Laut Expertin: Ab wann greifen Babys und sollen Eltern dabei unterstützen?
Lange vor dem ersten Schritt und dem ersten Wort stellen sich viele Eltern die Frage, ab wann Babys greifen können. Noch wichtiger: Müssen wir diesen Entwicklungsschritt aktiv fördern? Das sagt eine Kinderärztin dazu.
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Der Klassiker: Das erste Kind ist noch nicht auf der Welt und schon ist das Kinderzimmer mit niedlichem Spielzeug bestückt. Aber ab wann greifen Babys eigentlich bewusst nach Greifling, Rassel & Co.? Die Berliner Kinderärztin Katharina Schroth erklärt die unterschiedlichen Greifphasen und macht sich dafür stark, dass Eltern diesen Entwicklungsschritt zwar spielerisch begleiten, aber nicht forcieren.
Ab wann greifen Babys?
"Wenn man den Greifreflex miteinbezieht, können Babys praktisch ab Geburt greifen", sagt Katharina Schroth im Wunderweib-Interview. Der Greifreflex hat aber nichts mit einer bewussten Handlung zu tun und verschwindet um den dritten Lebensmonat herum.
Das Greifen läuft in seiner Entwicklung sinnbildlich an der Hand entlang. "Es beginnt mit Handteller und Handgelenk, dem sogenannten Affengriff. Danach benutzen Babys ihre Finger und ganz zum Schluss die Fingerkuppen", fasst die Kinderärztin zusammen.
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Die Greifphasen im Überblick
0-2 Monate: unbewusstes Greifen/Greifreflex
3-4 Monate: Erste Hand-Augen-Koordination. Babys betrachten ihre Finger und Hände und versuchen die Dinge, die sie sehen, zu erreichen. Bewusstes Greifen ist noch nicht möglich.
5-6 Monate: Babys greifen gezielt nach Gegenständen und können Dinge von einer in die andere Hand nehmen.
7-8 Monate: Scherengriff: Babys können geeignete Gegenstände an der Basis des Daumens und dem Zeigefinger halten.
9-12 Monate: Mit Pinzettengriff und Zangengriff können Kinder sehr kleine Objekte mit den Fingern und Fingerkuppen greifen und halten.
Babys entwickeln sich individuell
Die Einteilung der unterschiedlichen Greifphasen dient Eltern lediglich zur groben Orientierung. Sie sind keine festgeschriebenen Meilensteine.
Ganz im Gegenteil. "Für alle großen Lernentwicklungen gilt: Kinder haben ihr eigenes Drehbuch", betont Katharina Schroth. "Oft passieren die Dinge gleichzeitig, manchmal überspringen Kinder einen Schritt und wieder ein anderer zieht sich. Alles passiert in einer ganz individuellen Geschwindigkeit."
Babys greifen: Diese kleine Übung hilft
Sobald ein Baby um den zweiten/dritten Monat herum die ersten Greifversuche macht, können Eltern die neuen Bewegungen ins Spiel einbauen.
"Wenn das Baby auf der Wickeldecke liegt, ein kleines Spielzeug ein Stück außer Reichweite und etwas seitlich legen. So regt man ganz natürliche Prozesse beim Kind an: Mit welchem Arm greife ich, mit welchem stütze ich mich?" erklärt Katharina Schroth eine einfache Spielübung. "Das Gleiche passiert, wenn die Babys später einen Ball in der Hand haben und man ihnen einen zweiten reicht: Nehme ich den zweiten Ball mit der zweiten Hand oder nutze ich die gleiche Hand und nehme dafür den ersten Ball in die andere?"
Diese Spielzeuge sind sinnvoll
"Schön sind verschiedene, natürliche Materialen, die die Sinne unterschiedlich ansprechen – also glatte oder texturierte Oberflächen, warme Oberflächen, kühle Oberflächen, etwas Leichtes und Schweres", zählt Katharina die verschiedenen Möglichkeiten auf.
Tatsächlich braucht es nicht viel, um die Neugier eines Babys zu wecken. Liegen zu viele Spielzeuge vor dem Kind, wird es schnell überreizt. "Zwei Spielzeuge pro Spieleinheiten sind vollkommen ausreichend", sagt die Expertin. "So haben die Babys auch genug Zeit und Kapazität, um die verschiedenen Oberflächen kennenzulernen."
