Verschwörungserzählung QAnon: Donald Trump, Bill Gates und Kinderblut
Trinken geheime Eliten Kinderblut, um ewig jung zu bleiben? Hat Bill Gates Corona erfunden, um die Weltherrschaft an sich zu reißen? Wird Donald Trump uns alle retten? Woran Anhänger:innen der Verschwörungserzählung QAnon glauben.
In Amerika kommt es immer häufiger zu Gewaltverbrechen, bei denen die Täter:innen sich auf QAnon berufen. Anfang August tötete ein 40-jähriger US-Amerikaner seine beiden kleinen Kinder, weil er überzeugt davon war, sie tragen Schlangen-DNA in sich und würden zu Monstern heranwachsen. Der Besitzer einer Surf-Schule gab später im Verhör durch das FBI an, von QAnon "erleuchtet" worden zu sein.
Was steckt hinter der Verschwörungserzählung, wo nahm sie ihren Anfang und was glauben QAnon-Anhänger:innen?
Wegen Verschwörungsmythen: Vater ermordet seine Kinder mit Harpune!
QAnon: Die Legende von bluttrinkenden Eliten
QAnon auf eine bestimmte Botschaft oder einen festen Personenkreis zu reduzieren, ist nicht möglich. Vielmehr steckt hinter der Verschwörungserzählung ein kaum zu überblickendes Repertoire an Theorien, Behauptungen und diffusen Vorhersagen. Der Bewegung gehören Hippies und Esoteriker genauso an wie Rechtsradikale, Politiker, Intellektuelle und Otto Normalverbraucher. Es gibt kein einheitliches QAnon-Logo. Wichtig ist lediglich der Buchstabe Q – das teilt sich QAnon mit der "Querdenken"-Bewegung.
Auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner glauben QAnon-Anhänger:innen daran, dass weltweit agierende Eliten Kinder entführen und in satanistischen Folterritualen ermorden, um an ihr Blut zu kommen. Aus dem Blut der ermordeten Kinder gewinnen die Eliten Adrenochrom, ein Stoffwechselprodukt von Adrenalin, das zur ewigen Jugend verhelfen soll, wenn man es trinkt. Dass Adrenochrom zum einen nicht nachweislich verjüngend wirkt und zum anderen ganz simpel synthetisch hergestellt werden kann, findet bei QAnon-Anhänger:innen kein Gehör.
"Hillary Clinton wird verhaftet!" Die Entstehung der Bewegung
QAnon entstand in Amerika. Anon ist ein Pseudonym für Internetnutzer, die anonym bleiben wollen. Q ist das Kürzel desjenigen, der die Bewegung losgetreten hat.
Experten verfolgten QAnon ins Jahr 2017 zurück. Am 28. Oktober postete ein Internetuser namens "Q Clearance Patriot" auf dem für seine rechtsradikalen Einträge bekannten Messageboard 4chan einen längeren kryptischen Text. Eine der Aussagen darin: Die US-Politikerin Hillary Clinton (73) würde bald verhaftet werden. Obwohl das – wie bisher alle Vorhersagen Qs – nicht eingetroffen ist, sorgte der Post für Aufruhr. Verschiedene 4chan-Moderatoren und YouTuber griffen das Geschriebene auf und sorgten so für eine Hype. Man behauptete, Q habe seinen Nickname nicht zufällig gewählt. Der User besitze vielmehr die höchste nichtmilitärische US-Sicherheitsstufe "Q" und damit Zugang zu den nuklearen Geheimnissen der USA.
Die Nachrichten, die inzwischen Q-Drops genannt werden, sind sich seit 2017 treu geblieben: kryptische Satzfetzen und zusammenhanglose Fragen, die schwer bis überhaupt nicht zu verstehen sind. Genau das macht Q so erfolgreich. Die Leser:innen der oft antisemitischen und radikalen Nachrichten bekommen den Eindruck, sie müssten sie entschlüsseln. QAnon ist eine Verschwörungserzählung zum Mitmachen: Statt zu konsumieren, nehmen die Anhänger:innen aktiv teil und finden für jeden Satzfetzen einen vermeintlichen Beweis in der realen Welt. Jeder, der behauptet, die Q-Drops würden keinen Sinn ergeben, wird als Nicht-Sehender ausgegrenzt.
Das Paradoxe: In den bisher knapp 3.500 geposteten Q-Texten werden immer wieder genaue Daten genannt, zu denen etwas Bestimmtes passieren soll. Noch nie hat sich eine dieser Vorhersagen bewahrheitet.
Wer ist Q?
Bis heute konnte nicht nachgewiesen werden, wer den ersten Q-Post verfasst hat oder ob die folgenden Posts noch von dem Ursprungsverfasser stammen. Nachdem vermutet worden war, dass 4chan unterwandert worden sei, wechselten die Q-Drops auf 8chan, heute 8kun. Das Imageboard ist seit 2019 offline bzw. immer mal wieder mit Technikproblemen unter anderem Namen online. Wer jetzt noch Q-Drops lesen will, muss auf Social Media umsteigen, worüber sie weitestgehend verbreitet werden.
