Charlotte Roche: "Den Film Schoßgebete gibt es, weil ich voll verklemmt bin"
Sex, Familie, Tod und Leben: Der Film Schoßgebete geht hart ans Herz
Am 18. September startet Schoßgebete in den deutschen Kinos. Der Film basiert auf dem zweiten Buch von Charlotte Roche. Es gibt Sex und es wird eklig, aber es wird auch unglaublich bewegend und traurig. Wunderweib.de hat Charlotte Roche zum Film interviewt.
Was immer Sie über Charlotte Roche und ihr erstes Buch Feuchtgebiete denken, vergessen Sie das jetzt. Ihr zweites Buch Schoßgebete ist anders und der Film dazu haut einem eine Geschichte um die Ohren, die atemlos macht!
Charlotte Roche: Jetzt zeigt ihr Mann sein wahres Gesicht!?
Radikal offen und voller grimmigem Humor erzählt Schoßgebete die Geschichte der jungen Frau Elizabeth, gespielt von Lavinia Wilson, die versucht, allem und jedem gerecht zu werden, ohne dabei den Verstand zu verlieren. Es ist eine tief berührende und tragikomische Geschichte über Ehe, Familie und Sex - und darüber, wie eine große Katastrophe das Leben für immer verändern kann.
Drei junge Menschen kommen bei einem Autounfall ums Leben. Dieser Part beruht auf dem Leben von Charlotte Roche. Ihre Geschwister starben vor vielen Jahren auf der Fahrt zu Charlottes Hochzeitsfeier.
Interview mit Charlotte Roche
Charlotte, welche Szene hat Ihnen am besten gefallen?
Charlotte Roche: DAS kann ich SOFORT beantworten! Das weiß ich noch! Und zwar: die Puffszene! Die war so charmant gespielt von Lavinia und Jürgen Vogel! Ich hab mich kaputt gelacht! Wie sich das Pärchen so unterordnet und wie die so nervös sind, bevor die Prostituierte reinkommt, das ist für mich die beste Szene!
Meinen Sie echt, dass es in einer Beziehung hilft, wenn man dem Mann so viel Freiheit lässt, dass man sogar mit ihm zusammen in den Puff geht?
Oh nein! Ganz klares Nein! Das fände ich ganz schlimm, wenn frau meine Bücher liest und denkt „Ach du scheiße, jetzt müssen auch noch alle in den Puff, nur weil der Alte das will, und jetzt müssen wir noch alle Analverkehr gut finden, obwohl das voll weh tut“. Wenn man meine Bücher liest und denkt, man müsste das alles nachmachen um eine gute Frau zu sein, das fände ich sooo schlimm! Als Beispiel: Das mit dem Puff ist eine Idee von vielen Möglichkeiten, die ich jetzt gewählt habe, um zeigen „Guck mal, was die beiden sich im wahrsten Sinne den Arsch aufreißen, für ihre Liebe…“ Man hätte auch jede andere sexuelle Spielart wählen können, die ein bisschen außerhalb der Norm ist, um zu zeigen, was Elizabeth für ihren Mann über sich ergehen lässt. Und manchmal ist das ja so, wenn man über seinen Schatten springt und etwas macht für jemanden, den man liebt, dann hat man nachher nicht das Gefühl man wurde ausgebeutet und erniedrigt – sondern denkt „Och, war ja gar nicht so schlimm“ oder sogar „ganz gut“. Ich will ja nicht, dass nur Frauen die Phantasien von Männern erfüllen, sondern Männer müssen auch die Phantasien von Frauen erfüllen.
Schön wär’s…
Ja, schön wär’s! Aber das merke ich auch bei mir: Ich bin nicht gut im Artikulieren von sexuellen Fantasien, leider. Es gibt die Bücher von mir auch deshalb, weil ich voll verklemmt bin!
Echt wahr? Schreiben geht besser als reden?
Ja, wirklich wahr, ich kann besser ein Buch schreiben, das Millionen Leute lesen, als dass ich mich traue zu meiner Freundin zu sagen „Ich habe diese und jene Fantasie und weiß nicht, wie ich die umsetzen soll“. Ich bin da ein richtiger Krüppel…. Und alle denken so, boah, die ist so versaut und nimmt kein Blatt vor den Mund – ja, von wegen!
