Sandra Selbach: „Meine Fettsucht hätte mich fast umgebracht“
Per Magenverkleinerung: Vom 160-Kilo-Koloss zum bildhübschen Plus-Size-Model
Eine Magenverkleinerung rettete ihr das Leben. Sandra Selbach litt viele Jahre unter ihrer Fettsucht, zur Spitzenzeit wog sie knapp 160 Kilo. So schaffte sie es, abzunehmen.
Sandra Selbach war so fett, dass sie fast daran gestorben wäre. 160 Kilo Gewicht. Quälender Schwabbel, knirschende Gelenke, ein rasendes Herz, das das Gewicht kaum noch stemmen konnte…
Wie konnte es bloß so weit kommen? Essen war für Sandra immer Trost. Sie fühlte sich innerlich leer und wusste dem nichts anderes entgegenzusetzen als Essen. Menschen, die zu Süchten neigen, können nach allem Möglichen süchtig werden. Alkohol, Zigaretten, Drogen. Bei Sandra waren es Pudding, Joghurt und Milchreis in rauen Massen. Bis sie selbst zur Masse wurde.
Sandras Kindheit war geprägt von einem lieblosen Vater und einer unsicheren Mutter, die in Nachtclubs schuftete und ständig zu viel mit Alkohol trank. Sie und ihre Mutter zogen oft um, was dazu führte, dass Sandra sich nirgendwo zu Hause fühlte. Wechselnde Lebenspartner der Mutter, die Sandra verbal und physisch drangsalierten, machten dem jungen Mädchen das Leben schwer. In der Schule wurde sie gemobbt und geschnitten, weil sie ihre Probleme wie eine unsichtbare Aura mitschleppte. Oft grub sich das einsame Mädchen in seinem Zimmer ein, hörte melancholische Musik und genoss süßes und fettiges Essen, das ihr Seelentröster war.
Sandra berichtet: „Mein bester Freund und ständiger Begleiter war das Essen. Ist man esssüchtig, dann greift man aus den verschiedensten Anlässen zu Nahrung, sei es aus Nervosität, Stress , Anspannung und Leistungsdruck, Unzufriedenheit, Frust und Langeweile. Essen war mein ständiger Wegbegleiter, mein Tröster und vermeintlicher Freund. Es gab mir ein Gefühl, auf das ich mich verlassen konnte.“
In ihrer Jugend konnte Sandra all die überflüssigen Kalorien noch relativ gut verkraften. Sie bekam weibliche Kurven, die sehr üppig ausfielen. Sandra störte sich nicht daran, denn sie bemerkte schnell, dass ihre Rundungen den Männern gefielen. „Schönheit ist Macht“, lernte sie. Doch dieses Wissen half ihr später leider nicht, gegen die Fettsucht anzugehen.
Sie geriet gleich zwei Mal in eine unglückliche Beziehung mit vergebenen Männern, die sich vor allem Spaß von der hübschen Blondine erhofften. Liebe, Bestätigung oder Fürsorge bekam sie von diesen Männer nur selten. Stattdessen machte der erste Mann sie immer wieder runter, vermittelte ihr, dass sie nichts wert und viel zu faul sei. Der zweite war ein bekannter Politiker, verheiratet mit einer anderen Frau. Dennoch begann er eine Affäre mit Sandra, kehrte jedoch eines Tages zu seiner Ehefrau zurück.
Eine unglückliche Affäre stürzte Sandra endgültig ins Elend
Sandra blieb beide Male mit quälendem Liebeskummer zurück, den sie wieder nur mit Essen zu betäuben wusste. Von dem Politiker berichtet sie: „Meine Welt stürzte endgültig ein, als mir klar wurde, dass dieser Mann, den ich glaubte, für mich gewonnen zu haben, nicht mehr mit mir zusammen sein wollte. Dieser unglückliche Abschluss unseres Verhältnisses war der endgültige Auslöser für meine krankhafte Adipositas. Ich besorgte mir jede Menge Becher Milchreis, stellte sie vor mir auf den Tisch und aß sie alle auf, einen Topf nach dem nächsten. Dabei krampfte sich vor physischem Schmerz mein Magen zusammen. Ich aß wie besessen, aber es hörte nicht auf. Fressen, Trauern – nichts anderes bestimmte mein Leben.“
Ab 100 Kilo kam es auf ein paar Kilo mehr auch nicht an
Ihr Gewicht stieg von Tag zu Tag. Als Sandra die magische Schallgrenze von 100 Kilogramm erreichte, erschrak sie. Doch der Schock reichte nicht, um die unheilvolle Entwicklung zu stoppen. „Ich hatte eine Dimension erreicht, in der es auf zehn, 20 oder 30 Kilo mehr oder weniger nicht mehr ankam.“
