Treue ist auch keine Lösung: Warum die Liebe viel mehr Freiheit braucht

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Frau Fischbach, brauchen wir mehr Freiheit in der Liebe?

Braucht die Liebe absolute Treue? Nicht unbedingt, sagen Lisa Fischbach und Holger Lendt. Sie meinen, dass die Liebe stattdessen viel mehr Freiheit und Mut zu neuen Beziehungsmodellen braucht.

Lisa Fischbach und Holger Lendt und haben ein Buch geschrieben, dass viele Menschen sauer macht. Denn: "Treue ist auch keine Lösung" stellt das romantische Liebesideal in Frage, das in unserer Gesellschaft als das Beziehungs-Ideal schlechthin gilt. Fischbach und Lendt fordern mehr Freiheit für die Liebe und den Mut, ganz neu über unsere Beziehungsstrukturen nachzudenken. Brauchen ich und mein Partner vielleicht eine ganz andere Liebesform? Könnte es für uns ok sein, wenn wir auch andere Sexualpartner haben? Muss es gar nicht das Aus für unsere Liebe sein, wenn er eine andere küsst?

Wir haben den Autoren diese Fragen gestellt und waren nachher positiv überrascht. Vielleicht ist Treue wirklich nicht die einzige Lösung für lebenslange Liebe.

Interview: Warum auch Untreue Liebe sein kann

Wunderweib: „Alles mit Einem für immer“ – warum ist die romantische Vorstellung AMEFI eine ganze blöde Idee?

Lisa Fischbach: Wer behauptet das? Sie ist eine wunderbare Lebensform. Die Idee wäre niemals so erfolgreich, wenn ihr nicht etwas sehr Wahres und Kostbares zugrunde liegen würde. Treue drückt den Wunsch nach tiefer, sicherer Bindung aus. Nur wird das romantische Liebesideal dieser Tage durch sehr hohe Ansprüche an die Beziehung überlastet, so dass es regelmäßig scheitert. Der etablierte Paarberater Arnold Retzer geht davon aus, dass 90 Prozent der Männer und 75 Prozent der Frauen nicht monogam in ihren Partnerschaften leben. Eigentlich brauchen wir für die ein neues Lebensmodell, weg von der Monogamie und dem alten Begriff der Treue, der eher ausschließt und verbietet, anstatt an die Offenheit und Festigkeit zueinander zu appellieren.

Er ist fremdgegangen, ich bin tief verletzt – ist Schlussmachen jetzt die beste Lösung?

Lisa Fischbach: Das Fatale beim Fremdgehen ist das einseitige Aufkündigen des Treueversprechens mit der vereinbarten körperlichen Exklusivität. Doch die ist oft sogar leichter zu verzeihen. Viel schwerer wiegt der Vertrauensverlust. Plötzlich weiß der Betrogene nicht mehr einzuordnen, worauf er sich noch verlassen kann, was wahr war und was gelogen. Das ist traumatisch. Ob ein Neuanfang sinnvoll ist, hängt von der Art des Fremdgehens ab und der Qualität der Partnerschaft. Ist diese bereits schon länger gescheitert, keine Liebe mehr da oder ist das Fremdgehen eher ein Symptom für unbewusste Anteile in der Beziehung, die fehlen oder „nur“ der Wunsch nach Anderem? Um in einer tief erschütterten Partnerschaft zu bleiben, braucht es auf jeden Fall die Bereitschaft von beiden, die Probleme aufzuarbeiten, offen und ehrlich darüber zu sprechen. Durch Zeit und Verständnis können die Wunden heilen. Durch die Auseinandersetzung können aber beide wachsen.

Geht guter Sex ein Leben lang nur mit wechselnden Partnern?