Über die Identität Qs wird weiterhin gerätselt. Im Fokus stehen dabei zumeist die Betreiber der Webseiten 4chan bzw. 8kun. Zuletzt soll der Journalist Cullun Hoback bei seinen Recherchen für die sechsteilige HBO-Serie "Q: Into The Storm" hinter die Identität Qs gekommen sein. Im Interview mit Hoback sprach Ron Watkins, der Sohn von 8kun-Betreiber Jim Watkins, über Q und sagte dabei aus Versehen "ich". Für manche QAnon-Anhänger:innen der Beweis, dass Ron Watkins Q ist. Er selbst streitet das ab.
Bösewicht Bill Gates vs. Superheld Donald Trump: Der Deep State kommt
Wichtig für jede Verschwörungserzählung: ein sehr einfaches Feindbild und ein strahlender Held.
Bei QAnon sind die Feindbilder zahlreich. Die bluttrinkenden Eliten setzen sich zusammen aus Politiker:innen, Hollywood-Stars und liberalen Wohlhabenden. Als zentrale Figuren treten immer wieder Hillary Clinton – das Opfer des ersten Q-Drops –, Ex-Präsident Barack Obama (60) und der US-amerikanische Investor George Soros (91) in Erscheinung. Einer der wichtigsten Gegner ist Microsoft-Gründer Bill Gates (65). Ihm unterstellen QAnon-Mitglieder:innen, die Corona-Pandemie ausgelöst zu haben, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Über die Corona-Schutzimpfungen würden Bürger:innen gechippt und später gesteuert.
In diesem Zusammenhang fällt auch immer wieder der Begriff Deep State, übersetzt Tiefer Staat. Damit gemeint ist ein Staat im Staat, also eine illegal agierende Gruppe an Machthabern, die aus dem Untergrund – aus der Tiefe – heraus die Fäden in der Hand hält und vorbei am Wissen der Gesellschaft regiert.
Als großen Gegner des alles kontrollierenden Deep State feiert die QAnon-Bewegung ausgerechnet den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump (75). Er soll als einer der wenigen Machthaber das widerliche Spiel der Eliten durchschauen und dagegen ankämpfen. Beweise dafür gibt es nicht. Trump hat sich allerdings schon öfter über QAnon geäußert, er teilt regelmäßig Postings der Gruppierung auf Social Media. 2020 sagte der Politiker in einer Pressekonferenz im Weißen Haus über die QAnon-Anhänger:innen: "Wie ich es verstehe, mögen sie mich sehr, was ich zu schätzen weiß." Angesprochen auf der Theorie, er kämpfe gegen ein Aufkommen pädophiler Eliten, antwortete Trump, er sei bereit, die "Welt vor Problemen zu retten".
Seit seiner Wahlniederlage Ende 2020 prophezeien QAnon-Anhänger:innen immer wieder und wieder Trumps Rückkehr an die Macht. Bisher lagen die Vorhersagen alle falsch.
Die Corona-Krise als Multiplikator
Es wäre zu einfach, Anhänger:innen von Verschwörungsmythen als ungebildet, beeinflussbar oder aggressiv abzustempeln. Im Gegenteil fallen meistens ganz gewöhnliche Menschen auf die hanebüchenen Erzählungen herein.
Psychologen sind vielmehr der Überzeugung, dass Menschen sich in privaten oder gesellschaftlichen Extremsituationen einer Verschwörungserzählung zuwenden – also dann, wenn ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Das kann eine Trennung sein, eine Kündigung, der Verlust eines geliebten Menschen oder ähnliche belastende Erlebnisse. In diesem überwältigenden Gefühl von Unsicherheit, (Zukunfts-)Angst und Zweifel suchen sie nach Halt und finden sie in der Tatsache, Teil einer Bewegung zu sein, die vermeintlich mehr versteht als der blinde Rest.
In Deutschland wie in den USA wird die Corona-Krise als Multiplikator für QAnon gesehen. Lockdowns, Restriktionen, Pleite- und Kündigungswellen erschüttern Menschen genauso in ihren Grundfesten, wie die Angst vor dem Virus an sich. Die Tatsache, dass der Staat über Restriktionen in unseren Alltag eingreift, interpretieren die Anhänger zusätzlich als Beweis dafür, dass ein Deep State auch in Deutschland möglich ist.
QAnon in Deutschland
In den USA wird QAnon seit 2019 als inländische Terrorismusgefahr eingestuft. In Deutschland ist das noch nicht der Fall.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Bewegung allerdings unter Beobachtung gestellt. Diese findet vor allem in Zusammenhang mit der "Querdenken"-Bewegung statt, die seit Ende April 2021 mit der Einstufung "Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates" beobachtet wird. Hier bringt das Innenministerium auch QAnon ins Spiel. In einer Pressemitteilung hieß es dazu:
"Verschwörungsmythen wie QAnon oder andere antisemitische Ressentiments werden dabei ebenso bemüht, wie weitere aus rechtsextremistischen oder 'Reichsbürger'- und 'Selbstverwalter'-Zusammenhängen bekannte Stereotype."
Experten schätzen, dass QAnon in Deutschland rund 200.000 Anhänger:innen hat.
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