Trauer-Hilfe

Wie kann ich einer Freundin nach einer Fehlgeburt helfen?

Völlig egal, in welchem Moment eine Frau ihr Baby verliert, wenn ein Kind stirbt, ist der Schmerz unfassbar tief. Wie wir den trauernden Eltern in so einer Zeit helfen können, schildert hier eine Frau, deren Freundin Zwillinge verloren hat.

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"Wir sind unendlich traurig."

„Unsere Zwillinge sind zur Welt gekommen und wir mussten sie gleich wieder hergeben. Wir sind unendlich traurig!“ Diese Nachricht meiner Freundin erreichte mich vor einigen Jahren in der Redaktion und trifft mich wie ein Schlag. Für mich war es immer eine der schlimmsten Vorstellungen, ein freudig erwartetes Kind zu verlieren. Und ich danke Gott, dass mir dieses Schicksal erspart geblieben ist.

Doch nun war dieses schwere Thema auf anderem Weg ganz nah an mich herangekommen, und ich musste reagieren. Ich wollte für sie da sein! Aber ich wollte auf keinen Fall, dass meine eigenen Tränen, meine Verlustängste oder Berührungsängste mit Tod und Trauer meine Freundin in dieser Zeit noch zusätzlich belasten. Aber was ist jetzt das Richtige? Das lässt sich sicher nicht allgemein beantworten. Trauer und Trauerbegleitung sind zutiefst individuelle Prozesse. Aber vielleicht kann ich hiermit etwas dazu beitragen, dass Sie sich gewappnet fühlen, wenn es Ihnen jemals ähnlich gehen sollte wie mir – weil eine Freundin sie braucht.

Was sag ich einer Freundin, die gerade zwei Kinder betrauert?

Ich kenne mich: Wenn es drauf ankommt, fällt mir immer was ein. Aber was sag ich einer Freundin, die gerade zwei Kinder betrauert? „Es tut mir sooo Leid und ich bin mit euch traurig.“ So oder ähnlich habe ich angefangen in unserem ersten Telefonat nach der traurigen Botschaft. Das war irgendwie stimmig und alles andere hat sich zum Glück ergeben. Sie erzählte, was ihr alles widerfahren ist und ich habe einfach zugehört. Ein offenes Ohr - auch für die bitteren Details - und sich selbst hintenan zu stellen, ist rückblickend sehr wichtig gewesen. Ich denke, ihr hat es geholfen, ihr Schicksal irgendwie zu fassen und in ihr Leben zu integrieren.

Sie erzählte mir von der ganzen Dramatik rund um die Geburt. Beide Kinder waren noch ein bisschen zu klein, um es zu schaffen. Ihr Weg ins Leben war an diesem Tag zu Ende. Einer ihrer Jungen kam bereits tot zur Welt. Der etwas stärkere von ihnen hat in den Armen seines Vaters seine ersten und letzten Atemzüge versucht. Dann ist auch er gestorben. Noch heute muss ich bei dem Gedanken an diese Situation weinen. Diese Schmerzen erleiden und dann beide verlieren. Wie soll ein Mensch das verkraften!?

Meine Freundin und ich haben schon so manche Träne zusammen vergossen und viele Dinge gemeinsam betrauert, die uns das Leben in der Vergangenheit zugemutet hat. Aber jetzt war es anders. So unmittelbar. Und irgendwie war es tröstlich für mich, dass ich jetzt für sie da sein konnte. In ihren Augen bin ich etwas wie die große Schwester, die sie nie hatte. Wir haben sogar dieselbe seltene Blutgruppe. Und wo wir gerade beim Thema Familie sind: In so einem Moment lernt man auch seine Familie noch mal ganz anders kennen. Aber dazu später.

Wir hatten jedenfalls aus unseren Familien beide keine Erfahrung und keine Sicherheit darin, wie eine gesunde Trauerbewältigung aussehen kann. Doch wir haben viel darüber gelernt, wie wichtig es ist, Trauer nicht zu verdrängen. Für einen selbst, für die Partnerschaft und – was viele nicht auf dem Zettel haben – auch für die Nachfolgekinder. Soweit die Theorie.