Ich fand ja diese Szene unglaublich witzig, in der sie sagt „Wenn du mal Sperma schluckst, mach ich das auch mal wieder für dich."
Jaaaaja!! Wenn die Männer wollen, dass die Frauen rasiert sind, dann sollen die Männer die Frauen auch rasieren, weil das ist halt scheiße viel Arbeit, sich immer komplett zu rasieren.
Charlotte Roche (rechts) mit Hauptdarstellerin Lavinia Wilson.
Ist die Story von „Schoßgebete“ komplett Ihre eigene Geschichte?
Nein, das ist ein Roman. Natürlich ist das nah an meinem Leben dran, aber darum herum wird ganz viel verändert, auch um meine Familie und meine Verwandten zu schützen. Mein Mann zum Beispiel will natürlich nicht 1 zu 1 vorkommen. Das macht man auch nicht. Oder die Kinder. Da nimmt man dann Sachen und Aussagen, die man von anderen kennt, beobachtet hat, die aber das gleiche aussagen. Es muss ja nah am Leben sein und echt. Aber eben nicht wie im Boulevard, einfach sagen: „Hier, so leben wir, bitteschön! Hereinspaziert, Homestory." Und dann macht ja aus diesem Roman jemand anders wieder ein Drehbuch und dann ein Regisseur daraus den Film, da ist nachher schon sehr viel verändert. Die wissen ja nicht, wie mein Hochzeitskleid aussah. Und ich hab’ kein Interesse, dass die überhaupt mein Hochzeitskleid von meiner ausgefallenen Hochzeit zeigen. Wenn ich dann im Kino sitze - und natürlich bin ich vorher aufgeregt, auch wegen der Darstellung des Unfalls, - dann hab ich mich nachher gewundert, dass ich das doch ganz gut verkrafte, weil es doch ganz anders ist, als das, was ich mit mir rumschleppe. Es ist einfach anders als die Realität, was man da im Film sieht.
Haben Sie das eigentlich entschieden, dass Lavinia Wilson sich für den Film die Schamhaare stehen lässt?
Ich hab da gar nichts entschieden, da war ich auch ganz überrascht. Das weiß ich gar nicht, wessen Idee das war.
>> Interview mit Lavinia Wilson: "Es geht im Leben nicht um straffe Hintern" >>
Aber Sie würden sich auch wünschen, dass man mit Schamhaaren etwas entspannter umgeht und einfach stehen lassen kann, ohne sich zu rechtfertigen, wenn man will, oder?
Jaaa, total! Ich habe eine Freundin, die ist so weltfremd, das meine ich jetzt positiv, die hat gar nicht mitbekommen, dass man sich heute rasiert und lässt alles stehen. Ich finde das so krass, die ist einfach so ein Freigeist und hat weder Schambereich noch die Achseln rasiert. Sie redet da nicht drüber, das ist kein Statement … sie ist einfach so. Das finde ich richtig frei. Und das ist so ein Thema heutzutage. Das macht ja Leute richtig aggressiv, wenn man nicht rasiert ist. Ich fänd’ das super, wenn man frei wählen könnte, ob man das macht oder nicht. Es gibt ja auch viele, die voll draufstehen, wenn nicht alles rasiert ist.
Jetzt, wo wir schon beim Thema sind: WARUM DIE WÜRMER? Warum mussten die Würmer haben?
Das kann ich ganz einfach erklären. Und zwar geht es mir in den Büchern immer darum, dieses Badezimmer-Körper-Innenleben nach außen zu stülpen. Also alles mit der Toilette, Periode und so, das macht einfach Spaß, auch weil es sehr viele kennen, aber nie drüber reden - und dann kommt das alles in die Presse und das liebe ich. Die Würmer sind da so ein kleines Detail, aber das ist ja eigentlich das einzig Ekelige bei „Schoßgebete“.
Lavinia Wilson und Jürgen Vogel als Elizabeth und Georg beim Dildo-Shopping.
Was meinen Sie – glückliche Beziehung – was braucht es dafür?
