Tipps von der Expertin

Gaming-Sucht bei Kindern: So erkennst du sie und kannst helfen

Gaming-Sucht ist in vielen Familien ein Problem. Diplom-Pädagogin Marthe Kniep gibt Tipps, wie Eltern die Gaming-Sucht ihrer Kinder erkennen und etwas dagegen tun können.

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Playstation, X-Box, Gaming-PC, Tablet! In vielen Kinder- und Jugendzimmern befindet sich heute wenigstens eines dieser Geräte, das ausgiebig genutzt wird. Und auch Erwachsene verschwinden gern mal in die Gaming-Welt. Da kommt bei einigen die Frage auf, ob die mit Gaming verbrachte Zeit in der Familie noch unbedenklich ist oder ob sie schon Suchtcharakter haben könnte. Und das zu Recht. Denn das Zocken packt viele Menschen tatsächlich auf eine Weise, die sie so sehr vereinnahmt, dass es zur Sucht wird.

Gaming-Sucht als medizinische Diagnose

Weil es immer mehr Betroffene gibt, hat die WHO die „Gaming-Disorder“ kürzlich offiziell in den Katalog der psychischen Krankheiten aufgenommen und immer mehr Kliniken ergänzen ihr Angebot um die Behandlung Betroffener. Doch damit eine Gaming-Sucht diagnostiziert werden kann, müssen ganz bestimmte Kriterien erfüllt sein. Und die treffen längst nicht auf jeden Jugendlichen zu, der sich vorübergehend sehr ausgiebig mit seinen Kumpels in der virtuellen Welt von Minecraft oder Fortnite trifft. 

Woran erkenne ich Gaming-Sucht?

Nicht jeder, der phasenweise stundenlang zockt ist süchtig. Um die Kriterien der Sucht zu erfüllen braucht es mehr. Betroffene verlieren die Kontrolle darüber, wie lange, wie häufig und wie exzessiv sie sich den Spielen widmen. Für sie wird Spielen immer wichtiger, bis das Zocken zum wichtigsten Lebensinhalt wird und andere Lebensbereiche total vernachlässigt werden. Sogar Familie und Beziehung. Süchtige nehmen sogar negative Konsequenzen in Kauf, um weiter spielen zu können. Das betrifft schulische oder berufliche Belange, soziale Kontakte und die eigene Gesundheit. Alles wird mehr und mehr vernachlässigt, um weiter Computer spielen zu können. Erst wenn sich die Kriterien über einen Zeitraum von einem Jahr oder länger erstrecken, soll die neue Diagnose vergeben werden. 

Viele Game-Süchtige leiden unter Schlafstörungen, Depressionen, motorischer Unruhe und Konzentrationsproblemen. Häufig reagieren sie aggressiv auf kritische Nachfragen („Zockst du schon wieder!?“) oder den Versuch ihrer Angehörigen, wenn diese zum Beispiel die Spieldauer des Betroffenen einschränken wollen. Das Wegbleiben von Schule, Uni oder Arbeitsplatz führen zu Isolation, sozialem Abstieg und finanziellen Problemen. Dies kann sich verstärken, wenn durch In-App-Käufe oder Dazukaufen besonderer Fähigkeiten oder Ausstattungen in Spielen echtes Geld statt einer erspielten „Gaming-Währung“ ausgegeben wird.

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Wie viele Menschen sind betroffen?

In Deutschland gibt es rund 34,3 Millionen Computer- und Videospieler. Etwa 16,3 Millionen seien nach statistischen Angaben weiblich.  Eine Studie der DAK und dem Deutschen Zentrum für Suchtfragen ergab, dass knapp eine halbe Million Jugendliche Risiko-Gamer seien – die Mehrzahl von ihnen Jungs. Auch andere Studien belegen, dass Jungen und Männer eher zum suchthaften Zocken neigen, wogegen Mädchen und Frauen sich tendenziell häufiger in sozialen Netzwerken verlieren würden oder „Serien suchten“.

Laut WHO ist jedoch nur ein kleiner Teil der Gamer von einer Sucht betroffen, weswegen mit einem Verdacht oder gar Vorwürfen an ausgiebig spielende Menschen bedacht umgegangen werden sollte. Dennoch ist es wie bei jeder Sucht auch hier so, dass die Übergänge von kontrolliertem zu suchtartigem Verhalten fließend sein können.

Wie eine Gaming-Sucht erkannt wird

Manch eine Sucht fällt nicht sofort auf. Sie entsteht in einem schleichenden Prozess, deren Warnsignale Angehörige oftmals nicht erkennen, sie verdrängen oder nicht ernst genug sehen. So ist es oftmals auch beim Zocken. Was für viele ein phasenweises, intensives Spiel ist, wird für manche mit der Zeit zum ernsthaften Problem.

Im Vergleich zu Alkoholproblemen ist die Krux beim Gamen oftmals die Isolation der Gamer in ihren Zimmern oder Kellern, in denen sie sich eingerichtet haben und die Tageszeit vergessen. Sie fühlen sich jedoch oftmals nicht allein, weil sie sich jederzeit mit anderen Gamern vernetzen und unterhalten oder in einem Spiel zusammentun können. Im Spiel gibt es Erfolge zu feiern und Gestaltungsmöglichkeiten, die das „echte Leben“ so nicht hergibt. Auch das führt zu wenig Veränderungsbereitschaft. 

