Anorexie

Meine Freundin ist magersüchtig: Was kann ich tun?

Magersucht ist eine sehr ernsthafte Erkrankung. Sie gehört sogar zu den psychischen Krankheiten, die am häufigsten tödlich enden. Deshalb ist es wirklich angebracht, sich als Freundin einer Betroffenen gut zu informieren, was zur Gesundung beitragen kann und was vielleicht genau das Gegenteil bewirken könnte. Hier gibt die Psychotherapeutin Marthe Kniep Infos und Tipps, die Freundinnen mehr Sicherheit geben. 

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Magersucht ernst nehmen

Durch den schon lange anhaltenden Magerwahn auf Laufstegen und in Hollywood hören wir immer wieder vor allem von Frauen, die sich auf ein gesundheitsschädigendes Maß runtergehungert haben. Nicht alle von ihnen entwickeln eine Essstörung. Doch der Übergang von ungesund zu krankhaft ist oft fließend. Mündet gestörtes Essverhalten in eine Magersucht, stecken meist ernsthafte innere Konflikte dahinter, die teilweise auch für Fachleute schwer zu ergründen sind. Dennoch braucht es fachliche Hilfe, um diese Krankheit zu behandeln – oft verbunden mit längeren stationären Aufenthalten.

Gemeinsam haben betroffene Frauen, dass sie den eigenen Körper mit seinen weiblichen Rundungen und somit jedes Gramm Fett an ihm ablehnen. Die Betroffenen verlieren im Krankheitsverlauf einen realistischen Blick auf ihren Körper und finden sich auch dann noch zu dick, wenn sie schon fast verhungert sind. Für manche Erkrankte ist das Hungern eine Art verzweifelter Versuch, die Kontrolle über das eigene Leben durch diszipliniertes Hungern zurückzugewinnen. Dass dies nicht der richtige Weg ist, ist oft ein jahrelanger Erkenntnisprozess.

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Als Angehörige und Freunde gut informieren

Eine Magersucht oder der Verdacht darauf macht immer auch den Angehörigen und Freunden zu schaffen. Oft machen sie sich Vorwürfe, haben Schuldgefühle oder sind unsicher, welche Reaktionen auf das essgestörte Verhalten oder den abgemagerten Körper angemessen sind. Deshalb ist es wichtig, dass sich auch Freunde und Familie einer Erkrankten schlau machen. Denn manches Verhalten aus dem Umfeld bestärkt Betroffene eher darin, ihr ungesundes Verhalten aufrechtzuerhalten. Andere Reaktionen hingegen sind wiederum sehr wertvoll, um der Betroffenen auf eine gute Weise auf ihrem Weg durch und aus der Essstörung zur Seite zu stehen. Um die freundschaftlichen Bande während dieser Zeit aufrecht zu erhalten, können enge Freundinnen einiges beachten.

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Belaste dich nicht selbst

Magersucht ist eine Krankheit, die mit vielen Heimlichkeiten verbunden ist. Deshalb kann es gut sein, dass dir deine Freundin anvertraut, wie krank sie ist und dass sie dich bittet, es für dich zu behalten. Lässt du dich zur Geheimnisträgerin machen, tust du ihr jedoch keinen Gefallen. Denn erstens belastest du dich selbst mit einem Thema, das du allein nicht tragen kannst. Denn die Sorgen sind zu groß, die auf dich zukommen, um damit allein zu bleiben. Und zweitens hilft es deiner Freundin nicht. Also versprich es ihr nicht, sondern versuche sie zu ermutigen, dass sie sich einer anderen erwachsenen Vertrauensperson, einem Arzt oder Therapeuten anvertraut, der sich mit dem Thema auskennt. Du kannst ihr auch anbieten, mit ihr nach Hilfsangeboten im Internet zu suchen oder dass du sie zu einem Arzt oder einer Beratungsstelle begleitest. Und lass sie wissen, dass du es gut fändest, wenn sie sich Hilfe holt. Doch sie muss es selber wollen.

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Suche das Zwiegespräch

Selbst wenn du um die Tragweite der Krankheit weißt, bewahre Ruhe und suche das Gespräch mit deiner Freundin. Mache ihr keine Vorwürfe, sondern sage ihr, was dir aufgefallen ist und worüber du dir Sorgen machst. Zum Beispiel so: Mir ist aufgefallen, dass du immer dünner wirst und dass du das Essen auf dem Teller immer nur hin und her schiebst oder gar nicht mehr mit mir essen gehen willst. Kann es sein, dass du dabei bist magersüchtig zu werden? Ich mache mir wirklich Sorgen um dich.

