Familiengründung

Die Mutterglücklüge: "Warum ich es bereue, ein Kind bekommen zu haben"

Warum manche Mütter ihre Entscheidung für ein Kind bereuen und als Mutter unglücklich sind, schildert Sarah Fischer in "Die Mutterglücklüge". 

Sarah Fischer: Wenn eine Mutter ihre Entscheidung für ein Kind bereut

„Wieso machen alle anderen Mütter auf dem Spielplatz den Eindruck, gern hier zu sein?

Ein Baby kann das größte Glück auf Erden sein - aber auch die größte Katastrophe.
Ein Baby kann das größte Glück auf Erden sein - aber auch die größte Katastrophe. Foto: iStock
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Wird ihr inneres Kind erweckt oder ist ihre Liebe größer? Ich bin zweiundvierzig Jahre alt und dem Sandkasten entwachsen. Ich würde lieber etwas lesen. Oder arbeiten. Oder wenigstens schon den Einkauf erledigt haben, der ja mit einem Kind ewig dauert. Alles dauert ewig. Ich bin undankbar. Ich habe ein gesundes, frohes Kind und freue mich, weil es so hoch schaukelt. Wir lachen, meine kleine Emma und ich. Ein schöner Moment. Wie viele schöne Momente braucht, um den Verlust des eigenen Lebens auszugleichen?“

Die Münchnerin Sarah Fischer ist Mutter einer 3-jährigen Tochter. Sie liebt ihr Kind über alles und doch bereut sie es, Mutter geworden zu sein. Wegen der beruflichen Einschränkungen. Wegen der vielen Kritik von anderen Müttern. Wegen der Belastung für die Beziehung zu ihrem Mann. Wegen des Verlustes ihrer Selbstständigkeit. Das gesammelte Leid ihrer Mutterschaft beschreibt sie in dem Buch: „ Die Mutterglücklüge – Regretting Motherhood: Warum ich lieber Vater geworden wäre “.

Darin zitiert sie die Soziologin Elisabeth Gernsheim, die das Dilemma mancher Mütter so beschrieben hat: „Ich liebe mein Kind und würde mich vor einen LKW werfen, um sein Leben zu retten. Aber ich hasse mein Kind auch, denn es hat mein Leben zerstört.“

Als Sarah mit 39 Jahren schwanger wurde, war sie überrascht, sie hatte nicht damit gerechnet, dass es noch klappen würde. Trotzdem war das Baby ein Wunschkind. Sarah freute sich auf ihr Baby und auch ihr Mann war hellauf begeistert. Sie nahm sich vor, die Schwangerschaft und das Muttersein ganz entspannt anzugehen - leider klappte das mit der Entspanntheit eher nicht - die äußeren Umstände machten und machen es Sarah und ihrem Mann schwer.

Vor der Geburt ihrer Tochter arbeitete Sarah Fischer unter anderem als Location-Scout für bekannte Fernsehsender, sie reiste viel und verdiente gutes Geld mit den anschließenden Reise-Vorträgen. Eines ihrer liebsten Reiseländer war die Mongolei. Als Expertin betreute sie auch andere Film- und Fernsehteam, organisierte und begleitete deren Drehs in fernen Ländern. Sarah liebte ihre berufliche Selbstständigkeit. Doch dann wurde sie Mutter. Und plötzlich ging das alles nicht mehr.

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Sarah berichtet: „Mein erster öffentlicher Auftritt nach Emmas Geburt fand bei einer Lesung aus meinem Buch Heimatroulette am Valentinstag statt, da war sie sechs Wochen alt und verschlief den Event im Tragetuch. Leider verliefen die folgenden Termine nicht so unkompliziert. .. Bei einem der letzten Vorträge schrie Emma während der gesamten Autofahrt, 350 Kilometer lang. Ich kam völlig gestresst bei der Halle an und touchierte beim Einparken einen Straßenpoller. Meine Gage würde für die Reparatur draufgehen.“

Viele Mütter sagen, dass allein ein Lächeln ihres Kindes oder der unvergleiche Duft ihres Babys sie alle Schmerzen und Sorgen vergessen lässt. Doch bei Sarah war das nicht so. Viel zu deutlich waren ihr die Entbehrungen als Mutter:

"Mütter zahlen keine Alimente, Mütter zahlen in Naturalien. Mit Lebenszeit, Karriereaus, Schlafmangel, Freiheit, Inkontinenz, Gewichtszunahme, Nervenkostümdurchlöcherung, Langeweile, Dehnungsstreifen, Depressionen, Romantikverlust, Unterforderung, Burn-Out, Sexverlust und so weiter. Manche Mutter geht es als Frau dabei drauf."

