Sexismus bekämpfen

Alltagssexismus: Respekt vor meinen Grenzen! Was Männer endlich lernen müssen

Wohin ich auch schaue, Sexismus lauert an jeder Ecke. Mir reichts! Ich kann den Alltagssexismus in unserer Gesellschaft nicht länger ertragen.

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Spätestens seit der „Me Too“-Bewegung, die nach den Enthüllungen rund um den Harvey Weinstein Missbrauchsskandal losgetreten wurde, wird Sexismus und sexualisierte Gewalt in der breiten Masse thematisiert. Und dennoch, was hat sich seitdem wirklich verändert?

Sexismus hat viele Facetten. Nicht immer geht es dabei um Gewalt und Missbrauch. Doch genau das macht Sexismus noch viel gefährlicher. Es ist, als würde er ständig neue Mittel und Wege finden, um Frauen, nicht-binäre Personen und ja, auch Männer zu unterdrücken.

Hat uns „Me Too“ nicht gelehrt, genauer hinzuschauen und uns gegenseitig zu sensibilisieren? Nein, stattdessen befinden wir uns in einer ignoranten „Man darf ja heutzutage gar nichts mehr sagen“-Gesellschaft. Ich bin müde und frustriert. Denn an vielen Tagen fühlt es sich so an, als würden wir uns rückwärts statt vorwärtsbewegen. Was muss passieren, damit sich endlich etwas ändert?

Unendlich viele Beispiele für Alltagssexismus…

Wo fängt Sexismus an und wo hört er auf? Wenn der fremde Mann in der Bahn mich ungeniert anstarrt? Wenn mir Kompetenzen abgesprochen werden, nur weil ich eine Frau bin? Wenn ich weniger verdiene als meine männlichen Kollegen? Wenn mir ein Mann versucht, die Welt zu erklären (Stichwort: Mansplaining)? Wenn ich kritisch dafür beäugt werde, dass mein Fokus aktuell auf meiner Karriere und nicht auf Familienplanung liegt? Wenn ich unterschätzt werde, weil ich vermeintlich „niedlich“ aussehe? Wenn mir ein Mann hinterherpfeift? Wenn, wenn, wenn…

Wenn wir aufgrund unseres Geschlechts benachteiligt, abgewertet, unterdrückt werden. Wenn Geschlechterstereotypen vorgeben, wie wir angeblich zu sein haben. Ich bin es so leid zu hören, dass sich jemand durch das Gendersternchen in der eigenen Freiheit eingeschränkt fühlt. Oder dass nur Hetero-Beziehungen als „normal“ bezeichnet werden. Wann können wir uns endlich darauf einigen, dass jede*r selbst über das eigene Leben entscheiden kann? Ist das wirklich zu viel verlangt?

Warum halten immer noch so viele an veralteten Rollenbildern fest? Wovor habt ihr so eine Angst?! Oder liegt es doch daran, dass ihr eure Macht nicht aufgeben wollt? Seid ihr nun für Gleichberechtigung oder nicht?

Sexismus betrifft uns alle. Ja, auch Männer, wenn sie mit Vorurteilen von Männlichkeit zu kämpfen haben. Nichtsdestotrotz sind es vor allem Frauen und nicht-binäre Personen, die von Alltagssexismus betroffen sind. Denn unsere patriarchalen Strukturen sorgen dafür, dass wir weniger verdienen, dass wir benachteiligt werden und oft immer noch mehr Wert auf das Wort und die Meinung eines Mannes gelegt wird.

Sollten wir darüber nicht langsam mal hinaus sein?! Ja, sollten wir! Sind wir aber nicht…

Alltagssexismus versteckt sich in vermeintlich kleinen Details wie z. B. dem Manterrupting, wenn dir Männer ständig ins Wort fallen.

„Immer wieder wurden meine persönlichen Grenzen überschritten“

„Willst du das wirklich anziehen? Als Mann kann ich dir sagen, Männer stehen eher darauf, wenn Frauen enge Hosen und hohe Schuhe tragen.“ Diesen „Ratschlag“ habe ich von einer Person in meinem privaten Umfeld erhalten.

Ich fühle mich wie erstarrt. Alles, was ich denken kann, ist, wer hat gefragt? Ich nicht! Ich habe nicht nach deiner Meinung gefragt. Und trotzdem nimmst du dir das Recht, mich zu sexualisieren und mich auf mein Äußeres zu reduzieren. Du denkst, du weißt, was ich will und was gut für mich ist?! Du hast keine Ahnung! Aber ich sage nichts.

