Kaiserschnitt als Schock! Leben mit einem ungeplanten Geburtsverlauf
Ein Kaiserschnitt kann Leben retten. Doch viele Eltern sind durch die meist unerwartete Schnittgeburt und deren Ablauf sehr belastet. Vor allem die Mütter. Hier erfahren Sie mehr darüber, was Betroffenen helfen kann.
„Ich war nicht darauf gefasst.“
Viele werdenden Eltern fühlen sich durch das ärztliche Anraten zu einem Kaiserschnitt überrumpelt, weil sie oftmals innerhalb kurzer Zeit der OP zustimmen müssen, über die sie im Geburtsvorbereitungskurs meist nur beiläufig etwas gehört haben. Sie erleben den Ablauf der OP oft nur passiv oder gar nicht.
Und was für die meisten Frauen das Schlimmste ist: Sie entbehren das Erleben einer natürlichen Geburt und haben das Gefühl, den wichtigsten Teil von allem verpasst zu haben: die Entbindung und das direkte Entgegennehmen ihres Neugeborenen.
„Ich habe das Wichtigste verpasst. Ich habe eine Geburt gehabt und war nicht dabei.“
Was dazu beitragen kann, dass Paare die Kaiserschnittgeburt gut verarbeiten können wurde jüngst auf dem XIV. Hebammenkongress in Hamburg diskutiert. Mit dabei war Referentin Judith Raunig aus Wien, deren Vortrag auf große Resonanz bei den Hebammen stieß.
Raunig ist Klinische- und Gesundheitspsychologin und hat selbst ihr erstes Kind per Kaiserschnitt entbunden. So spricht sie auch aus eigener Erfahrung, wenn sie heute Frauen berät, die Frieden mit ihrem belastenden Kaiserschnitterlebnis schließen möchten oder denen ein Kaiserschnitt noch bevorsteht.
♦ Gefühlschaos zulassen
„Ich war mit der Situation komplett überfordert!“
Wut, Trauer, Angst, Freunde! Die Gefühlspalette rund um den Kaiserschnitt, mit der vor allem die Mütter zu tun haben, ist breit gefächert. Einerseits ist da die Erleichterung und Freude, dass das Kind nun auf die Welt kommt oder schon angekommen ist. Andererseits macht sich die Enttäuschung breit über die ganz subjektiv empfundenen Entbehrungen oder die erlittenen Verletzungen von Körper und Seele durch die OP.
„Die Ambivalenz der Gefühle in der Seele unter einen Hut zu bringen ist schwer.“ erklärt Raunig anerkennend. Und manche Frauen machen sich Vorwürfe, dass sie vielleicht nicht glücklich genug wirken. „Doch über die Geburt entsetzt zu sein, heißt nicht, dass ich mich nicht über das Baby freue.“ Beide Gefühle stünden nebeneinander und es brauche Zeit, sie in das eigene Leben zu integrieren. Wenn es nicht gleich gelingt, muss sich niemand selber vorwerfen.
♦ Schuldgefühle ablegen!
„Ich habe es nicht geschafft, ein Kind zu gebären!“
Ein ungeplanter Kaiserschnitt nagt außerdem oft am Selbstwertgefühl der Frauen. Ihr Gefühl, „es“ nicht geschafft zu haben, kränkt sie zutiefst. Und die erlittene Verletzung der Intimität und der Schamgefühle durch den Kaiserschnitt und die OP-Bedingungen wirken oft noch lange nach.
Um diese Gefühle zu lindern regt Raunig an, den Leistungsgedanken vieler Frauen zu hinterfragen. „Wenn etwas nicht klappt, suchen Frauen die Schuld oft bei sich.“ weiß sie. Dabei liegt es oft an den Ärzten, deren Rat die Frauen aus Angst um ihr Kind gefolgt sind und nicht an eigenem Versagen.
♦ Die Rolle der Klinik hinterfragen
Natürlich gibt es klare Indikationen für einen Kaiserschnitt. Doch an deren Einhaltung allein liegt es nicht immer, wenn eine Schnittgeburt empfohlen wird. Dazu muss man wissen, dass die Kaiserschnittrate von Klinik zu Klinik stark variiert. In Deutschland zählen wir gut 30 Prozent Kaiserschnittgeburten . Platz drei in Europa!