Holger Lendt: Nein – wer monogam leben möchte, kann sexuelle Erfüllung durchaus mit einem Partner finden. Allerdings zieht es die meisten Menschen in der Phantasie oder Realität auch irgendwann zu Anderen hin und für diesen Widerspruch zwischen Sehnsucht nach Neuem und dem Wunsch nach sicherer, tiefer Bindung muss jede Partnerschaft die passende Lösung finden. Man kann durchaus Sex mit wechselnden Partnern mit einer stabilen Lebenspartnerschaft kombinieren. Es gibt aber auch monogame Paare, die sich sehr „angeregt“ über ihre Lust nach Anderen austauschen, ohne diese aber zu leben... ich nenne sie gerne „offen monogame Paare“.

Woran liegt es, ob Untreue bei mir Erregung oder eher Mordlust auslöst?

Holger Lendt: Untreue im Sinne des Betrügens erregt Niemanden sexuell, sondern beschädigt als Fremdgehen die Essenz einer Beziehung - das Vertrauen ineinander. Wenn Untreue die sexuelle Öffnung einer Liebe meint, dann ist das nur dann ein Aphrodisiakum, wenn ich mich diesem Gedanken öffnen kann, wenn es einvernehmlich geschieht und wenn die Basis der Ursprungsbeziehung sehr solide und vertrauensvoll ist. Von vorschnellen Experimenten mit Dritten raten wir eher ab!

Sie sagen Treue ist wie eine Würgepflanze, die die Liebe erstickt. Wie meinen Sie das?

Holger Lendt: Das ist nicht ganz korrekt – wir nutzen im Buch das Bild der Würgefeige, die irgendwann dem Baum ähnelt, den sie überwuchert hat. Es geht nicht darum, dass Treue der Liebe schadet! Monogamie hat nur oft die Konturen einer frühkindlichen Symbiose. Wir glauben, das im Kern des AMEFI-Ideals unsere Liebes-Urerfahrung steckt, nämlich die früheste Bindung an unsere Mutter. Wir sind alle aus einer vollkommenen körperlichen Symbiose mit ihr erwachsen und unbewusst erinnern wir uns an dieses vollkommene Gefühl ozeanischen Einsseins. Je vollständiger wir uns deshalb später in einem Partner spiegeln und angenommen fühlen, desto stärker fühlen wir Liebe. Dogmatische Monogamie will diese kindliche Bindungserfahrung zurückholen und wird uns als Erwachsenen damit oft nicht gerecht.

Warum ist nie unser Partner Schuld, wenn wir fremdgehen?

Holger Lendt: Für einen Diebstahl wird sinniger weise der Dieb verurteilt und nicht die Politiker des Landes – auch wenn sie Mitverantwortung für die Armut des Diebes tragen mögen. Ebenso kann man einiges dazu beitragen, dass in einer Beziehung Bedingungen entstehen, die einen Seitensprung begünstigen – aber der Fremdgänger trägt die Verantwortung für sein Tun. Er könnte ja auch die offene Aussprache wählen. Im Übrigen sind viele Seitenspringer aber total zufrieden mit ihrer Beziehung und haben ihren Partnern nichts vorzuwerfen!

Wie sieht für Sie die ideale Beziehung aus?

Holger Lendt: Einzigartig! Eine Liebesbeziehung sollte die Freiheit haben, sich aus sich selbst heraus entwickeln zu dürfen und nicht nur Klischees erfüllen. Die Partner sollten sich selbst darin ebenso treu bleiben können, wie den Regeln, die sie miteinander verabredet haben und sie sollten offen genug bleiben, um diese immer wieder einvernehmlich anpassen zu können. Eine solche Beziehung fördert die persönliche Entwicklung der Beteiligten und benötigt viel Geduld, Demut, Hingabe, Wahrhaftigkeit, Achtsamkeit und Mut.

Wie funktionieren polyamore Beziehungen? Für wen machen die Sinn?