Ich bin wütend. Ich versuche, offen zu bleiben, lösungsorientiert, nicht alle Männer als Problem zu bezeichnen. Doch meine Kraft schwindet, wenn ich als junge Frau mit drei Männern mittleren Alters bei einem Workshop in einer Küche stehe und sie gemeinsam über einen mehr als unangebrachten Witz lachen, der so aus dem Nichts kommt und dennoch nicht überrascht.

Mehr zu mir selbst als zu den anderen sage ich: „Mist, ich habe ein Fleck auf meinem Shirt.“ Plötzlich fängt einer der Männer an, Witze über ein nasses, weißes T-Shirt zu machen. Ich bin irritiert. Mein T-Shirt ist zwar weiß, aber nicht nass. Doch er lässt mich ungehemmt an seinem Kopfkino teilhaben. Und plötzlich stehe ich in einem weißen, nassen T-Shirt vor diesen Männern, zumindest in deren Fantasie. Ich fühle mich entblößt. Ich habe keine Kraft, etwas zu sagen. Also stehe ich einfach nur da und spüre einen Stich in meiner Brust.

Alltagssexismus: Über das Gefühl der Ohnmacht

Ich habe gelernt zu lächeln, mich zu bedanken, wenn ich ein Kompliment für mein Äußeres bekomme und geradezu um die Aufmerksamkeit und Bestätigung von Männern zu kämpfen. Ich schätze genau das hat dazu beigetragen, den Alltagssexismus, der mir immer wieder begegnet, so lange so gekonnt zu ignorieren und auszuhalten.

Ich versuche all diese Verhaltensmuster, die mich unsere Gesellschaft von klein auf gelehrt hat, wieder zu verlernen. Ich will hinschauen, ich will erkennen, wann ich mich unwohl fühle, wann ich das Gefühl habe, dass meine persönlichen Grenzen überschritten wurden. Leider stelle ich fest, dass das ziemlich häufig passiert.

Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie mich dieser Alltagssexismus erfrieren lässt und ich schlimme Aussagen und Situationen weglächele, anstatt zu reagieren. Oftmals ist es wie ein Gefühl der Ohnmacht. Übertreibe ich, wenn ich jetzt was sage? Lohnt sich das wirklich?

„Das war doch gar nicht so gemeint“ – Wenn Alltagssexismus geleugnet wird

Inzwischen glaube ich: Ja, es lohnt sich. Auch wenn ich kein Verständnis von meinem Gegenüber bekomme. Denn jedes Mal, wenn ich den Sexismus einfach über mich ergehen lasse, tue ich mir im Endeffekt nur selbst weh.

Und dennoch, es ist hart. Denn wenn ich es dann endlich schaffe, mutig für mich einzustehen, dann wird das meist nicht belohnt. Hierzu fällt mir ein bestimmtes Erlebnis ein. Ich habe mich in einem Arbeitskontext mit einem Mann allein getroffen, um an einem Projekt zu arbeiten.

Während des Treffens sagt er Dinge zu mir, wie, dass die Art, wie ich gerade da stehe sehr sexy sei. Es bleibt nicht bei einem Kommentar. Ich fühle mich sehr unwohl, bin aber so davon überrumpelt, dass ich zunächst – wieder einmal – nichts sage. Gleichzeitig wird mir überdeutlich bewusst, dass ich ganz allein mit diesem Mann an einem Ort bin, an dem zu diesem Zeitpunkt keine anderen Menschen sind.

Ich bekomme Angst und will so schnell wie möglich aus dieser Situation heraus. Er scheint das zu spüren, denn nach dem Treffen schreibt er mir, ob alles okay sei. Das muss ich ihm anrechnen. Also überwinde ich mich und versuche ihm zu erklären, wie ich die Situation erlebt habe und dass ich mich mit seinen Aussagen sehr unwohl gefühlt habe.

Zunächst scheint es, als würde er versuchen, mich zu verstehen. Doch bei den darauffolgenden Treffen (danach immer mit anderen Menschen, darauf habe ich dann geachtet) beschwert er sich immer wieder darüber, dass ich mich komisch verhalten würde. Er zeigt mir, dass er sich unwohl mit mir fühlt. Und gibt mir das Gefühl, ich hätte mich falsch verhalten, indem ich meine Gefühle angesprochen habe. Er habe ja nichts gemacht, ich hätte das alles falsch verstanden.