Du solltest jedoch wissen, dass es ein Teil der Krankheit ist, wenn Betroffene deine Beobachtungen runterspielen oder so tun, als sei das alles ganz normal. Deshalb beginne keinen Streit, um sie von deinem Eindruck oder deinen Argumenten zu überzeugen. Es genügt vorerst, wenn deine Freundin weiß, dass dir einiges aufgefallen ist und dass du sie dafür nicht verurteilst. Vorwürfe würden nicht helfen und eure Freundschaft unnötig belasten.  

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Mache Essen und Figur nicht unnötig zum Thema

Vielleicht bist auch du nicht immer ganz zufrieden mit deiner Figur und hast ab und zu das Bedürfnis, mit jemandem darüber zu sprechen? Dann wende dich damit lieber an jemand anderen als an deine (vermutlich) magersüchtige Freundin. Es kann weder für sie noch für dich etwas Gutes dabei rauskommen, wenn das Thema Essen oder Diät ehrlich besprochen würde. Wenn deine Freundin dich in ein Gespräch darüber verwickelt, ist es völlig okay zu sagen: Ich möchte lieber über etwas anderes reden. Sie wird ahnen, warum du es tust.

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Bleibe als Freundin an ihrer Seite

Gerade Freundinnen neigen dazu, für die andere zur Helferin werden zu wollen. Doch in diesem Fall ist „helfen“ kaum möglich. Du hilfst ihr auf jeden Fall schon, wenn du ihre Freundin bleibst und nicht ihre Retterin werden willst. Also bleibe wie immer, soweit das geht. Macht die Dinge, die ihr immer gemacht habt, packe sie nicht in Watte und thematisiere Essen nicht mehr oder weniger als sonst. Es ist ihr Thema und nicht deins. Und auch wenn du es gut meinst: Diene ihr kein Essen an, damit sie mal wieder was auf die Rippen kriegt. Sie will es gerade nicht. Trotzdem solltest du ganz normal essen. Und zwar auch in ihrer Gegenwart. Deine Freundin erwartet nicht, dass du auf sie Rücksicht nimmst. Sie hat längst Wege entwickelt, wie sie mit diesen Situationen umgeht.

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Lass sie ihren Weg gehen

Selbst wenn du viele gute Ideen hast, was deiner Freundin helfen könnte: Sie muss es selber wollen und selber angehen. Und manchmal dauert es lange, bis sich eine Veränderung abzeichnet. Dass viele die Krankheit nicht überleben, macht es für Angehörige und Freunde natürlich besonders schwer, die Erkrankte ihren Weg gehen zu lassen. Manche wachen erst dann auf, wenn sie wegen Selbstgefährdung durch Ablehnen von Essen und die daraus resultierende Unterernährung in die Psychiatrie eingeliefert werden. Andere kriegen auch dann noch nicht die Kurve, wenn ihnen die Zwangsernährung durch eine Magensonde droht. Bleibe deshalb in erster Linie ohne Erwartungen an baldige Fortschritte an der Seite deiner Freundin. Denn sie kann sie vielleicht nicht erfüllen. Und Deine Freundin ist sicher schon streng genug zu sich selbst.

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Lebe dein Leben weiter

Es kann sein, dass die Krankheit deiner Freundin abverlangt, auf einiges zu verzichten. Du hilfst ihr nicht, wenn du ihren Verzicht mitmachst. Lebe stattdessen dein Leben weiter, so wie es dir immer Spaß gemacht hat. Vielleicht hast du Schuldgefühle, wenn du dich amüsierst und deine Freundin wegen ihrer Essstörung währenddessen zu Hause oder in der Klinik ist. Doch das würde sie erstens nicht wollen und zweitens hilft es niemandem. Schaue liebevoll auf sie und besuche sie weiterhin. Behandle sie so, wie du es auch vor der Erkrankung getan hast. So spürt sie dich an ihrer Seite, auch wenn du nicht immer direkt bei ihr sein kannst. Doch wenn sie erfährt, dass du sie weiter als Menschen lieb hast und sie nicht nur mit ihrer Krankheit siehst, hast du schon ganz viel für sie getan. Was sie selber daraus machen kann, hängt von ganz vielen Dingen ab, auf die du keinen Einfluss hast. Dieses Unabänderliche anzuerkennen ist schwer, sorgt aber für mehr Freiraum in eurer Freundschaft. Und der tut euch jetzt beiden gut.

Autorin: Diplom-Pädagogin und Systemische Familientherapeutin Marthe Kniep

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