Shibari: Die japanische Fesselkunst geht weit über Sex hinaus
Bei Shibari wird nicht zur Bestrafung gefesselt. Die japanische Fesselkunst spielt mit Erotik, Pose und Vertrauen.
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Ein halbnackter Körper, kniend in einer sanften, devoten Pose, die Hände auf den Rücken gefesselt, Unterschenkel wie Oberkörper streng von Seilen umfasst. An den unterschiedlichsten Stellen setzen kunstvoll geschwungene Seilknoten Akzente auf die oder den Gefesselte*n. Auf den ersten Blick wirkt die japanischen Fesselkunst Shibari wie für ein Foto inszenierte Popkultur. Erotisch? Ja. Aber auch echt? Wohl kaum, würden die meisten auf den ersten Blick sagen... Aber weit gefehlt! Wir haben für euch die wichtigsten Infos über Shibaribondage – inklusive eines intimen Berichts eines Shibari-Anfängers.
Shibari: Erotischer Teil der BDSM-Welt
Shibari wird auch Japan-Bondage, Shibaribondage oder Kinbaku genannt. Ursprünglich stammt der Begriff aus Japan und ist auf die traditionelle militärische Fesseltechnik Hojōjutsu zurückzuführen. Shibari ist überraschend neu in der Welt der Erotik: Erst in den 1950er-Jahren hat sich die Praktik zu einem Teil des modernen BDSM entwickelt.
Doch anders als beim traditionellen Bondage geht es bei Shibaribondage nicht darum, Macht auszuüben. Bestrafung, Erniedrigung, Qual & Co. wie bei BDSM können auf Wunsch in die Spielart eingebaut werden, allerdings geht es vielmehr um Ästhetik, Achtsamkeit und Vertrauen.
Shibari bedeutet nicht immer Sex
Erotik kann und darf bei Shibaribondage eine Rolle spielen, muss es aber nicht. Für manche geht es bei der japanischen Fesselkunst um Meditation, einen künstlerischen Ausdruck oder schlichtweg um sportlichen Ehrgeiz. Den Großteil der angebotenen Shibari-Kurse kann man als Single besuchen, weil dort das Handwerk des Fesselns gelehrt wird und keine Sexpraktiken.
Jedes Paar trifft nach den Lehrgängen im Privaten die individuelle Entscheidung, ob es während, vor oder nach dem Fesseln zum Sex kommt oder nicht. Wie bei BDSM-Spielen gilt: Konsens ist ein Muss.
So funktioniert die japanische Fesselkunst
Der aktive Part bei Shibari ist der Bakushi (wörtl. Fesselmeister*in) oder auch Rigger. Er fesselt den passiven Part – Ukete (wörtl. empfangende Hand), Bunny, Rope-Bottom oder wertfreier Modell genannt. Es gibt eine Vielzahl von Fesselarten und verschiedene Knoten beim Shibaribondage. Anders als bei zärtlichen Fesselspielen steht hier die Ästhetik der angebrachten Seile und Knoten im Fokus. Shibari bringt nicht nur Lust, sondern sieht auch schön aus.
Nicht immer muss der gesamte Körper gefesselt werden, häufig werden nur einzelne Körperteile oder -regionen gebunden. Die Pose der/des Gefesselten ist zentral: kniend, liegend, Hände vor oder hinter dem Rücken und vieles mehr. Benutzt werden Seile aus Hanf oder Jute, die zu kunstvollen Formen auf dem Körper geknotet werden. Auch Bambusstäbe, Aufhängehalterungen und andere Tools können ins Shibari eingebaut werden.
Dieses Video zeigt eine Shibari-Performance:
Shibari-Stile: Von zart bis hart
In der Welt des Shibari gibt es verschiedene Stile, die jeweils einen anderen Fokus mit sich bringen. Zu den wichtigsten gehören:
Semenawa: Hier liegt der Fokus auf Kompression, Schmerz und anstrengenden Körperpositionen. Eine starke Führung und große Hingabe des Modells sind Voraussetzung.
Shūchinawa: Dieser Shibari-Stil spielt mit Pose und Scham. Die Emotionen der/des Gefesselten während der Session werden in den Fokus gerückt.
Osada-Ryû: Einer der bekanntesten Shibari-Stile. 2007 entwickelt und benannt nach seinem Erfinder, dem Berliner Fotografen Osada Steve. Legt den Fokus auf die Grundlagen des Shibari und eignet sich für Anfänger*innen.
Yukimura-Ryû: Gilt als besonders intim und gefühlvoll und legt den Fokus auf Erotik und Sinnlichkeit. Bekannt ist der Stil für fließende Übergänge zwischen sanftem und restriktivem Fesseln. Gefesselt wird hauptsächlich auf dem Boden, hängende Posen sind die Ausnahme.