Wenig später musste Sarah das Angebot einer Reise in ihre heißgeliebte Mongolei absagen – zwar hätte Emma mit ihren 10 Monaten von ihrem Vater betreut werden können, doch Sarah brachte es nicht über sich, ihr Kind allein zu lassen. Auch weil andere Mütter ihre große Zweifel eingeredet hatten. „Du willst dein Kind für einen Monat alleine lassen? Dann wirst du vielleicht ihr erstes Sitzen verpassen!“

Sarah überlegte sogar, ihre kleine Tochter mitzunehmen, allerdings wurde ihr schnell klar, dass das nicht funktionieren würde: „Ich konnte nicht zwanzig Stunden am Tag arbeiten mit einem Säugling im Tragetuch. Bei so einem Dreh wäre ich ständig auf Achse, und zwei, drei Stunden Schlaf pro Nacht wären normal. Und dann der Stress, die extremen Temperaturen – das war ein Ausnahmezustand, auch für mich, absolut ungeeignet für ein Baby. Also nein. In mir zog sich alles zusammen. Es tat weh, sehr weh. Ich schaute Emma an, aber es tat immer noch weh. Es war nicht so, dass mich ihr bloßer Anblick versöhnt hätte. Ich liebte sie. Aber ich wäre lieber in der Mongolei bei einem Abenteuer gewesen als in meiner Wohnung beim Emmahüten.“

Auch ein Versuch als Festangestellte im Halbtagsjob funktionierte für Sarah nicht. In dem Bemühen, es allen ständig recht zu machen und mit den kinderlosen Kollegen mitzuhalten, rotierte sie zwischen Job, Kind, Mann und Haushalt wie ein wild gewordener Kreisel – bis sie einen Burnout erlitt, der sie für Monate handlungsunfähig machte.

Jede Frau stellt sich irgendwann in ihrem Leben die Frage: Kind – ja oder nein? Wir hören die biologische Uhr ticken, all unsere Freundinnen haben schon Kinder, der Mann wünscht sich unbedingt ein Baby … all diese Faktoren können dazu führen, dass eine Frau sich für ein Baby entscheidet und erst im Leben mit dem Kind feststellt, dass sie die falsche Entscheidung getroffen hat. Dass sie nicht glücklich ist als Mutter. Dass das Baby ihr als Lebenssinn nicht ausreicht. Diese Erkenntnis tut weh und sie auszusprechen ist fast unmöglich. Sarah traute sich erst, als sie von der israelischen Studie hörte, in der 23 Mütter gestanden, dass sie es bereuten, Mutter geworden zu sein .

Doch warum ist das Leben mit Kind so schwer?

In Deutschland findet sich ein großer Anteil der Antwort in den Lebensumständen der Frauen. Baby und Job lassen sich kaum vereinbaren. Finanzielle Not führt zur Abhängigkeit vom Mann und Mini-Rente im Alter. Kindergärten mit unzureichenden Öffnungszeiten erschweren die Organisation der Kinderbetreuung. Philosophische Mütterkriege arten aus zum Nervenkrieg.

Sarah berichtet: „Ich stellte fest, dass mich Mütterklüngel wie in der Krabbelgruppe häufig schlecht draufbrachten. Denn hier fand kein freundlicher Austausch statt, auch wenn viel gelächelt und genickt und nett geblickt wurde, sondern ein zuweilen regelrecht hinterhältiges Aushorchen, um die Schwachstellen der Gegnerin auszuloten und dann mit dem eigenen Nachwuchs aufzutrumpfen…. Was, dein Leo läuft noch nicht. Bist du sicher, dass da alles in Ordnung ist? Wie, deine Pia isst noch nicht mit dem Löffel? Also, meine Sina hat schon … Also nicht, dass dich jetzt beunruhigen wollte. Aber vielleicht solltest du mal mit einem Kinderarzt darüber sprechen?“ Bei solch pseudo-freundlichem Beschuss kann eine Mama ja nur wahnsinnig werden!

