Hebammen in Not: Warum dem Beruf das Aus droht

Die Hebammen in Deutschland sind Not. Wie Geldmangel und eine sehr hohe Arbeitsbelastung ihnen den Beruf verderben.

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Geld-Mangel & Mega-Stress: Interview zur bedrohten Geburtshilfe in Deutschland

Als Hebamme kleinen Menschen mit Liebe und Fürsorge auf die Welt helfen - ein traumhaft schöner Beruf, sollte man meinen. An sich ist der Beruf auch wunderbar, Hebammen lieben ihren Job und identifizieren sich sehr stark mit ihm. Leider gestalten sich die Arbeitsbedingungen der Hebammen seit Jahren immer schwieriger. Sie werden schlecht bezahlt, leisten dafür aber sehr viel. Viele Hebammen fühlen sich überlastet. Freiberufliche Hebammen haben es besonders schwer, weil sie einen jedes Jahr steigenden Betrag von mehreren tausend Euro für ihre Berufshaftpflichtversicherung zahlen müssen.

Zwei der Folgen: Immer weniger junge Menschen wollen diesen Beruf ergreifen. Und schwangere Frauen haben immer mehr Schwierigkeiten, eine Hebamme zu finden. (Wir haben hier berichtet: Gibt es bald keine Hebammen mehr? )

Wie der Beruf der Hebammen gerettet werden könnte, dazu hat Wunderweib-Redakteurin Mirca Waldhecker mit Susanne Steppat, ehemals Hebamme und heute Präsidiumsmitglied des Deutschen Hebammenverbandes e.V., gesprochen:

INTERVIEW

Wunderweib: Liebe Frau Steppat, Sie sind ursprünglich auch Hebamme, seit wann denn?

Susanne Steppat: Seit 1997. Davor war ich Biologin, aber das war nicht sehr spaßig.

Warum haben Sie sich dann für den Beruf der Hebamme entschieden?

Susanne Steppat: Das klingt jetzt komisch, aber ich habe tatsächlich davon geträumt. Ich bin nicht esoterisch oder so, ich bin damals geschwankt zwischen Krankenschwester und Hospiz-Dienst, das hätte mich schon sehr interessiert. Aber dann bin ich eines Morgens aufgewacht und habe gedacht: „Papperlapp! Hebamme, das ist es!“ Da brauche ich mir von Ärzten nichts sagen lassen, bin frei in meinen Entscheidungen und arbeite am Anfang des Lebens und das passt nun mal viel besser zu mir. Dann habe ich mich für die Ausbildung beworben und habe sogar die Auswahl zwischen drei Ausbildungsplätzen gehabt – das war damals unfassbares Glück!

Wo haben Sie Ihre Ausbildung gemacht?

Susanne Steppat: In Hamburg! In einer Klinik an der Finkenau, die gibt’s gar nicht mehr. Das ist eine große Frauen-Klinik gewesen, in der auch Helmut Schmidt geboren wurde – natürlich vor meiner Zeit.

Inzwischen liegen sehr viele Geburtsstationen auf Eis oder schließen ganz, weil es zu wenig Hebammen gibt. Das hat mich sehr schockiert, denn dass Hebammen wenig verdienen war mir klar. Aber dass die Zustände inzwischen so katastrophal sind, dass die Geburtsstationen dicht machen, das ist doch eine bedrohliche Lage, schließlich gibt es weiterhin schwangere Frauen, die bei der Geburt Unterstützung brauchen!

Susanne Steppat: Ja, da haben Sie Recht! Das hat viel damit zu tun, dass Geburtshilfe in Deutschland so schlecht bezahlt wird. Vernünftig Geburten zu betreuen, das lässt sich nicht gut refinanzieren und darum lohnt sich das nicht. Für eine festangestellte Hebamme liegt das Einstiegsgehalt im ersten Jahr nach der Ausbildung bei 2300 Euro brutto, netto sind das bei Lohnsteuerklasse I 1500 Euro.

Gibt es da noch Steigerungschancen?

Susanne Steppat: Ja, das Gehalt steigert sich nach dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) mit der Berufserfahrung und man kriegt auch noch Zulagen für Nachtdienste und ähnliches. Nach 15 Jahren liegt das Gehalt bei etwa 3000 Euro netto.

Das ist auch noch nicht wahnsinnig viel, für die viele Arbeit, die dahinter steckt.

