Fetisch für Fortgeschrittene: Kann man in jedem Alter einen Fetisch entwickeln?
Neuer Lebensabschnitt, neuer Fetisch? Kann im fortgeschrittenen Alter noch ein neuer Fetisch entstehen oder kommen dann vielleicht eher unterdrückte Bedürfnisse durch? Wie flexibel ist sexuelle Prägung?
Bei uns allen klingeln die Ohren bei dem Wort Fetisch. Wir denken sofort an Lack und Leder, hohe Stiefel oder Fesseln. Doch da ist längst noch nicht Schluss. Welche Fetische sich bei Langzeitpaaren einschleichen und warum wir auch als sexuell aktive „ältere“ Liebende plötzlich Lust auf neue Spezialitäten haben, hat Marthe Kniep im Gespräch mit der Schweizer Psychotherapeutin und Dr. in Sexologie (USA) Dania Schiftan erkundet.
Wie sich unsere Vorlieben entwickeln
Oft ist es ja so, dass man ab einem bestimmten Alter ganz gut weiß, was einen in Stimmung bringt. Und trotzdem kommen manchmal mehr oder weniger unerwartet neue Interessen oder Spielarten dazu. Da stellt sich der/die ein oder andere um die 30 oder 40 die Frage, warum man diese neuen Anreize nicht schon eher auf dem Plan hatte. Oder: Was plötzlich mit einem passiert ist?
Dafür gibt es eine Erklärung, weiß Expertin Schiftan. Ab und zu im Leben gäbe es Türöffner für etwas Neues, auch wenn nicht immer ein Fetisch daraus entstehen muss. „Wir haben zwar alle übers Leben verschiedene Vorlieben und Anziehungscodes entwickelt. Aber wir fördern einige Vorlieben mehr, investieren mehr in sie als in andere.“ Und so etablieren sich manche Vorlieben, während andere noch auf ihre Entdeckung oder Bergung warten müssen.
„Wo die Reise sexuell gesehen im Laufe der Zeit hinführt, das hängt vom Individuum ab und oft auch vom Zufall: Weil einem zum Beispiel eine Freundin ein Tantra-Seminar empfohlen hat, ein neuer Partner etwas Neues reinbringt oder man etwas gelesen hat. „50 Shades of grey“ hat zum Beispiel dazu geführt, dass sich viele Frauen Gedanken dazu gemacht haben, was sie sexuell vielleicht mal spannend fänden. Dass sie sich getraut haben, offen erotische Literatur zu lesen.“
Was ist ein Fetisch?
Es geht beim Thema Fetisch nicht zuerst darum, dass ich mir ein neues Toy zur Stimulation anschaffe, auf das ich nicht mehr verzichten will. Wobei auch Sextoys zum Fetisch werden können. Sexualtherapeuten definieren einen Fetisch jedoch anders. „Etwas vereinfacht kann man sagen, dass ein Fetisch eine Fixierung und Spezialisierung auf wenige Objekte und Handlungen ist.“ erklärt Schiftan. „Das kann ALLES sein; BDSM, bestimmte Kleidung oder Schmuck aber auch Swingen.“
Nehmen wir zum Beispiel das Swingen bei Paaren, die anfangs nur nach Abwechslung suchen. Zum Fetisch kann das Swingen dann werden, wenn Sex nur noch dort stattfinden kann und außerhalb tote Hose ist. „Es ist die Einengung auf diesen Bereich und dann die Ausschließlichkeit, die den Fetisch ausmacht.
Ein Fetisch kann sich aber auch auf Gegenstände beziehen. Ich habe zum Beispiel einen Klienten, der nur erregt werden kann, wenn er seine Frau mit bestimmtem Schmuck behängt. Angefangen hat es damit, dass er sie gern beschenkt hat und es ihm Freude gemacht hat, ihr Schmuck umzulegen. Und dann ist über die Zeit ein richtiger Fetisch daraus geworden.“ berichtet sie Sexologin aus ihrem Erfahrungsschatz. Ohne Schmuck lief bei ihm also nichts mehr.
Entwicklungen wie diese sind theoretisch in jedem Erwachsenenalter möglich, wenn sich eine Tür dafür öffnet. Wer zwar spezielle Vorlieben hat, aber nach wie vor Sex auf unterschiedlichste Art lebt, hat allerdings noch keinen Fetisch.
Wann ein Fetisch zum Problem wird
Welche Vorliebe jemand auch immer herausbildet: „Ein Fetisch ist nicht per se ein Problem, so lange er im legalen Bereich liegt.“ erklärt Schiftan. Doch aus ihrer langjährigen Praxis weiß die Sexologin, dass ein Fetisch belasten kann. Und zwar den, der ihn hat und den, der ihn „mitspielen“ muss. „Wenn sich jemand durch seine Fixierung einengt und zum Beispiel keinen Partner mehr findet, mit dem er das ausleben kann, dann wird ein Fetisch sehr wohl zum Problem.“
Beliebter Frauenfetisch: Romantik
Was viele nicht auf dem Zettel haben ist, dass auch Romantik zum Fetisch werden kann. Die Expertin weiß aus ihrer langjährigen Praxis, „dass vor allem Frauen in Langzeitbeziehungen viel öfter einen Romantikfetisch entwickeln, als man glaubt.“ Das Problem sei dabei nicht der gelegentliche Wunsch nach einer bestimmten Stimmung, den ja jeder Mensch mal hat. Sondern es gehe um das Problem der Ausschließlichkeit. Die Expertin erklärt, dass „viele Frauen können nur erregt werden, wenn die Anbahnung und der Sex ausschließlich nach einem bestimmten, romantisch gefärbten Fahrplan ablaufen. Für die Männer kann das sehr ermüdend sein, wenn die falsche Duftkerze oder Musik dann dazu führt, dass die Frau plötzlich keine Lust mehr hat. Das Spannende ist, dass ein Romantik-Fetisch total gesellschaftlich akzeptiert ist. Aber nur wenige sprechen darüber, dass er auch zum Problem werden kann.“
Hilfe bei sexuellen Problemen
Es gibt weit mehr sexuelle Probleme als einen Fetisch. Darüber zu sprechen fällt vielen besonders schwer, weil Sexualität ein so intimer Bereich ist, in dem wir auch sehr verletzlich sind, wenn wir etwas preisgeben. Wer sein Sexualverhalten als belastend oder unerfüllt erlebt und daran etwas ändern möchte, kann sich damit an einen Sexualtherapeuten oder einen Therapeuten mit Schwerpunkt „Sexualität“ wenden. Für ihn ist das Thema in seiner Vielfalt ganz alltäglich und natürlich unterliegen alle Therapeuten der Schweigepflicht.
Die Ausbildungsverläufe und Berufsbezeichnungen für diese fachliche Spezialisierung können in Deutschland allerdings sehr verschieden sein, was die Suche manchmal verkompliziert. Zunehmend setzt sich das Konzept des „Sexocorporel“ unter Fachleuten (Sexologen) durch. Wie in jeder Therapie ist deshalb zum Kennenlernen ein ausführliches Gespräch mit dem Therapeuten – auch zu seinem Erfahrungshintergrund - besonders wichtig.
Autorin: Marthe Kniep
Buchtipp: Am 4. September erscheint Dania Schiftans neuer Titel: Coming soon. Orgasmus ist Übungssache - In 10 Schritten zum vaginalen Höhepunkt