Regional gibt es hier aber Unterschiede zwischen 17 und 51 Prozent. Und das kann nicht daran liegen, dass an einem Ort „kompliziertere“ Frauen entbinden als an anderen Orten in Deutschland. Es hat immer auch mit der Haltung der Ärzte einer Klinik zu tun und mit der dortigen geburtshilflichen Kultur . Beides zusammen entscheidet mit über den Weg eines Kindes ins Leben. Und im Krankenhaus hat oft der Arzt das letzte Wort.
♦ Die eigene Leistung anerkennen
In Bezug auf den eigenen Anteil am Geburtsverlauf ist es für viele Frauen hilfreich, wenn sie „Geburt als eine Hingabe des Körpers, der Ideale und der Wünsche“ verstehen, statt die eigene Leistung zu schmälern. „Und ein Kaiserschnitt ist eine extreme Hingabe. Dann noch als frisch operierte Frau ein Kind zu versorgen, ist eine unglaubliche Leistung!“ betont Kaiserschnitt-Beraterin Raunig. Das verdient Anerkennung. Gelingt so ein wertschätzender Blick auf den eigenen Einsatz, fällt die Heilung der inneren Verletzungen durch einen Kaiserschnitt oft leichter.
♦ Der Narbenpflege Aufmerksamkeit geben
Die Narbe als sichtbare Erinnerung an den Tag der Geburt wird von den Frauen ganz unterschiedlich empfunden. Dies zeigt auch Caroline Oblasser in Wort und Bild ihres einfühlsamen Buches „Kaiserschnitt hat kein Gesicht“. Wie gut die Narbe akzeptiert wird, hängt oft mit der empfundenen Dramatik der Geburt zusammen.
„Die Narbe braucht Aufmerksamkeit“ betont daher Raunig, damit der Körper auch an dieser Stelle wieder angenommen werden kann. So können sich Frauen anfangs schon mal mit einer guten Narbencreme um ihre Heilung kümmern und ab und zu ein Wärmekissen auflegen. Schön sei auch, in Gedanken Sonnenstrahlen zur Narbe zu schicken. Auch die Kinder dürfen davon erfahren, was diese Narbe mit ihnen zu tun hat. So bekommt sie mehr Sinn und Achtung innerhalb der Familie.
Ganz heilsam für Frauen, die ihre Narbe nur schwer annehmen können, sei es auch, wenn der Mann seine Hand auf die Narbe der Frau legt und zu ihr sagt: „Ich danke dir, dass du dich hier geöffnet hast, um unser Kind auf die Welt zu lassen.“
Ein Ritual, während dem Judith Raunig in ihren Seminaren und der Beratung von Paaren immer wieder besondere Momente miterleben darf.
♦ Die Geburt nachholen
„Ich habe ein angezogenes, frisch gewaschenes Kind gebracht bekommen. Sie hätten mir jedes Kind bringen können.“
Es mag einigen merkwürdig vorkommen. Doch es kann sehr heilsam sein, wenn ein Paar seine Wunschgeburt gemeinsam nachholt. Eltern, die sich dazu entschließen, machen das durchaus mit großer Ernsthaftigkeit aber auch mit Spaß. Und es zahlt sich aus.
Kaiserschnitt-Beraterin Raunig erklärt, wie das ablaufen kann: „Beide können zusammen ein Ritual gestalten. Zum Beispiel Kerzen im Bad aufstellen, die Wann einlassen, schöne Musik anmachen. Dann kann der Mann die Frau ins Bad begleiten. Sie kann in die Wann steigen und dort das eigene Kind aus dem Wasser heben und auf die Brust legen und stillen, während der Vater an ihrer Seite ist. Wie bei einer Wannengeburt . Dann kann er Fotos machen, Blumen bringen oder ein kleines Schmuckstück, damit dieser Tag nicht in Vergessenheit gerät.“
Jedes Paar macht es auf seine Weise. Jedem kommt es auf etwas anderes an. Wichtig ist, dass hier etwas erlebt werden kann, was viele Frauen mit Kaiserschnitt schmerzlich vermissen: Die Intimität und Zweisamkeit einer ganz ursprünglichen Geburt.