Susanne Steppat: Nein, für die Verantwortung, die eine Hebamme trägt und auch den Öffentlichen Dienst ist das viel zu wenig. Eine Familie kann man davon heutzutage kaum noch ernähren. Durch die Nachtdienst-Zulagen kann man das Gehalt zwar steigern, aber das ist natürlich belastend. Noch dazu ist das Stress-Level für Hebammen sehr hoch – das geht bis in die Haarspitzen!

Vermissen Sie als Verbands-Mitarbeiterin dennoch die Zeit als Hebamme?

Susanne Steppat: Ja, ich vermisse Geburten und die Arbeit mit den Frauen. Das macht sehr viel Spaß, das ist unglaublich befriedigend, weil die Geburtsbegleitung so ein schöner, abgeschlossener Prozess ist. Man betreut die Eltern schon vor der Geburt und auch danach, ermöglicht die Kommunikation zwischen den Eltern und dem Baby und irgendwann merkt man, das klappt jetzt auch ohne mich. Das ist ein schönes Gefühl! Außerdem lernt man vom Millionär oder Diplomaten bis zum Menschen in prekären Lebenverhältnissen sehr viele Gesellschaftseben kennen, das ist sehr vielfältig.

Das klingt nach einem sehr schönen Beruf! Also abgesehen vom Gehalt – woran liegt es denn, dass so viele Hebammen ihren geliebten Beruf aufgeben?

Susanne Steppat: Eine aktuelle Umfrage unter den festangestellten Hebammen hat ergeben, dass die meisten zunehmend in Teilzeit gehen, weil die Arbeitsbedingungen so schlecht sind. Viele der Rückmeldungen beziehen sich auf den schlechten Personalschlüssel. So manche Hebamme muss gleichzeitig bis zu vier und mehr Frauen während der Geburt versorgen. Auf den Wöchnerinnen-Stationen müssen sie bis zu 10 und mehr Mutter-Kind-Paare betreuen. 90 Prozent der Kolleginnen sagen, dass sie ihre Pausen nur selten oder nie nehmen können. Das sind Arbeitsbedingungen, die sehr belastend sind. Und wenn sich die Hebammen beschweren, werden sie oftmals nur vertröstet, bestehende Stellen werden nicht nachbesetzt und sie müssen immer wieder einspringen. Das führt dazu, dass viele Hebammen auch ganz aus den Kliniken herausgehen.

Was würden sich die Hebammen zur Verbesserung ihrer Situation wünschen?

Susanne Steppat: Die allermeisten haben auf diese Frage geantwortet: mehr Personal! Nur ein Drittel der Befragten hat sich mehr Geld gewünscht.

Und wie sieht es bei den freiberuflichen Hebammen aus?

Susanne Steppat: Da geben gar nicht so viele den Beruf auf. Es gibt nur viele Kolleginnen, die keine Geburtshilfe mehr machen. Und es kommen nicht genug freie Hebammen nach. So kommt es, dass viele Frauen, die sich nach der Geburt noch mehr Unterstützung zu Hause wünschen würden, das Nachsehen haben.

Wunderweib: Das liegt wahrscheinlich auch an der schlechten Publicity, die der Beruf in den letzten Jahren hat?

Susanne Steppat: Ja, das ist ziemlich dünnes Eis für uns als Verband. Als Berufsverband mussten wir sagen, was passiert, also: die Vergütung ist schlecht und es gibt keine vernünftige Regelung zur Haftpflichtversicherung. Auf der anderen Seite haben die Leute auch kapiert: Hebamme ist ein schöner Beruf, aber er hat deutliche Schattenseiten, wie etwa das geringe Gehalt. Wobei ich finde, dass ein schlechtes Gehalt nicht das entscheidende Argument bei der Berufswahl sein sollte. Wir müssen heute ziemlich lange arbeiten, und da mache ich doch lieber einen Beruf, der mir Spaß macht, als einen, in dem ich nur viel Geld verdiene. Das ist aber nicht nur bei den Hebammen so. Alle Berufe, in denen es Nacht- und Wochenenddienste bei geringem Gehalt gibt, haben wenig Zulauf.

Das ist ja kein Wunder. In solchen Jobs belastet ja nicht nur das fehlende Geld, sie sind auch körperlich belastend.

