Anja Kling über Pubertät und das Älterwerden
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Der Mann will vom Dach springen, der Sohn pubertiert – im ZDF-Film „Familie Windscheidt – Der ganz normale Wahnsinn“ geht es turbulent zu. Wir sprachen mit der Schauspielerin Anja Kling (42) über private Parallelen…
Von MIRIAM OTTO
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Wann hatten Sie Ihren letzten „Familie Windscheidt“-Tag, an dem alles drunter und drüber ging?
Anja Kling: So chaotisch wie bei den „Windscheidts“ geht es bei mir nicht zu. Ich habe durch meine Familie andere Konstellationen. Aber diese Frühstückssituation , die wir bei den „Windscheidts“ sehen, habe ich jeden Tag. Die Kinder müssen zur Schule, man selbst muss zur Arbeit. Ich möchte meine Kinder nicht schon um 5.30 Uhr aus dem Bett holen – also wird es immer ein bisschen hektisch.
Wie sieht ein typischer Morgen bei Ihnen aus?
Anja Kling: Mir ist es wichtig, dass wir gemeinsam in den Tag starten. Meistens ist es mir noch zu früh, dass ich selbst noch gar nichts essen kann, aber die Kinder frühstücken und ich trinke einen Kaffee. Trotz der Hektik lassen wir uns Zeit beim Essen, zünden Kerzen an und trinken frisch gepressten Orangensaft. Das ist immer sehr gemütlich.
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Bei den „Windscheidts“ fliegen schon mal die Fetzen. Wie ist das bei Ihnen?
Anja Kling: Wir sind eine große Familie, die unter einem Dach in zwei getrennten Wohnungen lebt. Natürlich wird es auch mal turbulent und es knallen die Türen. Dann gibt es ein großes Gewitter , aber hinterher scheint wieder die Sonne und es ist alles wieder schön. Wenn viele Menschen aufeinander treffen und zusammen wohnen, ist das ganz normal.
Regen Sie sich über Kleinigkeiten, wie offene Zahnpastatuben auf?
Anja Kling: Nein, das wäre mir zu aufwendig. Ich mache sie dann einfach schnell zu (lacht).
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Was bedeutet Ihnen Ihre Familie?
Anja Kling: Meine Familie ist mein Lebenselixier. Das ist meine Basis, die mir Kraft und Energie gibt. Ich bin ein totaler Familienmensch. Familie ist mir das Allerwichtigste in meinem Leben.
War es für Sie immer klar, dass Sie eigene Kinder haben wollen?
Anja Kling: Ja. Es war nur nicht klar, wann ich welche bekommen werde. Ich wäre unglücklich gewesen, wenn es nicht geklappt hätte. Zwar kann man auch damit seinen Frieden finden, wenn man keine Kinder hat, und das Leben ohne Kinder hat auch Vorteile – aber meine Lebensplanung war eine andere.
Inwiefern hat es Vorteile?
Anja Kling: Ich habe Freunde, die von Anfang an keine Kinder wollten. Sie fühlen sich frei und unabhängig, können zum Beispiel spontan verreisen. Aber für mich war es wichtig, Kinder zu bekommen.
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Sie haben mal gesagt, von Kindern bekommt man bedingungslose Liebe.
Anja Kling: Genau. Und vor allem liebe ich sie bedingungslos. Meine Kinder können machen, was sie wollen – ich werde sie immer lieben.
Im Film ist Ihr Sohn in der Pubertät und nicht gerade einfach. Haben Sie Angst davor, wenn Ihre eigenen Kinder in die Pubertät kommen?
Anja Kling: Meine Kinder sind jetzt 8 und 12. Angst habe ich nicht, aber ich bin sehr gespannt, wie sie sich verändern werden. Meine Schwester Gerit hat es schon hinter sich. Ihr Sohn Leon wird 17 und ist bald schon wieder raus aus der Pubertät. Für sie war diese Phase ganz in Ordnung.
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Hat sie Ihnen einen Tipp für pubertierende Kinder gegeben?
Anja Kling: Das hat sie: Für die Zeit muss ich wissen, dass ich für meine Kinder eine untergeordnete Rolle spielen werde. Du musst dafür sorgen, dass Essen und Trinken da ist. Weil die Stimmungen der Kinder stark schwanken können, musst du ihnen eine starke Schulter bieten und sie auffangen. Aber du darfst es nicht persönlich nehmen, wenn sie dich gerade peinlich finden, wenn sie maulig sind oder überhaupt alles blöd finden zuhause.
Sondern?
Anja Kling: Dann musst du das einfach so hinnehmen und ihre Bemerkungen übergehen. Du musst damit leben können, ohne total eingeschnappt zu sein – oder Dankbarkeit zu erwarten. Natürlich dürfen bestimmte Grenzen nicht überschritten werden. Wir haben das ja alle selbst durchgemacht. Obwohl die Pubertät bei jedem anders verläuft, muss man sich nur erinnern.