Im Krankenhaus hatte man meine Freundin zum Glück einfühlsam auf den Verein Sternenkinder, den es ihrer Stadt gibt, hingewiesen." Sternenkinder " sind Kinder, die in einem frühen Stadium der Schwangerschaft im Mutterleib versterben (Gewicht unter 500 g). Es werden aber auch früh verstorbene Kinder so bezeichnet. Der Verein organisiert anonyme Trauerfeiern und Erdbestattungen für Sternenkinder und steht Sternenkindeltern zur Seite. Davon hatte ich zuvor noch nie gehört. Ein Hinweis darauf, wie allein sich viele Eltern mit diesem Schicksaal fühlen. Oft bleibt der frühe Abbruch der Schwangerschaft ja schließlich für die Umwelt unbemerkt. Für meine Freundin war der Verein eine hilfreiche Anlaufstelle. Denn sie hat sich eine würdevolle Beisetzung ihrer Kinder gewünscht. Und genau das sollte sie dort erleben dürfen.

„Ich komme, wenn du das möchtest“ bot ich ihr an. Ihre eigenen Eltern hatten nämlich für sich beschlossen, den Tag der Beerdigung als Gedenktag zu bezeichnen und nicht anzureisen. Tatsächlich war es auch ein Teil unserer Gespräche, diese Verletzung zusammen zu verarbeiten. Als ob der Tod der Kinder nicht genug wäre, holt sie in diesen Stunden der ganze Mist in der eigenen Familie auch noch wieder ein. Umso wichtiger war mir, sie jetzt nicht allein zu lassen, auch wenn ihr Freund und dessen Eltern an ihrer Seite waren. Sie hat mein Angebot erleichtert angenommen. Was das Wort Beistand wirklich bedeutet, hab ich jetzt erst angefangen ganz tief zu verstehen: Du kannst es nicht für sie ändern. Aber Du kannst es mit ihr durchstehen, mitfühlen, zusammen weinen oder schimpfen, gemeinsam schweigen und sie halten.

Es war ein kalter Morgen, als wir zur Kapelle fuhren. „Sag mir, wenn ich etwas für Dich tun kann. Egal, was es ist.“ Dass ich das tun würde, war ihr ohnehin klar. Doch wenn Du eine Freundin hast, die immer um Haltung und gute Organisation im Vorfeld bemüht ist (Ja. Selbst bei der Beerdigung ihrer Kinder), brauchte es diese extra Einladung. Im Zweifel einfach machen, dachte ich mir. Und das passte.

Während der nächsten Stunde blieb ich an ihrer Seite oder eben auch hinter ihr, wenn mir dieser Platz nicht zustand. Wir hielten gemeinsam inne vor den Kindersärgen. „Sind da meine Kinder drinnen?“ höre ich sie noch fragen. Die Gewissheit darüber zu haben, war so wichtig. Das Paar nicht stören aber da sein, einen Platz vorschlagen, wo alle zusammen hinpassten und sie hinführen, gemeinsam die liebevollen Details in der Kapelle betrachten, die der Verein für die Angehörigen an diesem Tag hergerichtet hatte – es klingt banal, aber genau diese Dinge helfen in Momenten wie diesen.

Es waren viele Kinder anwesend, die mit ihren Eltern um ein verstorbenes Geschwisterkind trauerten. Sie haben eine gewisse Leichtigkeit mitgebracht und uns vor Augen geführt, dass selbst an einem Tag wie diesem gelacht und getobt werden darf, damit das Ganze überhaupt erträglich ist. Und wo es etwas zu kichern oder zu schmunzeln gab, haben wir uns das zusammen erlaubt.

