Beziehung

Wofür du dich in der Liebe (nicht) schämen musst

In der Liebe, so denken viele, braucht man sich vor nichts zu schämen. Wer sich jemandem hingibt, zeigt sich verletzlich. Wie viel Scham eine Beziehung wirklich braucht und wo wir uns trotz Liebe abgrenzen müssen, verrät Paartherapeut Eric Hegmann hier.

Ein junger Mann umarmt seine Freundin von hinten.
"Bei mir brauchst du dich für nichts zu schämen" ist ein Satz, den man gerne von seinem*seiner Partner*in hört. Wir erklären, warum ein bisschen Scham in der Beziehung aber ganz normal ist. (Themenbild) Foto: shironosov/iStock
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Peinlich sein kann uns ziemlich viel - es ist erstaunlich, wie viel. Ein Fehler, den wir übersehen haben, ein unüberlegter Kommentar, der die falschen Ohren erreicht hat. Und alles, was wir an unserem Körper für unperfekt halten.

Aber was heißt es eigentlich, sich zu schämen? Soweit wir wissen, sind evolutionär nur Menschen in der Lage, Scham zu empfinden. Wir können uns sogar für Andere schämen. Scham ist ein starkes Gefühl, welches unangenehm und unruhig ist. Dennoch ist es ein wichtiges Gefühl und ist schon immer ein Teil unserer Gesellschaft gewesen.

Jede Beziehung braucht Scham

"In Beziehungen, in denen wir uns angenommen fühlen, gibt es in den intimsten Momenten eine Spannung zwischen Verschlossenheit und der hemmungslosen Hingabe. Wann sich jemand für etwas schämt, ist individuell: Bei manchen geht es um Licht im Schlafzimmer, oder aber um die Ungestörtheit im Badezimmer. Nicht zuletzt hat auch die Scham, etwas Falsches zu machen, mit der Entscheidung zu tun, ob ich die Textnachrichten im Smartphones meines Partners*meiner Partnerin heimlich lese.

Das bedeutet: Jede Beziehung braucht Scham, denn beide Partner*innen sollen sich wohl fühlen können. Das muss individuell verhandelt werden. Ich kenne aus der Praxis Paare, die sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Nacktheit in der Kindheit erlebt haben und die so entstandenen Glaubenssätze gegenüber dem*der Partner*in emotional verteidigen. Aus dem Konflikt mit der verschlossenen Badezimmertür kann das Gefühl entstehen: „Wenn du mich wirklich lieben würdest, würdest du mir meine Privatsphäre lassen“ versus „Wenn du mir nicht vertrauen kannst, dann ist das keine Liebe“.

Balance zwischen Schutz und Hingabe

Es geht weniger darum, ob uns ein Muttermal, Intimfrisuren oder komische Ticks peinlich sind, sondern um unser Selbstwertgefühl und darum, uns fallen zu lassen. Da gibt es kein richtig oder falsch sondern nur eine Annäherung, die beide Partner*innen glücklich macht. Scham schützt uns, weil sie verhindert, dass uns jemand zu nahe kommt. Hast du dein Eindruck, dein*e Partner*in ist schamlos, kann dies das Gefühl erzeugen, ihm hilflos ausgeliefert zu sein.

Schamgefühle zeigen sich in ziemlich deutlichen körperlichen Signalen: Jede*r kann es an dem hochroten Kopf, dem Schweißfilm auf der Haut und der Körperhaltung erkennen. Keine Frage, dass es der Beziehungszufriedenheit nicht gut tut, wenn ein*e Partner*in solche Situationen erlebt. Scham kann zu Angststörungen, zu Schuldgefühlen und Aggression führen. „Stell dich nicht so an!“ ist ein Satz, den man besser aus den Gedanken raushält, denn er macht es garantiert nicht besser, sondern schlechter.

Scham ist eine gute Sache, einerseits um Grenzen einzuhalten und andererseits um sich selbst sicher zu fühlen. In der Sexualität führt das jedoch zu Konflikten, denn ein erfülltes Liebesleben braucht manchmal Abwechslung und das Ausleben von Fantasien. Es erfordert den Mut, die Komfortzone des Gewohnten zu verlassen. Das sollte jedoch freiwillig und in einer sicheren Atmosphäre geschehen.

Schamlosigkeit als Vertrauensbeweis

Scham verschwindet selten auf einmal - es braucht Zeit, bis sich dieses starke Gefühl auflöst. Paare entwickeln beim Sex nach und nach den Mut, sich ohne Scham zu zeigen und annehmen zu lassen. Habe ich erst einmal Vertrauen aufgebaut, hält das – solange es nicht missbraucht wird. Eine Grenze kann auch ganz schnell wieder errichtet werden.

Den Gedanken: "Wenn der*die Partner*in alles weiß, ist nichts mehr geheimnisvoll genug, um erotisch zu sein", haben Paare häufig zu Beginn der Beziehung. Wenn das stimmen würde, würden Langzeitpaare nicht bestätigen, dass Sexualität mit der Zeit intensiver und befriedigender erlebt wird – eben weil der*die Partner*innen immer mehr voneinander wissen und sich lernen zu vertrauen.

Übertriebene Schamgefühle hingegen machen die Seele krank: Schuldgefühle entstehen und die sorgen für Verlust von Selbstbewusstsein und Rückzug. Problematisch wird es, wenn wir bemerken, dass die Schamgefühle in keinerlei Verhältnis zu dem stehen, was sie bewirkt hat. Also gilt: Schamgefühl, ja, bitte - aber nicht verrückt machen (lassen). Jeder Menschen hat individuelle Bedürfnisse und manchmal sind die eben alles andere als romantisch."

Artikelbild und Social Media: shironosov/iStock (Themenbild)

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