Bei der Auswahl müssen Eltern darauf achten, dass die Spielzeuge klein genug sind für Babyhände, aber nicht verschluckt werden können. Hier eignen sich Greiflinge gut. Viele Modelle der Berliner Firma Kindsgut kombinieren natürliche Materialien, zum Beispiel unbehandeltes Holz und natürliche Baumwolle.
Wenn Babys greifen, begreifen sie
Fast spannender als die Frage, ab wann Babys greifen, ist die Frage, was beim Greifen alles im Kopf passiert. Dabei geht es nämlich nicht nur darum, dass die Kleinen später mal einen Lolly halten können.
"Beim Greifen passiert viel mehr als das eigentliche Handeln", sagt Katharina Schroth. "Kinder nehmen dabei die unterschiedlichsten Dinge wahr: Oberflächenbeschaffenheit, Gewicht, Temperatur, Geruch, ob das Spielzeug Geräusche macht und so weiter. Diese ganzen Informationen kommen im Großhirn an, werden abgespeichert und bei Wiederholung später wiedererkannt."
Passend dazu hat der britische Philosoph John Locke (1632-1704) einmal gesagt: "Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war".
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Babys beim Greifen nicht überfordern
So elementar es ist, Babys bei der Entwicklung zu unterstützen, so wichtig ist es, Ruhephasen einzubauen. "Man darf Babys keinen Reizüberflutungen aussetzen", unterstreicht Katharina Schroth. "Bei einem drei Monate alten Baby nicht länger als 10 Minuten Spielzeit am Stück. Danach braucht es eine Pause. Die Kleinen müssen nicht permanent bespaßt werden."
Dreht das Kind sich vom Spielzeug weg, reibt sich die Augen oder schreit vor Müdigkeit, sind das eindeutige Anzeichen dafür, dass es nicht mehr spielen mag.
Ab wann greifen Babys? Wenn sie bereit sind
Egal, wie entspannt Eltern sind, fast alle kennen die Unsicherheit, die sich einschleicht, sobald das eigene Kind etwas nicht gut oder vermeintlich zu spät kann. Oft hört man schon im ersten Babykurs, was das Kind alles machen sollte: minutenlang auf dem Bauch liegen, die eigenen Füße interessant finden, den Spielball festhalten und so weiter und so fort. Viel zu oft geht es dabei darum, dass Babys etwas besonders früh können sollten. Dabei gibt es keinerlei Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt eines Entwicklungsschrittes und dem eigentlichen Können.
"Wie schnell ein bestimmter Schritt beim Greifen erreicht wird, sagt nichts über die spätere Feinmotorik aus", bestätigt Katharina Schroth. Kann ein Kind eine bestimmte Sache sehr früh, bedeutet das Umkehrschluss auch nicht, dass es immer sehr gut darin sein wird.
Die Expertin betont außerdem, dass Eltern einen realistischen Blick auf ihre Kinder haben sollten. "Grundsätzlich muss nicht jedes Kind in Sachen Fein- oder Grobmotorik gleichermaßen begabt sein", untermauert Katharina Schroth. "Stellen wir uns vor, jedes Kind könnte in jedem Entwicklungsschritt 10 Punkte erreichen. Dann wird es in einem dieser Schritte vielleicht eine 10 haben, in einem anderen eine 7 und wieder in einem anderen eine 3. Das ist doch wie bei uns Erwachsenen: Der eine ist sportlich, der andere wortgewandt, der dritte mathematisch begabt…"
Ab wann greifen Babys und wie gut greifen Babys, sind also Fragen, die jedes Kind für sich allein beantwortet.
Unsere Expertin
Dr. Katharina Schroth ist Kinderärztin in Berlin und Mutter von vier Kindern, einem Mädchen und drei Jungen. Neben ihrem Praxisjob klärt sie auf Instagram über kinderärztliche und kindspädagogische Themen auf – sowohl auf ihrem eigenen Kanal als auch für die Firma Kindsgut.
Artikelbild & Social Media: Orbon Alija/iStock