Susanne Steppat: Ja, genau! Und dann noch bis 67 arbeiten dürfen, da frage ich mich, wie das gehen soll. Viele ältere Hebammen haben Knieprobleme , die sagen schon: „Eine Frau die auf dem Hocker sitzt, kann ich nicht mehr richtig betreuen, weil ich nicht mehr zu ihr runterkomme…“ Zu der Frage, wie Menschen in derart körperlich belastenden Berufen bis 67 arbeiten sollen, gibt es nach wie vor keine Antwort von den zuständigen Politikern.

Die Überlastung der Hebammen könnte auch zu gefährlichen Situationen bei der Geburt führen, oder?

Susanne Steppat: Es gibt da einen alten Spruch: Nach müde kommt doof. Wenn die Belastung zu stark wird, dann führt das dazu, dass manche Dinge nicht mehr erkannt werden. Aber das haben wir glücklicherweise in den Kliniken noch nicht. Die Hebammen haben eine unheimlich hohe Identifikation mit ihrem Beruf und ein großes Verantwortungsbewusstsein – ich kenne Dienste, wo man acht Stunden nicht zur Toilette geht oder nichts gegessen oder getrunken hat, weil man es nicht schafft, weil man auf gar keinen Fall eine Frau alleine lassen will. So manche Geburtsstation wird nur dadurch erhalten, dass die Hebammen dort immer wieder über ihre Grenzen gehen. Sie kaschieren das aber oft so gut, dass die gebärenden Frauen nicht mal mitkriegen, dass ihre Hebamme unter Umständen noch drei andere Frauen am Start hat und dass sie bei zehn Stunden Wehen vielleicht nur zwei Stunden eine Hebamme gesehen hat, obwohl es sicherlich besser wäre, wenn die ganze Zeit eine Hebamme dabei wäre. Das ist auch eine Forderung von uns: eine Hebamme pro Frau.

Was passiert denn, wenn bei den vier Frauen gleichzeitig die Babys kommen?

Susanne Steppat: Das wäre für die Hebamme eine grauenhafte Situation. Da muss man entweder eine Kollegin von Zuhause dazu rufen oder das mit den anwesenden Ärzten absprechen, das klappt in der Regel. Aber das ist wirklich nur ein Raus aus den Handschuhen, rein in die Handschuhe… das ist eine Verwaltung von Frauen im Kreißsaal, aber keine Begleitung von Gebärenden.

Wunderweib: Eine große Belastung für die freiberuflichen Hebammen sind die extrem hohen Summen für die verpflichtende Berufshaftpflichtversicherung. Ist da eine Lösung in Sicht?

Susanne Steppat: Das ist eine sehr einfache Frage, die aber nicht einfach zu beantworten ist. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat ja wirklich schnell ein Gesetz erlassen, in dem es einen Sicherstellungszuschlag geben soll. Demnach sollen die Krankenkassen die Hebammen unterstützen, die durch ihre freiberufliche Geburtshilfe nicht genug Geld verdienen, um die Haftpflichtversicherung zu bezahlen. Das klingt so einfach, ist es aber leider nicht. Nun sitzen wir als Hebammenverband mit den Krankenkassen am Tisch und verhandeln, kommen aber nicht zu einem guten Ergebnis, weil die Krankenkassen uns für diese Unterstützung so viele Bedingungen aufdrücken wollten, dass wir dagegen jetzt klagen und gucken, wie wir da zu unserem Geld kommen. Grundsätzlich war das von Herrn Gröhe gut gemeint, durch die Krankenkassen hat dieses Gesetz aber zu unserem Nachteil gewirkt. Wir sind uns aber sicher, dass es eine Lösung geben wird, auch wenn wir nicht damit rechnen, dass wir die ganze Haftpflichtversicherung als Zuschuss bekommen.

Nochmal kurz zusammengefasst – was müsste passieren, um die berufliche Situation für freie und festangestellte Hebammen zu verbessern?