„Alles, was ich von dir brauche, ist, dass du meine Grenzen respektierst. Es geht nicht darum, dich zu einem Täter, zu einem Schuldigen zu machen.“
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Ich begegne immer wieder Menschen, meist Hetero-Cis-Männern, die sich schnell angegriffen, als „Opfer“ fühlen, die meine Grenzen nicht verstehen und sich aus ihrer Sicht falsch angeschuldigt fühlen. „Das war doch gar nicht so gemeint!“ Schön, dass es nicht so gemeint war, ich fühle mich trotzdem unwohl.

Ich denke dann immer wieder, du hast gar nicht verstanden, worum es gerade geht. Ich wünsche mir doch nur, dass du zuhörst. Genau jetzt, wenn ich mich überwinde und dir sage, wie ich mich fühle. Alles, was ich von dir brauche, ist, dass du meine Grenzen respektierst. Es geht nicht darum, dich zu einem Täter, zu einem Schuldigen zu machen. Ich möchte nur ehrlich sein und hoffe, dass es dich zum Nachdenken anregt. Doch anstatt diese Chance des Wachstums und der Selbstreflexion zu nutzen, fühlst du dich angegriffen und gehst in die Konfrontation. Was erwartest du also von mir? Dass ich still bleibe, nur damit du dich nicht unwohl fühlst? Fällt dir etwas auf?

Der Kampf gegen Sexismus: Doch wer muss ihn kämpfen?

Ich habe das alles so satt! Ich kann den Sexismus nicht mehr stillschweigend ertragen. Zu oft habe ich ihn im privaten Umfeld erleben müssen. Wenn mich selbst eine nahestehende Person sexualisiert, wie soll ich mich dann gegen den Sexismus der Welt wehren?

Und so tat ich es lange Zeit nicht. Ich blieb still, immer und immer wieder. Bis ich an einen Punkt gelangte, an dem es genug war. Zu oft wurden meine Grenzen überschritten. Ich möchte schreien: Es reicht! Nicht mit mir! Ihr könnt mich mal! Ich erlaube euch nicht, dass ihr solch eine Macht über mich habt! Doch die schmerzhafte Wahrheit ist, sie haben Macht über mich. Solange unsere Gesellschaft das zulässt, haben sie Macht über mich.

Ich spreche mit Freund*innen über Alltagssexismus. Eine Freundin erzählt mir, dass sie mittlerweile in extra weiten Klamotten joggen geht, damit sich niemand „getriggert“ fühlen kann. Doch selbst diese „Vorsichtsmaßnahme“ hilft nichts. Erst neulich hat ihr ein Autofahrer hinterhergepfiffen.

Es liegt also nicht daran, was wir anziehen. Und es ist nicht fair, die Ursache bei uns zu suchen. Als wäre es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich eine andere Person nicht falsch verhält.

Anstelle eines Umdenkens auf Seiten der Sexismus-Verursacher*innen, wird die Verantwortung für Eigenschutz auf die von Sexismus und sexualisierter Gewalt betroffenen Personen abgeschoben. Willst du das wirklich anziehen? Willst du wirklich nachts alleine nach Hause laufen?

Liegt es in unserer Verantwortung, Sexismus und sexualisierte Gewalt vorzubeugen? Ich finde nicht. Wie sollen wir Sexismus verhindern?! Wir können laut sein, wir können kämpfen. Aber letztlich braucht es ein Umdenken der Personen, die Teil des Sexismus-Problems sind. Und eine Politik und Gesellschaft, die bereit ist, strukturellen Sexismus immer mehr aus dieser Welt zu verbannen. Denn solange es offensichtliche Ungleichheiten, wie zum Beispiel die Gender Pay Gap, gibt, wird Sexismus als Teil unserer Gesellschaft akzeptiert.

Zum Abschluss möchte ich nur noch sagen: Liebe Hetero-Cis-Männer, ich spreche euch gezielt an, weil Sexismus leider häufig von euch ausgeht, es ist nie zu spät, mit gutem Vorbild voranzugehen, uns zuzuhören, das eigene Verhalten zu reflektieren und zu einer sichereren Welt und mehr Gleichberechtigung beizutragen.

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