Interview

Anpassungsstörung: Symptome, Ursachen, Hilfe – unser Experte klärt auf!

Anpassungsstörungen können den Alltag der Betroffenen zur Qual machen. Wir haben bei einem Facharzt für Psychiatrie nachgefragt.

Traurige Frau malt Smiley auf einen Spiegel
Eine Anpassungsstörung ist nicht offensichtlich (Symbolbild) Foto: Alpgiray Kelem/iStock
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Über Anpassungsstörungen wird deutlich weniger gesprochen als über Burnout oder Depressionen. Dabei rufen diese bei den Betroffenen teils schwere Symptome hervor. Dr. Torsten Grüttert, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie erklärt uns im Experten-Interview, warum eine Anpassungsstörung ernstgenommen werden sollte.

(Noch) Keine Depression: Was ist eine Anpassungsstörung?

"Burnout und Depressionen kennt fast jeder", erklärt Dr. Torsten Grüttert im "Wunderweib"-Interview. "Weniger geläufig, aber dennoch weit verbreitet und kaum minder belastend sind sogenannte Anpassungsstörungen."

Im ICD, dem offiziellen Verzeichnis von Krankheiten, werden Anpassungsstörungen beschrieben als "Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung". Was heißt das genau?

Dr. Torsten Grüttert: "Von einer Anpassungsstörung spricht man, wenn gravierende Lebenseinschnitte zu erheblichen psychosomatischen Beschwerden führen. Sprich, wenn die Psyche derart unter Druck gerät, dass sich körperliche Symptome bemerkbar machen."

Anpassungsstörung alias ICD-10 F43.2

In der Fachsprache wird die Anpassungsstörung auch als ICD-10 F43.2 bezeichnet. Um medizinische Diagnosen einheitlich zu strukturieren, gibt es das weltweit anerkannte System "ICD" – kurz für "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems", zu Deutsch vereinfacht: "Internationale Klassifikation von Krankheiten". Aktuell gültig sind die Versionen 10 und 11.

Die Anpassungsstörung ist im ICD-10 unter F43.2 zu finden, wobei F die Diagnosegruppe "Psychische und Verhaltensstörungen" bezeichnet.

Was sind die Ursachen einer Anpassungsstörung?

Wenn Dr. Grüttert von "gravierenden Lebenseinschnitten" spricht, meint er genau das: Situationen und Erlebnisse, die den Alltag der Betroffenen erheblich (negativ) beeinflussen. Dazu gehören unter anderem:

  • Trennung von der Partnerin/dem Partner

  • Trauer um einen geliebten Menschen oder ein Haustier

  • Jobverlust bzw. Renteneintritt

  • Umzug

  • Mobbing

  • Körperliche Erkrankungen

  • Geburt eines Kindes

In der ICD-Definition – "Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung" – fällt ein Wort besonders ins Gewicht: subjektiv. Menschen nehmen belastende Situationen vollkommen unterschiedlich wahr. Deswegen kann es zum Beispiel sein, dass der Umzug in eine andere Stadt bei einer Person zu einer Anpassungsstörung führt und bei einer anderen nicht.

Anpassungsstörung: Welche Symptome treten auf?

Meist treten die Anpassungsstörungen innerhalb von vier Wochen nach dem verstörenden Erlebnis auf und halten oft mehrere Monate an.

Zu den typischen Symptomen einer Anpassungsstörung zählen laut Dr. Grüttert:

  • Verzweiflung

  • Ängste

  • Gereiztheit

  • Traurigkeit

  • Ständiges Grübeln

  • Interessenlosigkeit

  • Konzentrationsstörungen

  • Soziale Isolation

Diese Symptome sollten ernstgenommen werden. "Auch wenn die psychosozialen Stressfaktoren keine schweren Belastungsstörungen auslösen, sind die Folgen einer Anpassungsstörung erheblich: Die Betroffenen sind oft kaum in der Lage, sich an die Stressfaktoren und die damit verbundenen Veränderungen des Lebens anzupassen und haben erhebliche Schwierigkeiten, ihren täglichen Aufgaben und Verpflichtungen nachzukommen", betont Dr. Grüttert.

Hilfe und Unterstützung

Du fühlst dich hilflos und weißt nicht weiter? Dann kontaktiere das Info-Telefon Depression unter der 0800 / 33 44 533. Hier bekommst du schnelle Hilfe bei der Vermittlung einer passenden Anlaufstelle in deiner Nähe.