Muss ich mich als Mutter aufopfern?

Und dann gibt es noch diesen diffusen Mutter-Mythos, der in unserer Gesellschaft herumwabert und uns alle glauben macht, dass eine Frau nur dann eine gute Mutter ist, wenn sie sich mit Leib und Seele für ihr Kind aufopfert. Sarah wurde zum Beispiel ständig ein schlechtes Gewissen gemacht, weil sie angeblich nicht genügend Förderkurse wie Baby-Schwimmen und Baby-Gymnastik mit ihrer Tochter besuchte. Allerdings waren die Plätze in diesen Kursen schwer zu kriegen, und um die teure Teilnahme bezahlen zu können, hätte Sarah wieder mehr arbeiten müssen.

„Rückblickend glaube ich, dass ich mir an Emmas erstem Geburtstag zum ersten Mal eingestand, dass ich es bereute, Mutter geworden zu sein. Als ich es wagte, die Wörter Kind und Reue in einem Satz zu verbinden, verschlug es mir den Atem. Denn so was sagt man nicht. Man dachte es nicht mal. Es war Frevel, Frevel, pfui.“ Mehr und mehr fühlte sich Sarah wie die größte Rabenmutter auf Erden.

Auch die Beziehung zu ihrem Mann litt zusehends. Anfangs hatte Sarah noch darauf bestanden, alle Kosten 50/50 aufzuteilen. Doch mit den beruflichen Einschränkungen fiel ihr das zunehmend schwerer. Schließlich musste ihr Mann Alexander den Löwenanteil der alltäglichen Kosten stemmen. Sie fühlte sich in eine ungewollte Abhängigkeit gedrängt, die Beziehung geriet in eine Schieflage.

In ihrem Buch schreibt Sarah: „Manchmal machten wir einen Ausflug zu dritt, aber ich merkte, dass ich darauf hätte verzichten können. Ich tat es für Emma, die ein Familiengefühl entwickeln sollte. Das war für mich im Moment schwierig zu empfinden, da ich mich von Alexander in vielen Dingen nicht unterstützt, sondern ausgebremst fühlte…. Hatten wir uns früher nicht manchmal nächtelang unterhalten? Worüber bloß? Jetzt redeten wir nur noch über Emma. Wenn wir mit ihr am Tisch saßen, schauten wir sie beide an. Wir erzählten uns, was sie gemacht hatte, wir redeten mit ihr. Konnte es sein, dass Alexander glücklicher als mit mir, dass ich mit Emma glücklich war als mit Alexander, jeder von uns glücklich mit Kind, aber eben nicht mehr in unserer Beziehung?“

Für Sarah hat sich kein Ausweg aus ihrem zwiespältigen Leben ergeben. Ein Kind ist nun mal eine ewige Entscheidung, ein Zurück gibt es nicht und die gesellschaftlichen Umstände haben sich bisher auch nicht geändert. Doch sie arbeitet weiterhin als Vortragsreferentin und Fotografin, wenn auch eingeschränkter. Zusätzlich ist sie Stadtführerin und Buchautorin.

Außerdem hat Sarah Fischer beschlossen, dafür zu kämpfen, dass Mütter in unserer deutschen Gesellschaft besser unterstützt werden. Und dafür, dass Mütter sich gegenseitig weniger bekriegen. Ihr Buch soll ein Anstoß zu einer Diskussion darüber sein, wie es Müttern leichter gemacht werden kann, ein glückliches Kinderleben und ein glückliches Leben für die Mutter zu vereinen.

Sarah appelliert: „In dem Wort „Mutter“ steckt der Mut. Was also können wir tun? Drüber reden! Uns nicht verstecken und einschüchtern lassen von Vorurteilen und denjenigen, die mit schwarzen Pinseln durch die Gegend laufen und Mütter mobben. Jene Frauen, die noch nicht wissen, ob sie ihre Zukunft mit oder ohne Kinder planen wollen, sollen die rosarote Brille absetzen! Traut euch, vorher euer Lebensglück in die richtigen Bahnen zu lenken, anstatt im später nachzutrauern.“

Die ganze Geschichte von Sarah, Emma und Alexander gibt es in diesem Buch zu lesen:

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