Susanne Steppat: Für die angestellten Hebammen bräuchten wir eine bessere Personalbemessung, die normale Geburtshilfe müsste besser vergütet werden, die Fallpauschalen müssten also erhöht werden. Bisher steht nirgendwo genau, wie viele Hebammen man für wie viele Geburten braucht und ob es für Risikogeburten mehr Hebammen geben muss. Das entscheidet bisher allein der Träger. Also das müsste festgelegt werden, damit nicht eine Hebamme zwei Frauen betreuen muss. Es muss klar werden, dass es einfach mehr Spaß macht, ein Kind zu bekommen, wenn man bei der Geburt gut betreut und dadurch manövriert wird. Außerdem müssten die Hebammen mehr verdienen. Und man müsste dringend über neue Arbeitszeitkonzepte nachdenken, damit man auch die jungen Frauen, die heute viel mehr über ihre Work-Life-Balance nachdenken – was völlig in Ordnung ist - auch dazu animieren kann, einen Beruf zu ergreifen, der wirklich ungünstige Arbeitszeiten hat.

Für die freiberuflichen Hebammen bräuchten wir ebenfalls eine bessere Vergütung. Bisher startet diese auf einem sehr niedrigen Niveau. Wenn wir für einen Wochenbett-Besuch zu einer Frau nach Hause fahren, kriegen wir dafür 30 Euro. Da denken manche: Boah, ist das viel! Aber wenn man einen Handwerker bestellt, fallen allein schon hohe Anfahrtskosten an, da geht unter 50 Euro gar nichts! Wer noch Steuern, Haftpflicht, Krankenversicherung und Rentenversicherung zahlen muss, für den sind 30 Euro nicht viel. Was wir außerdem bräuchten, wäre eine verlässliche Statistik dazu, wie viele Hebammen in Deutschland arbeiten, was diese für Leistungen anbieten und wo es schwarze Flecken auf der Versorgungs-Landkarte gibt, wo es also nicht genügend Hebammen gibt. Es gibt Gegenden in Deutschland, da lohnt es sich für eine Hebamme gar nicht, da zu arbeiten, weil da viel zu wenige Leute sind. Aber auch dort gibt es Frauen, die Betreuung brauchen. Wie bei den Ärzten bräuchte es also spezielle Anreizsysteme mit garantiertem Einkommen, um Hebammen auch in diese Regionen zu bringen.

Wie sieht es mit der Bereitschaft der Politik zur Unterstützung der Hebammen aus?

Susanne Steppat: Ich glaube, die Politiker haben derzeit etwas die Nase voll von dem Wort Hebamme, weil wir so lange wegen der Haftpflicht krakeelt haben. Das war aber absolut nötig. Dabei konnten wir allerdings die anderen Themen noch nicht so richtig platzieren. Aber jeder Mensch muss geboren werden, Frau Merkel und Herr Gröhe haben sich ja auch nicht aus dem Nichts materialisiert, und das Thema ist noch nicht erledigt. Ich glaube, die Politiker haben das Gefühl, sie haben gerade mal genug für uns Hebammen getan. Aber sie müssen es ja nicht für uns mehr tun, sondern sie müssen mehr für die Frauen in Deutschland tun, die die Kinder bekommen sollen. Wenn Hebammen überflüssig wären, dann wäre es eben so. Aber das ist nicht der Fall – sondern junge Frauen, junge Familien und Babys brauchen weiterhin Hebammen. Jedes Jahr werden in Deutschland mehr als 700.000 Babys geboren – all diese Babys und ihre Mütter und Väter brauchen die Hilfe von Hebammen für einen guten Start ins Leben!

Was kann ich als Frau denn tun, um die Hebammen zu unterstützen?

Susanne Steppat: Es gibt einige Eltern-Initiativen, die sich für Hebammen einsetzen, da kann man mitmachen. Oder man kann seine Kommunalpolitiker gezielt darauf ansprechen, was sie dafür tun wollen, dass Frauen und Kinder in ihrer Gemeinde einen guten Start haben? Also nicht fragen: „Wie wollen Sie die Hebammen retten?“ Da zuckt es immer nur müde. Aber die Sicherung der Unterstützung junger Familien durch Hebammen ist wichtig.

Zum Abschluss: Warum sollte eine junge Frau trotz der teils schwierigen Bedingungen unbedingt den Beruf der Hebamme ergreifen?

Susanne Steppat: Das ist ein toller Beruf und es macht viel Freude diesen Prozess zu begleiten! Man kann sehen, wie das Baby im Bauch wächst, wie es zur Welt kommt und wie es am Ende der Stillzeit beginnt zu krabbeln ... und es gibt nichts Aufregenderes, als bei der Geburt eines Menschen dabei zu sein! Da macht einen so high, das gibt‘s gar nicht. Diese Arbeit empfinde ich als sehr befriedigend.

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