst ihn zwar, aber sie fühlt sich auch in ihrem neuen Zuhause wohl. Sie versteht sich blendend mit ihrer Zimmernachbarin.

Leon ist zufrieden mit seiner Entscheidung: „Ich vermisse meine Tochter ganz schrecklich. Aber sie braucht ihren Freiraum und ich brauche meinen. Während ich an diesem Buch gearbeitet habe, habe ich mir immer wieder ihre Bilder angesehen und gestaunt, wie schön sie geworden ist. Sie zaubert ein Lächeln ein Gesicht und füllt mein Herz mit Wärme.“

Wenn Vater und Tochter sich jetzt wieder sehen, genießen sie die gemeinsame Zeit umso mehr.

Die ganze Geschichte von Leon und seiner Tochter Sharon lest ihr im Bildband "Sharon", Kehrer-Verlag, ISBN 978-3-86828-661-8, Euro 39,90. In Berlin ist das Buch in der Buchhandlung 25 Books erhältlich.

Kontakt zu Leon Borensztein ist über seine Webseite möglich: www.leonborensztein.com

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