Zwar versuchte Sandra immer wieder durch Diäten abzunehmen, doch was sie verlor, packte sie nachher meist doppelt wieder drauf. „Während dieser Zeit schleppte ich mich mies gelaunt und aggressiv durch den Alltag. Man konnte meine Stimmung auch als depressiv bezeichnen. Auf Entzug. So war es, denn ich war ja eine Süchtige und bin es heute noch. Essen als Droge. Darauf zu verzichten richtete mich fast zugrunde. Ich musste wieder essen, damit es mir besser ging. Ich war in einem Teufelskreis gefangen.“
Obwohl Sandra inzwischen deutlich mehr als 100 Kilo wog, lernte sie in dieser Zeit noch ihren heutigen Lebenspartner Frank kennen. Frank entpuppte sich als liebevoll und zuverlässig: „Er war mir gegenüber immer loyal und respektvoll, hielt sich weitestgehend zurück mit Äußerungen zu meinem Gewicht." Leider liebte Frank nicht nur Sandra, sondern auch das Essen. Und so schlemmte das Paar fortan zusammen. „Frank und ich liebten beide mit Leib und Seele kulinarische Genüsse. Wir lebten sie hemmungslos aus. Wenn wir im Sommer mit einer Eiswaffel und mit fünf Bällchen begannen, legten wir am Imbiss noch eine riesige Spinatlasagne mit Knoblauch und viel Käse nach.“
Schließlich erreichte Sandra das Horrorgewicht von 158 Kilo. „Ich habe mich immer darauf konzentriert, was ich an mir hübsch fand: mein Haar und mein Gesicht. Den Rest ignorierte ich total. Ich hatte keine Pläne mehr, keine wirklichen Bedürfnisse, keine Erwartungen, kaum noch Hoffnungen.“ Weder Psychotherapie noch Kuren halfen. Auch Abnehm-Gruppen waren nichts für Sandra: „Diese Gruppen sind für massiv übergewichtige Menschen in den seltensten Fällen hilfreich, weil die Probleme nicht in der falsche Ernährung, sondern in tieferen, meist traumatischen Erlebnissen liegen, die sie schon ihr ganzes Leben mit sich herumschleppen und sie suchtartig zum Essen greifen lassen.“
Sandras Körper machte langsam aber sicher schlapp. Eines Tages sackte Sandra vor ihrem Computer im Dachgeschoss zusammen. Nach dem Aufstieg über die Treppe raste ihr Herz , ihr war schwummrig. „Ich war plötzlich innerlich so traurig und fühlte ganz bestimmt: Wenn ich so weitermache, werde ich sterben.“
Es war der Wendepunkte für Sandra Selbach.
Nach einer emotionalen Auseinandersetzung mit ihrer Krankenkasse, die zunächst nicht zustimmen wollte und erneut zu einer Psychotherapie riet, bekam sie eine operative Magenverkleinerung gestattet. „Mein Arzt in Frankfurt sagte, in meinem Fall sähe er keine andere Lösung als eine Operation. Ohne Eingriff würde ich mit einem dauerhaften Hungergefühl leben müssen, was für eine nachhaltige, langfristige Diät keine Basis gewesen wäre.“
Sandra war allerdings auch klar, dass allein die Operation ihr nicht helfen würde, zurück zu einem gesunden Leben zu kommen. „Der Eingriff war eine Chance, bot Hilfestellung, ersetzte aber nicht ein großes Maß an Disziplin. Hätte ich nicht auch mein Essverhalten grundlegend geändert, hätte die Magenverkleinerung auch keinen durchschlagenden Erfolg gebracht. Man kann nach einer Magenverkleinerung zwar immer nur kleine Portionen essen. Aber wenn man sehr oft rund um die Uhr zu kleinen Mengen stark fett- und zuckerhaltiger Nahrungsmittel greift, nimmt man nicht ab.“
Die Operation verlief gut und nach den ersten Tagen voller Schmerzen stieg Sandra im Krankenhaus erstmals wieder auf die Waage. Sie hatte schon fünf Kilo verloren. „Dass die Waage nach all der Leidenszeit deutlich weniger anzeigte, gab mir einen unglaublichen Kick. Ich merkte, dass ich das Richtige getan hatte, und die Zweifel nahmen ab.“ In den folgenden Monaten konnte Sandra ihr Gewicht kontinuierlich abbauen. Mit jedem Gramm weniger ging es ihr besser, die Euphorie half ihr, ihr Essverhalten zu kontrollieren. Schließlich war sie stolze 80 Kilogramm wieder los.
