Vermisste Kinder: „Ich weiß, dass ich dich wiedersehen werde – irgendwann“
Am 21. Oktober 1998 änderte sich das Leben von Elisabeth Kronauer (68) für immer – an diesem Tag sah sie ihre Tochter Tanja zum letzten Mal.
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Über dem Sofa von Elisabeth Kronauer hängt ein Gemälde. Es zeigt zwei Frauen, die gemeinsam auf den Ozean blicken. Es könnten Mutter und Tochter sein. „Das Bild ist eine Metapher für mich“, erzählt Elisabeth. „Ich sehe darin Tanja und mich vereint.“ Am 21. Oktober 1998 verschwand ihre damals 15-jährige Tochter.
Kind verschwunden: Der schlimmste Tag im Leben von Elisabeth
„Ich wollte sie von der Schule abholen“, erzählt Elisabeth. Kurz nach 13 Uhr wartete Elisabeth vor dem Gymnasium. Doch Tanja kam nicht. Zunächst dachte sie sich nichts dabei. Als jedoch eine Freundin ihrer Tochter anrief, um sich zu erkundigen, wie es der kranken Tanja ginge, bekam sie ein mulmiges Gefühl – ihr Kind kam gar nicht erst in der Schule an.
Als Tanja am frühen Abend nicht zu Hause war, kontaktierten die Eltern die Polizei. „Man gab uns den Tipp, abzuwarten. Es sei bei Teenagern nicht unüblich, dass sie für einige Nächte bei Freunden blieben.“ Doch die Statistik beweist: In Vermisstenfällen sind die ersten Stunden entscheidend. Abwarten. Das war für die Mutter undenkbar.
Mysteriöse Nachricht: Was ist mit Elisabeths Tochter passiert?
Mit Tanjas Freunden hängte sie Plakate auf, um auf das Verschwinden aufmerksam zu machen. Nur einen Tag später findet Elisabeth einen Brief von Tanja im Briefkasten. Darin schreibt sie: „Liebe Mama, lieber Papa! Macht euch keine Sorgen. Ich bin gesund und werde in 2–3 Wochen wieder zu Hause sein … Deshalb braucht ihr mich nicht zu suchen … Ich brauche Abstand und werde mich noch einmal melden. Eure Tanja!“ Die Auswertung der Polizei ergab eindeutig: Der Brief ist von Tanja.
Wenige Tage später fand Elisabeth eine zweite Nachricht ihrer Tochter. Darin schreibt sie, dass sie am Wochenende wieder zu Hause sein wird. „Ich war voller Hoffnung. Auch wenn der Brief nicht Tanjas Art zu schreiben entsprach.“ Doch es passierte nichts.
"Ich bin mir sicher, dass sie lebt"
In Elisabeths Gedanken ging es nur noch darum, was geschehen sein könnte. „Es gab Schwierigkeiten in der Familie“, gibt Elisabeth zu. „Die Ehe lief schon lange nicht gut.“ Ob dies dazu führte, dass sich Tanja entschloss, ihre Eltern zu verlassen? Oder wurde sie gezwungen, die Briefe zu schreiben, entführt oder gar ihres Lebens beraubt?
Die brüchige Ehe hielt das Verschwinden der gemeinsamen Tochter nicht aus. Das ständige Hin- und Hergerissensein zwischen Hoffnung und Abschied. Elisabeth spürte, dass sie eine Entscheidung treffen musste, damit sie weiterleben konnte. Sie wollte von nun an daran glauben, dass Tanja sich aus freiem Willen entschloss zu gehen. „Es wäre eine Lüge, zu behaupten, dass ich sie spüre. Aber ich bin mir sicher, dass sie lebt“, erzählt die Mutter heute. In ihrer Stimme ist die Schwere der Seelenlast hörbar.
So schafft es die Mutter, den Mut nicht zu verlieren
Und doch ist Elisabeth eine Frau, die das Leben liebt. „Tanja bleibt das Hauptthema für mich“, erklärt sie. „Ich habe jedoch gelernt, mich wieder selbst zum Mittelpunkt zu machen.“ Vor vier Jahren ging die Personalsachbearbeiterin in Rente. Sie genießt die Freiheit. „Es sind die kleinen Dinge, in denen ich mein Lebensglück wiederfand“, erzählt sie. „Ein spontanes Treffen mit Freundinnen, Abende im Restaurant oder Urlaube am Meer mit meinem neuen Partner. Momente, für die es sich zu leben lohnt.“
Das Grübeln und das Ausmalen eines Wiedersehens bestimmen heute nicht mehr ihren Alltag. „Ich hatte zwei Optionen: schwimmen oder untergehen.“ Neben dem Gemälde der Frauen am Meer hängt ein Bild von Elisabeth. Sie sieht glücklich darauf aus, das verrät das Lächeln, das sich beim Schwimmen im Pool auf ihren Lippen abzeichnet.
Am 25. Mai ist der Tag der vermissten Kinder
Mehr als 60.000 Kinder werden in Deutschland jährlich vermisst gemeldet. 99 Prozent tauchen wohlbehalten wieder auf. Wie sollen sich Eltern verhalten, wenn Kinder verschwinden? Sie sollten umgehend eine Vermisstenanzeige bei der Polizei erstatten. Der eigene Telefonanschluss sollte für das Kind unbedingt frei bleiben.
Artikelbild und Social Media: Anne Wirtz
Autorin: Lisa Schleif