Lisa Fischbach: Für die Öffnung einer Beziehung braucht es behutsames Vorgehen, Raum für Entwicklung, viel Kommunikation und Vertrauen. Das wird häufig unterschätzt. Im Gegensatz zu einer offenen Beziehung, bei der meist nur sexuelle Freiheiten vereinbart werden und Gefühle dem „Hauptpartner“ vorbehalten bleiben, ist bei einer polyamorenPartnerschaft auch das mehrfach emotional Lieben erlaubt. Wenn Leute ihre Zweisamkeit freier gestalten wollen, sollten sie als erstes darüber nachdenken, ob sie geben können und wie mit Eifersucht umgegangen wird. Denn beide Partner sollten die gleichen Freiheiten haben. Sie brauchen für diesen Schritt die Verantwortungsübernahme für die eigenen Gefühle und ihre Eifersucht. Wie gut das gelingt, zeigt sich dann in der Praxis. Das wichtigste Gebot ist: Einvernehmlichkeit, erlaubt ist, was beide Partner miteinander vereinbaren. Dafür braucht es viele Absprachen, Regeln und aktive Beziehungsarbeit.

Gab es eigentlich viele kritische Reaktionen zu Ihrem Buch?

Lisa Fischbach: Wir haben sehr viel mehr positive Rückmeldungen erhalten, über 150 Leserbriefe. Die meisten fühlten sich angeregt, über ihre eigene Einstellung zur Liebe und Treue nachzudenken und sich noch einmal darin zu bestätigen. Das ist ja der eigentliche Sinn des Buches. Wir wollen ja keinen zur freien Liebe anstiften, sondern zu mehr Freiheit in der Liebe, also den Blick über den Tellerrand. Wer darin einen Beitrag sah, der Monogamie die Luft abzulassen und die Liebeslandschaft noch untreuer und sündiger zu machen, den beschlich die Angst und es kam zu einigen Anfeindungen. Oft zeigte sich aber, dass die aggressiven Kritiker das Buch entweder nicht gelesen oder nicht verstanden haben. Wir haben uns aber mit allen persönlich in Verbindung gesetzt

Hat irgendjemand Sie davon überzeugen können, dass absolute Treue doch die einzige Liebesform ist, die wirklich glücklich macht?

Holger Lendt: Da ich Treue als die Bindung an einen – oder mehrere – geliebte Menschen verstehe, bin ich sogar der Überzeugung, dass Liebe und Treue untrennbar sind! Nur definiere ich Treue eben im ursprünglichen Wortsinne als das, was eine Liebe fest und stark macht und was Vertrauen ermöglicht und das ist ein sich Einlassen aufeinander in wahrhaftiger Begegnung. Man schützt die „Liebe im Innen“ aber nicht durch das „Hassen nach Außen“, wie es die Eifersucht tut. Wo sich hingegen zwei Menschen einander anvertrauen, sollten nur sie entscheiden, ob sie einander genug sind oder ob sie sich weiteren Menschen öffnen wollen. Ich kenne Partnerschaften, die zunächst monogam gelebt wurden, dann achtsam geöffnet, bis hin zur Polyamorie und später kehrte wieder Zweisamkeit ein - deshalb gibt es kein Modell das immer und für alle passt!

Treue ist auch keine Lösung
Ein Plädoyer für mehr Freiheit in der Liebe

Die Webseite zum Buch: www.treueistauchkeineloesung.de

Die Autoren:

Lisa Fischbach studierte in Hamburg Psychologie und Sexualwissenschaft. Sie betreut das Single-Coaching und ist als psychologische Beraterin für ElitePartner tätig. Außerdem arbeitet sie in eigener Praxis für Single- und Paarberatung und bietet Einzelberatung für berufliche und persönliche Veränderungsprozesse an.

Holger Lendt ist Diplom-Psychologe und absolvierte sein Studium der Psychologie und Sexualwissenschaft an der Universität Hamburg. Er ist seit vielen Jahren in therapeutischer und beraterischer Funktion im Drogenhilfesystem tätig und bietet in seiner Praxis in Hamburg Harvestehude mentales Coaching für Einzel-Klienten und Paare an. Zusammen mit Lisa Fischbach bietet er individuelle Intensiv-Coachings für Männer und Frauen an.

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