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Wie waren Sie selbst in der Pubertät?
Anja Kling: Ich habe stundenlang in meinem Zimmer gesessen und Tagebuch geschrieben, wie schlimm alles ist (lacht). Als Kind war ich der zurückhaltende Typ – kein Rebell.
Sie waren als Kind im Internat und haben jeden Tag ihre Eltern angerufen, wie furchtbar es dort ist.
Anja Kling: Die ersten drei Wochen habe ich unter einem fürchterlichen Trennungsschmerz gelitten. Rückblickend finde ich, dass ich zu früh aus dem Haus gegangen bin. Ich war ja erst 16. Aber als ich mich dort eingelebt hatte, fand ich es ganz toll.
Sind Sie traurig, dass Ihre Kinder so schnell groß werden?
Anja Kling: Oh ja. Das ist Wahnsinn. Jedes Jahr vergeht schneller. Als Kind hat so ein Jahr ewig gedauert. Die Zeit von Geburtstag zu Geburtstag kam es mir immer sehr lange vor. Denn als Kind hat man noch eine völlig andere Vorstellung von Zeit. Jetzt muss ich nur dreimal blinzeln, dann werde ich schon wieder ein Jahr älter.
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Patchwork-Familien sind immer mehr im Trend. Haben Sie das Gefühl, dass die Leute zu wenig um die Liebe kämpfen?
Anja Kling: Ich finde, dass die Leute heutzutage bei der kleinsten Schwierigkeit sehr schnell auseinandergehen. Man gibt sich weniger Chancen und redet auch weniger darüber. Es wird zu früh ein Schlussstrich gezogen. Ich glaube, das Glücks-Geheimnis ist, Probleme offen anzusprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen – das machen die „Windscheidts“ ausführlich. Und erst, wenn man sich nichts mehr zu sagen hat, man sich anödet und auf den Geist geht, muss man irgendwann sagen, dass es keinen Sinn mehr hat. Aber ich finde schon, dass eine länger währende Beziehung es verdient hat, dass man noch mal genauer hinschaut, ob man nicht doch noch gemeinsame Lösungen findet.
Heutzutage geben viele auch schnell auf, weil sie meinen, schnell einen neuen Partner finden zu können...
Anja Kling: ...und dann haben sie wieder andere Probleme (lacht).
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Sie haben mal gesagt, dass Sie nie einsam sind, weil Sie zusammen mit Ihrer Schwester in einem Haus wohnen.
Anja Kling: Das stimmt Gott sei Dank nicht. Es ist immer jemand zum Reden da. Aber wenn ich mal einen Abend für mich haben will, kann ich auch ruhig mal die Tür zumachen. Bei meiner Schwester und mir ist es ganz extrem: In manchen Zeiten glucken wir ganz viel aufeinander und unternehmen jeden Abend etwas zusammen. Dann gibt es wieder Wochen, in denen wir uns praktisch gar nicht sehen, obwohl wir in einem Haus wohnen.
Früher haben Sie mal gesagt, dass Sie nicht lange ohne Ihre Kinder sein können und deshalb ungern im Ausland drehen wollen.
Anja Kling: Ja. Solange sie sehr klein waren, hätte es mich sehr getroffen, so lange von ihnen getrennt zu sein. So konnte ich viel Zeit mit meinen Kindern verbringen und habe das sehr genossen. Je größer sie aber werden, desto mehr kann ich mir auch wieder vorstellen, im Ausland zu drehen.
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
In dem Film müssen Sie Ihre demenzkranke Mutter versorgen. Haben Sie mit Ihren Eltern darüber gesprochen, was mit ihnen im Alter passieren soll?
Anja Kling: Das haben wir. Inzwischen sagen meine Eltern: „Oh Gott, jetzt kommen wir in ein Alter, in dem man sich damit beschäftigen muss.“ Mein Vater wird 72, meine Mutter ist 68.
Wie geht es Ihnen damit?
Anja Kling: Natürlich ist das kein freudiges Thema – wir alle haben Schiss davor. Ich muss dazu sagen, dass beide zum Glück fit wie ein Turnschuh sind. Meine Eltern arbeiten noch und sind geistig hellwach. Sie rennen von einer Ausstellung zur nächsten. Insofern habe ich keine Angst, dass uns demnächst etwas treffen könnte.
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Machen Sie sich trotzdem Sorgen?
Anja Kling: Natürlich kriege ich hin und wieder Angst davor und denke: „Was wäre, wenn meine Eltern nicht mehr alleine für sich sorgen können?“ Aber dafür sind wir alle eine Familie. Wir würden immer eine Lösung finden, die für alle gut ist. Wir wohnen ja so gut wie alle zusammen. Meine Eltern müssen keine Angst haben, dass sie irgendwo hin abgeschoben werden.
Wäre es schön, wenn später auch Ihre Kinder für Sie sorgen würden?