Ich finde ja, wir leben viel zu lange. Früher war das viel einfacher, da sind alle mit 30 gestorben, da ist das auch einfach, ein Leben lang treu zu sein. Heute weiß ich nicht, wie alt werden wir - 90, 100? Ich würde mir eine Entspannung wünschen. Ein Beispiel: Je älter ich werde, umso weniger glaube ich an sexuelle Monogamie. Das ist völliger Schwachsinn, dass das gehen kann. Und sonst: nicht den Partner mit allem belasten, ihn nicht als Therapeuten missbrauchen, also zum Beispiel die Elizabeth im Film hat ja alle ihre Gaga-Problem zur Therapeutin getragen, das finde ich eine sehr gute Idee – nicht die Beziehung so überpsychologisieren, sondern den Seelenmüll in professionelle Hände geben, also zum Psycho-Müllmann statt zum Partner. Ich finde ja, das richtig Rührende und Romantische an dem Film ist doch dieser verzweifelte Kampf darum zusammenzubleiben. Also dass man einfach die ganze Zeit an einer Beziehung baut, weil man unbedingt zusammen bleiben will. Und das könnte bei manchen heißen, dass man in Paartherapie geht oder in einen Tantra-Kurs oder sich erlaubt gegenseitig fremdzugehen. Ich hab’ mal gehört von einem alten Paar, die sind ganz, ganz alt und glücklich, und die dürfen einen Tag in der Woche, mittwochs, getrennt voneinander etwas Geheimes machen. Jeden Mittwoch, den ganzen Mittwoch, das ist sozusagen der Tabu-Tag. Da wird nicht drüber geredet und da darf man alles machen, außerhalb der Ehe. Wenn ich sowas höre, denk ich immer „Woaah, ist das geil, hach, das find' ich gut...“ Wenn man dann auffliegt, kann man sagen: Ach, das war doch dieser Mittwoch, weißte.
Das ist richtig cool! Mal was ganz anderes: Mich würde interessieren, wie viele Menschen Sie schon verflucht haben.
Boah, ich bin schon ein richtig aggressiver Mensch. Das glauben Sie jetzt nicht, weil wir so nett reden miteinander, aber ich reg’ mich wahnsinnig viel auf, zum Beispiel wenn ich Fernsehen gucke. Oder auch diese ganze Rache-Fantasie im Film und im Buch, die Bild-Zeitung … ich verfluche jeden Tag jeden Mitarbeiter der Bild-Zeitung. Das ist schon so, dass ich mich wundere, dass ich überhaupt noch Haare auf dem Kopf habe und eine einigermaßen gute Haut, weil ich manchmal so voll mit Hass auf jemanden bin. Das ist auch eine große Energie, muss ich sagen. Diese Rache-Fantasien sind eine gute Art mit diesem Hass künstlerisch umzugehen.
Das Schoßgebete-Team strahlt bei der Film-Premiere.
Ihre Hauptdarstellerin wünscht sich im Film eine Löschtaste fürs Gehirn. Würden Sie allen Menschen dieser Welt so eine Löschtaste wünschen?
Woah, also es gibt viele Sache, die ich im Streit gesagt habe, das fänd‘ ich voll gut, wenn man das löschen könnte. Das hab ich auch in der Therapie immer gelernt: Es gibt Sachen – es ist eben nicht Schwamm drüber, wenn man sich vertragen hat. Es gibt Sachen, die hinterlassen eine Wunde. Und wenn man oft schlimme Sachen gesagt hat, dann geht das einfach nicht mehr weg. Dann kann man so lange nett sein, um das wiedergutmachen zu wollen, aber das geht gar nicht, weil die schlimmen Sachen viel mehr wiegen als die Guten. Da fallen mir ein paar Leute ein, aber die kann ich jetzt nicht nennen.
Warum sollte man sich „Schoßgebete“ anschauen?
Auf jeden Fall ist es so, dass Leute, die Angst haben vor körperlichen Ekelhaftigkeiten, bei „Schoßgebete“ keine Angst haben brauchen. Und sonst ist der Film super für Pärchen, Mitte 20 oder 30 aufwärts, wenn man grade zusammen ist oder vorhat zu heiraten oder Kinder zu kriegen, dann ist das super, den Film zu sehen.
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