♦ Gefühle des Kaiserschnittvaters anerkennen
„Für mich war es schwierig, die Entscheidung zu treffen. Das war schräg, weil es ja ihr Körper ist, über den ich entscheide.“
Kaiserschnitt-Väter erleben den Vorgang durch eine ganz andere Brille, doch oft nicht weniger konflikthaft als die Partnerin. Für sie ist es vor allem der Druck der Verantwortung im Vorfeld und die Hilflosigkeit während der OP, die auf ihren Schultern lasten. Auf der anderen Seite kommen diese Väter oft in den Genuss, das Kind als Erster auf den Arm zu nehmen, was nicht selten Neidgefühle bei der Mutter auslöst. „Dieser Neid ist ganz natürlich.“ entlastet Raunig. „Es heißt ja nicht, dass die Frau dem Mann das Erlebnis nicht gönnt. Sie hätte es einfach auch gern gehabt. Dafür muss sie sich keine Selbstvorwürfe machen.“
Eine Schnittgeburt bringt mit sich, dass das Paar im Nachgang Erlebnisse verdauen muss, die teilweise ganz unterschiedlich erlebt wurden. Hier hilft jedoch kein Werben für Verständnis im Sinne von: „Für mich war es viel schlimmer/auch schlimm, weil...“ Stattdessen sei es wichtig, „Respekt und Akzeptanz der gegenseitig anderen Wahrnehmung“ zu entwickeln, erklärt Expertin Raunig. Beide haben ein Recht darauf, es auf ihre Weise zu sehen und zu fühlen. Mit dieser Haltung kann eine schwierige Geburt besser als Paar verarbeitet werden.
♦ Gut hinschauen: Trauma oder nicht!
„Ich hab gedacht, sie zerreißen mich in zwei Hälften!“
Eine Geburt ist für alle Frauen ein einschneidendes Ereignis. Und viele kommen mit den Veränderungen und erlittenen Belastungen unter der Geburt schon bald gut zu Recht. Doch ein als belastend erlebter Kaiserschnitt kann durchaus auch in eine Depression münden oder eine Traumatisierung hinterlassen. Genau wie eine als dramatisch erlebte vaginale Geburt.
Allein die Fixierung an Armen und Beinen während der OP und das Geruckel am Bauch beim Weiten des Gewebes bekommen Frauen bei einer Betäubung mit PDA schließlich mit.
Wird so eine Situation subjektiv als plötzliche, heftige und ausweglose Situation von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Kontrollverlust empfunden, kann das traumatisch sein. Wichtig dabei ist: Niemand kann von außen entscheiden, wie schlimm es für die betroffene Person war!
Das Tückische an einem Trauma ist, dass sich seine typischen Symptome meist nicht sofort nach dem auslösenden Erlebnis zeigen sondern manchmal erst Wochen oder Monate später. Dazu gehören:
Angst/Panik, Hilflosigkeitsgefühle, Aggressionen, Schuldgefühle, Trauer, dissoziative Zustände, Herzrasen, Schlafstörungen, Albträume, Schmerzen, Schwitzen, Magen-Darmbeschwerden, Vermeidung der Auseinandersetzung mit den belastenden Ereignissen und ihren Folgen, Suizidgedanken und vieles mehr.
♦ Psychologische Hilfe holen!
Wer wirklich seelischen Schaden genommen hat, findet keinen Trost in gut gemeinten Worten wie: Hauptsache gesund. Ist doch gut ausgegangen. Oder: Hätte schlimmer kommen können. Betroffene von Depressionen nach der Geburt oder Traumatisierung durch das Kaiserschnitterleben sollten sich professionelle Hilfe zur Verarbeitung suchen. Das kann zum Beispiel ein systemischer oder tiefenpsychologisch arbeitender Therapeut, Traumatherapeut gern mit Hypnotherapeutischer Ausbildung, ein Sexologe oder Sexualtherapeut sein.
Dabei ist es ganz individuell, wie eine Kaiserschnitt-Geburt verarbeitet werden kann - welche Therapierichtung, welche Menschen und wieviel Zeit dafür benötigt werden. Wichtig ist, damit anzufangen und sich Hilfe zu holen. Für die Betroffenen selbst und im Blick auf mögliche Nachfolgekinder, die dann vielleicht einen leichteren Weg in die Welt nehmen können, wenn Sie mit dem Erlebten Frieden geschlossen haben.
Autorin: Marthe Kniep
Hinweis zu den Zitaten:
Alle kursiv gedruckten Zitate im Artikel stammen aus dem Film „ Meine Narbe. Ein Schnitt ins Leben “ in dem Mütter und Väter ihr individuelles Geburtserleben schildern. Nicht nur eine Empfehlung für alle, die noch glauben, sie seien ganz allein mit ihren Gefühlen!
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So ergibt sich ein facettenreiches Bild dieses Weges der Geburt, durch das jeder Leser/jede Leserin eine eigene Haltung dazu entwickeln kann – vor einer möglichen Sectio und auch noch danach.
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