Dass Game-Süchtige das „real live“ vor der Haustür komplett vernachlässigen, wird vielen erst recht spät klar. Manchmal erkennen es auch nur die Freunde und Angehörigen. Denn wie bei jeder Sucht gehört auch bei der „Gaming- Disorder“ dazu, dass die Betroffenen die deutlichen Hinweise auf eine (sich anbahnende) Sucht bagatellisieren oder abstreiten.

Manche Angehörige schämen sich dann und trauen sich nicht, ihre Sorge anzusprechen, weil sie sich mitschuldig am Problem fühlen. Schließlich haben sie oftmals lange Zeit das stunden- und auch nächtelange Gamen der Angehörigen geduldet und nicht ernsthaft reglementiert oder angesprochen, dass der Konsum das gesunde Maß überschreitet. Doch unabhängig von dem eigenen Anteil am Verlauf des Ganzen, ist es wichtig, sich der Sache zu stellen und gemeinsam eine Lösung zu suchen. Oft werden hier Fachleute benötigt!

Wie wichtig fachliche Hilfe ist

Immer mehr Kliniken spezialisieren sich auf Gaming- und Online-Sucht. Denn die soziale Isolation, der soziale Abstieg und die über einen langen Zeitraum etablierten Verhaltensweisen brauchen professionelle und neutrale Behandler, damit sich etwas verändern kann.

In der Klinik wird unter anderem untersucht, wie die Sucht so viel Raum im Leben eines Menschen gewinnen konnte und was dadurch möglicherweise ersetzt, ausgeglichen oder verdrängt werden sollte. Es wird außerdem geschaut, welchen psychologischen Gewinn die Gamer durch das Spielen erlebt haben und wie dieses Bedürfnis im „wahren Leben“ erfüllt werden kann. Es kann erarbeitet werden, wie nach der Behandlung an das frühere Leben angeknüpft. Dazu gehört auch das Erlernen eines sicheren Umgangs damit, wie man vor anderen dazu steht, dass man eine Zeit des Lebens in der Gaming-Welt versunken war und nun wieder daraus aufgetaucht ist. Zu solchen „Lücken im Lebenslauf“ stehen zu lernen, ist allein schon eine Herausforderung.

Das kann ein langer Weg werden, der oft hart erarbeitet werden muss. Vor allem für Menschen, denen es schwerfällt, im wirklichen Leben auf andere Menschen zuzugehen und Kontakte zu knüpfen. Dennoch löst sich das Problem nicht von allein. Und in einer Klinik begegnet man anderen, denen es genauso geht. Manch einem macht das Miteinander in der Klinik Mut und Hoffnung, dass ein „Gaming-Entzug“ gelingen kann.

Auch Angehörige können die Betroffenen unterstützen. Sie sind jedoch oft auf gewisse Weise ein Teil des Problems und brauchen deshalb selber professionellen Rat für den zukünftig richtigen Umgang mit dem erkrankten Familienmitglied. Sonst besteht die Gefahr, dass nicht konsequent und hilfreich mit dem Betroffenen umgegangen wird. Und das erhöht das Risiko eines Rückfalls nach der erfolgreichen Behandlung.

Wer sich (frühzeitig) beraten lassen möchte, kann auch als Angehöriger zu einer Suchtberatungsstelle gehen. Oder gemeinsam mit dem Betroffenen, um sich von einem neutralen und kompetenten Menschen erklären zu lassen, welche Möglichkeiten es gibt, die Sache wieder in den Griff zu kriegen.  Außerdem gibt es gutes und kostenloses Infomaterial für Eltern, Lehrer und Kinder. Beliebt bei Jugendlichen sind auch „Selbsttest“. Zum Beispiel der Test „Check dich selbst“ zu Videospielsucht und exzessiver Internetnutzung für Jugendliche. 

Prävention von Gaming-Sucht

Vor allem die Eltern jugendlicher Gamer sind beim Stichwort Prävention gefragt. Denn auch wenn ihre Sprösslinge viel Medienzeit einfordern, sind es am Ende doch noch die Eltern, die die Freigabe für das WLAN und das Zocken geben - oder eben nicht. Die Sache einfach so laufen zu lassen und es den Kindern vollständig selber zu überlassen, wie sie ihre Medien nutzen, ist schon die erste Falle. Sicher: Man hat zuverlässig mal seine Ruhe vor den Kindern, wenn man sie „daddeln“ lässt. Dennoch kann es sich rächen, wenn nach einiger Zeit für das Kind etabliert zu sein scheint, dass vier Stunden zocken normal seien. So eine „sich erarbeitete Zeit“ nachträglich zu reduzieren stößt immer auf Protest. Deshalb: Wehret den Anfängen! Es macht viel aus, wenn die Zeiten und Regeln fürs Zocken von Beginn an klar und begrenzt sind.

Wichtig ist auch, darauf zu bestehen, dass ein Teil der Freizeit „draußen“, mit Familie oder Freunden oder bei Aktivitäten im Verein etc. verbracht wird. Hier seine eigene Zeit zu investieren, um den Kindern derlei Aktivitäten zu ermöglichen, ist die beste Prävention. Denn wird auch auf diese Weise Spaß und Erfolg erlebt und das persönliche Zusammensein mit anderen als bereichernd erlebt, senkt es das Risiko in eine Sucht abzugleiten erheblich. 

Autorin: Marthe Kniep

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