Die Trauerstunde war sehr würdevoll und tragend. Eltern, die in den Jahren zuvor hier ein Kind betrauert hatten, summten im Chor das Kinderlied: Weißt du wie viel Sternlein stehen…? An diesem Ort war es tröstlich, zu spüren, dass meine Freundin und ihr heutiger Mann nicht allein waren mit ihrer Trauer. Es gibt so viele, denen dasselbe passiert ist , von denen wir es nicht mitkriegen! Mit der Beisetzung folgte nun endlich der Moment, ab dem alles ruhig werden konnte. Es gab jetzt einen Ort für die Kinder. Wie wichtig ein Tag und Ort zum Trauern ist, habe ich hier verinnerlicht. Ich hatte Blumen mitgebracht, von denen ich wusste, dass sie ihr gefallen würden. Gerade an diesem Tag zählen die kleinen, wortlosen Gesten.

Ilustration: Gestern war ich noch schwanger / Nicole Schäufler

Wir fuhren dann nach Hause zum Essen. Und auch hier wurde mir wieder klar, wie wichtig das „drüber reden“ und mein Zuhören für die Verarbeitung war. Viele Details der Trauerfeier haben wir Revue passieren lassen. So gern wir lieber nur nach vorn schauen wollten. Beim Essen mit ihren Schwiegereltern wurde es dann zeitweise zu meiner unausgesprochenen Aufgabe, meine Freundin diplomatisch vor unsensiblen Aktionen ihrer Umwelt zu schützen. Das kann ich gut und sie schätzt das an mir. Also hab ich einfach geregelt, was es in dieser Hinsicht zu regeln gab. Normalerweise kann sie sich gut selber wehren. Aber an Tagen wie diesen ist eben alles anders.

Ich hatte so viele Manschetten vor diesen Stunden, in denen ich meiner Freundin beistehen wollte, ohne zu wissen, wie ich das überhaupt selber verkrafte. Rückblickend bin ich dankbar, dass ich sie auf ihrem schweren Weg begleiten konnte. Ich durfte erfahren, wie wichtig Beistand in Gemeinschaft in solchen Stunden ist. Mir ist noch deutlicher geworden, was für ein Geschenk es ist, gesunde Kinder in der Zeit bekommen zu haben, in der ich sie mir gewünscht habe. Und mir ist einmal mehr klar geworden, wie achtsam wir sein müssen, wenn wir kinderlosen Paaren begegnen. „Wollt ihr keine Kinder?“ Diese Frage mute ich schon lange niemandem mehr zu. Aber anders als früher denke ich heute dabei auch an die Möglichkeit, vor Sternenkindeltern zu stehen.

Haben Sie also keine Angst, wenn eine Freundin oder ein Freund Sie nach einer Fehlgeburt oder Totgeburt braucht. Ihr Beistand ist jetzt wichtig. Seien sie einfach da, ohne sich aufzudrängen! Wenn es so weit ist, schaffen Sie das! Das Band der Freundschaft zwischen Ihnen wird danach noch fester sein!

Für den Rückweg gab meine Freundin mir einen der schönsten Briefe mit, den ich je bekommen habe. Sie schrieb ihn, als ich mich am Nachmittag der Trauerfeier etwas hingelegt habe. Er rührte mich zu Tränen! Ich hüte ihn wie einen Schatz. Heute hat meine Freundin übrigens zwei kerngesunde Jungs! Und für die Zwillinge brennen zwei Kerzen an einem festen Platz! Ihr Leben geht weiter…"

Autorin: Marthe Kniep

Literaturempfehlungen

Die folgenden Bücher können trauernden Eltern, ihren Angehörigen und Bekannten nach dem Verlust eines Babys helfen - als Ratgeber oder als stille Geste des Mitgefühls.

Bücher für trauernde Eltern von Sternenkindern.
Bücher für trauernde Eltern von Sternenkindern.

Mein Sternenkind
Begleitbuch für Eltern, Angehörige und Fachpersonen nach Fehlgeburt, stiller Geburt oder Neugeborenentod
Heike Wolter
Edition Riedenburg

Gestern war ich noch schwanger
Ein Bilderbuch für Frauen, die ihr Kind in der Schwangerschaft verloren haben
Nicole Schäufler
Edition Riedenburg

Flieg, kleiner Schmetterling
Gedanken zur Trauer um ein Kind
Petra Hillebrand
Tyrolia-Verlag

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Trauer-Bilder: Katrin Langowski fotografiert Sternenkinder