Shibari-Anleitung: Wo kann ich das lernen?
Es gibt zahlreiche Institute in Deutschland, die die Kunst des Shibari lehren. Fast immer kann man an den Kursen auch als Single teilnehmen.
Um einen ersten Eindruck zu gewinnen, bietet sich ein Online-Kurs an. Einer der größten Anbieter ist "Shibari Study". Neben kostenpflichtigen Kursen hat das Team rund um Mitbegründerin Marika Leila Roux einen frei zugänglichen, zehnteiligen Sicherheitskurs online gestellt, den man sich anschauen sollte, bevor man mit egal welcher Form der Fesselspiele loslegt. Hier erfährt man auch, warum es wichtig ist, Shibari als Handwerk zu lernen und welche körperlichen Schäden falsch sitzende Fesseln hervorrufen können. Wie auch beim BDSM kann Unwissenheit hier gefährlich sein.
Shibari: Sicherheit ist der Grundbaustein
Shibari ist ein Handwerk, das gelernt werden muss. Der Rigger übernimmt die Verantwortung für sein Handeln.
Jeder Handgriff und jeder Knoten bei Shibari muss gewissenhaft durchgeführt werden, sonst kann es zu ernsthaften Quetschungen und langfristigen Schäden kommen. Der Rigger muss die Reaktionen seines Modells ständig im Blick haben und darauf achten, dass die Blutzufuhr zu einzelnen Körperteilen nicht (zu lange) unterbrochen wird. Idealerweise sollten immer zwei Finger zwischen Haut und Seil passen.
Am besten hat man stets ein Messer oder eine Schere griffbereit, um im Ernstfall schnell reagieren zu können. Besonders wichtig ist es, die gefesselte Person niemals allein zu lassen!
Hagen Alkis betont in seinem Buch ebenfalls, wie wichtige die seelische Gesundheit des Modells ist. Der Rigger muss die Grenzen des Modells einhalten.
Shibari: Erfahrungen eines Anfängers
Wir haben mit Leon* gesprochen, einem 26-jährigen Studenten, der vor sechs Monaten mit Shibari angefangen hat. Hier verrät er uns, was ihn an der japanischen Fesselkunst reizt.
"Ich bin ein Mensch, der gerne neue Dinge ausprobiert und seine Sexualität sehr offen auslebt. Da ich auch sehr gerne male und kreativ bin, war ich bei Shibari direkt von dem künstlerischen Umgang mit den Seilen fasziniert. Zusammen mit meiner Ex-Freundin habe ich dann meine ersten Erfahrungen gesammelt und habe gemerkt, wie viel Spaß es mir macht, nicht nur mein Gegenüber zu fesseln, sondern die Fesseln selbst zu spüren.
Auch wenn Einige mit Fesseln wahrscheinlich direkt Schmerzen assoziieren, wird es sie überraschen, dass die Seile eigentlich eine sehr beruhigende und entschleunigende Wirkung haben. So habe ich es zumindest empfunden, als ich die Position des Gefesselten eingenommen habe. Das Seilkonstrukt gibt einem ein Gefühl von Geborgenheit und man hört auf, sich Gedanken über sein Äußeres zu machen. Man kommt in einen Zustand, in dem man sich als Gefesselter einfach nur noch schön und befreit fühlt. Ein bisschen, als ob man ein sehr bequemes Outfit anhat.
Jede*r muss letztendlich selbst entscheiden, wie weit sie/er gehen möchte – ob der Fokus also eher auf dem Fesselspiel liegt oder das Sexuelle im Vordergrund steht. Ich habe zum Beispiel nicht immer direkt Sex, sondern zeichne meine Bunnys auch einfach gerne im gefesselten Zustand, da mir die Ästhetik gefällt. Aber für mich geht es auch ganz klar um Leidenschaft und Lust. Wenn ich meinem Bunny zu Beginn des Shibari die ersten Seile um den Körper binde und ihr dabei schon ein genussvolles Stöhnen entweicht, löst das auch in mir Erregung und Glücksgefühle aus."
*Name von der Redaktion geändert
Autorin: Sofia Mönter Jaime
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Quellen
Shibari Für Anfänger: Entdeckung Der Schönheit Und Eleganz Von Kinbaku – Eine Illustrierte Einführung in Das Japan-bondage. Independently published (19. Januar 2024), 135 Seiten
Hagen Alkis: Fesseln lernen – Anleitung zum Shibari-Bondage. Books on Demand; 1. Edition (27. Oktober 2023), 162 Seiten
Artikelbild & Social Media: NadyaPhoto/iStock