Die überschüssige Haut musste operativ entfernt werden
Leider machte ihre Haut die Entwicklung nicht mit. Völlig überdehnt und voller Dellen schlackerte sie an der Brust, an den Armen, an den Beinen und am Buch herum. Sandra war absolut nicht glücklich mit diesem Aussehen. Die einzige Lösung: Operationen. All die überschüssige Haut musste operativ entfernt werden. „Nach so einer Gewichtsabnahme sieht man aus wie eine sehr alte Frau, das hängt alles in Falten“, berichtet Sandra. Jede OP bedeutete neue Schmerzen, neue Kosten. Mehr als 21.000 Euro hat Sandra inzwischen in die Wiederherrichtung ihres Körpers investiert. Allein die Bauch-Straffung kostete 4.000 Euro. „Aber mit jeder OP fühle ich mich wieder besser und vollständiger, ich konnte mich endlich wieder frei und unbefangen in der Öffentlichkeit bewegen, ohne dass mich alle Leute anstarrten…“
Sandra ließ sich von Kamerateams begleiten
Um diese Summen bezahlen zu können, ließ Sandra sich auf ihrem Weg von verschiedenen Fernseh-Teams begleiten. Positiver Nebeneffekt: Sie wurde immer bekannter. Ihre Fan-Zahlen auf Facebook stiegen stetig und sie bekam immer mehr Anfragen von Fotografen, die sie gerne als Model buchen wollten. Heute ist Sandraneben ihrem Hauptberuf in einem Kommunikationsunternehmen ein gefragtes Plus-Size-Model. „All diese Bilder haben mir so geholfen, mein Selbstbewusstsein wieder aufzubauen!“
Wer Sandras Bilder sieht, wird nicht glauben könne, welche Geschichte hinter dem strahlenden Lächeln steckt. Und doch ist genau dieses Lächeln der beste Beweis dafür, dass auch ein Mensch, der völlig am Boden ist, es schaffen kann, sich zurück ins Leben zu kämpfen. Genau dazu möchte Sandra ermutigen: „Ich kann nur raten: Gebt euch nicht auf! Ich habe im Internet ganz tolle Foren gefunden, in denen ich mich mit Menschen austauschen konnte, die dasselbe Problem hatten. Durch sie bin ich zu den Beratungsgesprächen mit den Ärzten gekommen, die mir geholfen haben, mein altes Leben zurückzubekommen. Es gibt auf jeden Fall viele Möglichkeiten, gegen das Übergewicht anzugehen. Und wenn eine OP nötig ist, ist das nichts, wofür man sich schämen muss.“
Neue Glücksmomente: Shoppen statt Schlemmen
Ein süchtiger Mensch, der eine Sucht aufgibt, verfällt oft einem anderen Suchtmittel. Auch bei Sandra ist das passiert. Zum Glück ist ihr neuer Glücksstoff viel weniger gefährlich: „Ich gehe immer mal gerne shoppen. Aber dabei gebe ich keine Unsummen aus. Manchmal reicht schon ein Lippenstift für 1,50 Euro, um mich glücklich zu machen.“ Auf der Waage steht Sandra jetzt nur noch alle paar Tage, um zu kontrollieren, ob ihr Gewicht sich im gesunden Rahmen hält.
Beste Aussichten also für die heute 40-jährige Sandra, auf ein langes Leben mit vielen schönen Momenten, in denen das Übergewicht nur noch eine mahnende Erinnerung sein wird. „Meine Vergangenheit flackert immer wieder auf: die Bilder von mir als Koloss, die Bilder von mir als Psychowrack. Diese Bilder werde ich wahrscheinlich nie los. Aber sie mahnen mich, mit meinem neuen Leben respektvoll umzugehen und es nie wieder aufs Spiel zu setzen.“
Fakten-Check: Für wen ist eine Magenverkleinerung ein geeignetes Mittel zum Abnehmen?
Diese Frage beantwortet Prof. Dr. med. Rudolf Weiner, Chefarzt der Klinik für Adipositas-Chirugie und Metabolische Chirurgie in Offenbach am Main:
"Krankhaftes Übergewicht ist nicht „ein paar Kilo mehr“, sondern – je nach Körpergröße – ein Gewicht von mindestens 140 Kilo. Für eine minimal-invasive Magenverkleinerung kommen jedoch nicht nur Personen mit einem krankhaften Übergewicht in Frage, sondern auch Patienten, die an gewichtsbezogenen Erkrankungen leiden. Durch eine Anreicherung von Fett im Bauchraum kann eine Zuckerkrankheit, Diabetes mellitus vom Typ 2, ausgelöst werden. Durch minimal-invasive Operationen am Magen, aber auch durch endoskopische Verfahren, kann diese durch Übergewicht induzierte Erkrankung wieder zum Verschwinden, das heißt zur "Nicht-Behandlungspflicht" gebracht werden. Gesunde Menschen, die mehr als 35 Kilogramm Übergewicht haben, zählen bereits - auch wenn sie "gesund" sind - zu Kandidaten für eine Operation, wenn sie unter der Situation leiden, eine schlechte Lebensqualität haben oder reaktiv Depressionen entwickeln."
Welche Methode am besten für ein gesundes Abnehmen geeignet ist, sollte für jeden Betroffenen individuell in Absprache mit Hausarzt und Fachärzten entschieden werden.
***
Die ganze Geschichte von Sandra Selbach gibt es in ihrem Buch zu lesen:
Durch Dick und Dünn - Mein Weg aus der Fettsucht
ISBN 978-3-86265-476-5 | Schwarzkopf & Schwarzkopf
Weiterlesen: Tipps und Tricks für eine gesunde Ernährung