Du hast Suizidgedanken oder kennst jemanden mit Suizidgedanken? Kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge: 0800 1110111. Die anonyme Hotline steht dir rund um die Uhr zur Verfügung.

Gibt es Risikogruppen bei Anpassungsstörungen?

Wie bei Depressionen oder Burnout ist es nicht möglich, eindeutig vorherzusagen, wer eine Anpassungsstörung entwickelt und wer nicht. Da jeder Mensch Belastungen anders verarbeitet, haben die gleichen Krisensituationen vollkommen unterschiedliche Auswirkungen. Während Person A einen Jobverlust beispielsweise als Herausforderung sieht und sich in der Folge neuorientiert, fühlt sich Person B verloren und entwickelt eine Anpassungsstörung.

Es gibt allerdings Faktoren, die psychische Störungen begünstigen. "Besonders häufig betroffen von Anpassungsstörungen sind Menschen ohne Partner oder funktionierendes soziales Netzwerk", erklärt Dr. Grüttert.

Bei Frauen wird die Störung statistisch gesehen deutlich häufiger diagnostiziert als bei Männern. "Das könnte aber daran liegen, dass Frauen wesentlich früher bei Beschwerden ärztlichen Hilfe in Anspruch nehmen als Männer", schränkt der Facharzt diesen Fakt ein.

Verdacht auf Anpassungsstörung: Was tun?

Wer infolge einer schmerzhaften Trennung mehrere Monate traurig und gereizt ist, leidet nicht automatisch an einer Anpassungsstörung. Wichtig ist es trotzdem, diese Symptome im Blick zu behalten.

"Halten die Beschwerden an und/oder führen zu verminderter Lebensqualität bzw. erheblichem Leidensdruck, so ist medizinische Hilfe erforderlich", betont Dr. Grüttert. "Ohne entsprechende Behandlung können Anpassungsstörungen in schwere psychische Beschwerden wie Depressionen übergehen. Deshalb ist eine fachlich fundierte Behandlung bei anhaltenden Beschwerden auf jeden Fall empfehlenswert."

Um körperliche Ursachen für die Beschwerden auszuschließen, sollten Betroffene immer zuerst eine Allgemeinärztin/einen Allgemeinarzt aufsuchen – und den Verdacht auf eine Anpassungsstörung dort offen ansprechen. "Liegen keine physischen Probleme vor, überweist die Hausärztin/der Hausarzt zum Beispiel an einen Psychotherapeuten", erläutert Dr. Grüttert weiter.

Wie wird eine Anpassungsstörung behandelt?

"Die Symptome einer Anpassungsstörung ähneln denen einer Angsterkrankung, eines Burnouts oder einer Depression. Das macht eine präzise Diagnose schwierig", hebt Dr. Grüttert hervor. Je genauer man seine Symptome und die Schwierigkeiten im Alltag beschreiben kann, desto besser.

Nach der Diagnose ist eine Anpassungsstörung sehr gut behandelbar. "Als hilfreiche Methode bei Anpassungsstörungen hat sich die Verhaltenstherapie etabliert. Durch Reflexion der auslösenden Momente sowie die Vermittlung konstruktiver Strategien lernt die/der Betroffene besser mit der belastenden Situation umzugehen", erklärt unser Experte.

Maßnahmen, die eine Heilung zusätzlich unterstützen:

  • Sporttherapien

  • Kreative Therapien

  • Entspannungsmethoden wie Yoga, Autogenes Training oder Meditation

"Obwohl man einer Anpassungsstörung nicht gezielt vorbeugen kann, hilft ein gut funktionierendes soziales Netzwerk aus Familie und/oder Freunden dabei, Krisen besser zu bewältigen", betonte Dr. Grüttert abschließend.

Dr. Torsten Grüttert - Foto: Privatklinik Duisburg

Unser Experte

Dr. Torsten Grüttert ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Chefarzt der auf Depressionen, Stresserkrankungen sowie Angst- und Anpassungsstörungen spezialisierten Privatklinik Duisburg.

Psychische Erkrankungen sind grundsätzlich nicht leicht zu erkennen – weder für die Betroffenen noch für Außenstehende. Mehr zu versteckten Depressionen erfährst du im Video!

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Video: Glutamat

Artikelbild & Social Media: Alpgiray Kelem/iStock

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