Anja Kling: So weit denke ich noch nicht. Das würde mir sehr leidtun für meine Kinder, wenn sie jetzt schon wüssten, dass sie hier wohnen bleiben müssen, damit sie ihre Mami später versorgen können. Sie sollen jetzt erst einmal groß werden, in die Welt hinausgehen und diese erobern. Und sie sollen sich ganz alleine aussuchen, wo sie einmal leben wollen. Alles andere sehen wir dann.
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Apropos Alter: Je älter Sie werden, umso besser werden Ihre Rollen.
Anja Kling: Es freut mich außerordentlich, dass ich es offensichtlich geschafft habe, in Charakterrollen hineinzuwachsen.
Macht Ihnen diese Ungewissheit Angst?
Anja Kling: Natürlich beschäftigen mich solche Gedanken und machen mir Angst . Was mache ich dann eigentlich? Es sind weit unter zehn Prozent aller Film- und Fernsehschauspieler, die überhaupt von ihrem Beruf leben können. Der Rest muss noch nebenbei arbeiten oder ist auf Hartz IV angewiesen. Das ist sehr brutal. Unser Beruf erfordert ein hohes Pensum, ist sehr anstrengend – das sehen viele Leute gar nicht. Das ist schon traurig.
Ihre Familie stärkt Ihnen den Rücken.
Anja Kling: Meine Familie hilft mir, die Batterien wieder aufzuladen. So sehr sie auch zehren – denn die Kinder sind ja auch nicht unanstrengend – geben sie mir unheimlich viel Kraft. Einfach, weil sie da sind, und durch ihre tolle Art. Durch sie herrscht automatisch Fröhlichkeit im Haus.
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Sie haben mal gesagt, Sie wollen es gar nicht zu sehr hinterfragen, warum Sie als Schauspielerin nicht mehr in eine Schublade gepresst werden – vielleicht ist es dann vorbei. Sind Sie abergläubisch?
Anja Kling: Abergläubisch bin ich definitiv. Aber ich sage mir nicht mehr, dass ich das lieber nicht hinterfragen sollte. Inzwischen habe ich mir das nötige Selbstbewusstsein antrainiert, um zu sagen, dass ich sehr wohl in Schubladen gesteckt habe – aber aus denen habe ich mich herausgearbeitet. Inzwischen darf ich alles spielen. Darüber bin ich ganz froh. Ich bin stolz, dass das so geklappt hat.
In welchen Momenten sind Sie noch abergläubisch?
Anja Kling: Wenn ich eine schwarze Katze sehe, drehe ich mich um und gehe sicherheitshalber rückwärts über die Stelle, an der sie war – damit sich die Richtung ändert.
Zucken Sie auch vor Freitag, den 13. zusammen?
Anja Kling: Ja, da habe ich Angst vor. Obwohl mir an dem Tag noch nie etwas Schlimmes passiert ist – aber ich passe dann auch immer ganz besonders auf (lacht).
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Abgesehen von den Rollenangeboten – hat das Älterwerden noch Vorteile?
Anja Kling: Ja, ich bin mit den Jahren reifer und gelassener geworden. Aber ich finde, jetzt könnte das auch gut aufhören mit dem Älterwerden (lacht). Ich wüsste nicht, was noch toller werden soll. Jetzt könnte ich gut eine Weile in dem Alter bleiben. Auf die 50 zuzugehen, verbinde ich nämlich noch nicht mit etwas Positivem.
Ein bisschen Zeit haben Sie ja noch...
Anja Kling: Gott sei Dank. Trotzdem – der nächste runde Geburtstag ist er eben. Und das geht so schnell. Meine Kinder haben gerade erst mit mir ausgerechnet, wie alt ich bin, wenn Tano zum Beispiel 70 ist. Das fand ich sehr beruhigend (lacht). Wenn er ein Opa ist, wäre ich 100 – wahrscheinlich bin ich dann nicht mehr da, aber vielleicht schaffe ich es ja bis zu 90.
Solche Gedanken verdrängt man gerne.
Anja Kling: Ja, aber es hilft ja nichts. Es ist einfach so im Leben. Man muss sich mit dem Tod auch auseinander setzen. Sonst ist man eines Tages wahnsinnig getroffen – was man natürlich immer sein wird, wenn die Lieben von einem gehen.
Anja Kling über ihr Glücks-Geheimnis
Für „Familie Windscheidt“ wünschen Sie sich, dass aus dem Film eine Reihe wird.
Anja Kling: Das wäre toll, dass man den Kindern beim Großwerden und den anderen Darstellern beim Älterwerden zuschauen kann, wie es bei den „Drombuschs“ der Fall war.
Wie geht Ihr persönliches Familien-Drehbuch weiter? Wo sehen Sie sich da?
Anja Kling: Keine Ahnung. Da lasse ich mich genauso überraschen wie beim nächsten Drehbuch der „Windscheidts“. Ich habe keine Idee – das lasse ich lieber auf mich zukommen – sonst wird man doch nur enttäuscht.