Psychologie

Harmoniesucht: Eigentlich haben wir immer nur Angst nicht geliebt zu werden

Harmoniesucht macht das Leben und die Selbstentfaltung schwer: Ob im Alltag, Beruf oder in der Beziehung - wer harmoniesüchtig ist steht sich und der Lösung von Problemen oft im Weg. Wir verraten, was hinter Harmoniesucht steckt und was du dagegen tun kannst.

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Harmoniesucht: Ein Teufelskreis

Lieber nichts sagen, als das Falsche zu sagen? Ist das besser, als "nicht mehr" geliebt zu werden? Im Streben nach ständiger Harmonie bleiben wir selbst auf der Strecke.

Die meisten von uns sind irgendwann so konditioniert worden, dass sie glauben, ihr Wert bemesse sich daran, wie hilfsbereit, verständnisvoll, nachsichtig und wenig streitbar sie sind.

"Je unkomplizierter ich im Handling bin, umso mehr werde ich geliebt!" Dieser Gedanke läuft bei vielen von uns unsichtbar – aber sehr dominant – irgendwo im Hintergrund und bestimmt unser Handeln.

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Harmoniesüchtig: Schwierigkeiten in der Partnerschaft, im Beruf, mit Familie und Freunden

Harmoniesüchtig sind wir komischerweise seltener in der Beziehung zu unseren Eltern, dafür aber oft in den Beziehungen derer wir uns nicht so sicher sind, oder wo wir das Gefühl haben "abliefern" zu müssen.
Das kann die Partnerschaft oder eine Freundschaft, aber auch eine Beziehung im Arbeitsumfeld sein.

Das Gefühl "abliefern zu müssen" - auf den ersten Blick scheint es sehr naheliegend. Aber was ist mit dem zweiten Blick?

Wie ist es zum Beispiel in der Partnerschaft: Werden wir "mehr geliebt", wenn wir im Streben nach ständiger Harmonie unsere Bedürfnisse hinten an stellen oder gar nicht hören, um denen des Anderen häufig mehr Platz einzuräumen?

Ich sage NEIN! Wir werden in einem solchen Fall gemocht, weil wir für den Anderen einen Zweck erfüllen. Er benutzt uns für irgendwas, was für ihn wichtig ist, und wir lassen uns benutzen. Mit Liebe hat das nichts zu tun. Weder mit der Liebe, Zuneigung und Wertschätzung des Anderen für uns, noch mit einer Wertschätzung uns selbst gegenüber.

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Die Psychologie der Harmoniesucht: Sie ist wie eine Krankheit

Wir entwickeln ein Surrogat von uns, reduziert um das, was andere Menschen an uns schwierig finden könnten, um uns ohne anzuecken, ohne Schwierigkeiten zu machen und als kompliziert zu gelten, durch die Gesellschaft, die uns umgibt, zu bewegen.

Wir tun das alles, weil wir irgendwann gelernt haben oder besser die Umstände so (fehl)interpretiert haben, dass wir glauben je unkomplizierter, desto liebenswerter.
Und auf das Gefühl geliebt zu werden können wir schlecht verzichten, denn wir nehmen uns erst dann intensiv wahr und fühlen uns lebendig und gut, wenn da jemand ist, der sich um uns kümmert und sich wohlwollend für uns interessiert.

Durch die Reduzierung auf das Unkomplizierte verlieren wir uns oder zumindest einen Teil von uns – dummerweise genau den Teil, in dem es um uns und unsere Bedürfnisse geht.
Würden wir nicht ausgerechnet diesen Teil abspalten oder in den Hintergrund drängen, wären wir nicht so sehr auf die Zustimmung und das Wohlwollen anderer angewiesen, denn dann wären wir selbst ja diejenigen, die uns wertschätzen und unsere Bedürfnisse ernst nähmen und wir könnten jeden anderen aus der Pflicht entlassen.

Ein ganz schöner Teufelskreis in den wir uns da manövriert haben.

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Ich bin harmoniesüchtig: Wie kann ich mich befreien?

Wenn wir da hinaus wollen, müssen wir uns als erstes der Tatsache bewusst werden, dass "harmoniebedürftig" oder "harmoniesüchtig" zu sein nicht unbedingt ein Vorteil für uns ist. 

Schon aus den angefügten Adjektiven –bedürftig oder –süchtig lässt sich das erahnen.

Und so wie es für uns nicht von Vorteil ist süchtig oder bedürftig zu sein, so ist es auch nicht gut für die Menschen, die uns umgeben.

Bei einem Süchtigen im herkömmlichen Sinne (Alkohol oder Drogen) spricht man von Co-Abhängigkeit, die die Menschen trifft, die nah und liebend an ihm dran sind und die dessen Sucht durch ihr Handeln unbewusst befeuern. Darunter haben sie dann wiederum selber in irgendeiner Form zu leiden.

Der Harmoniesüchtige und der Co-Abhängige müssen mit einer Menge sich gegenseitig bedingender Probleme rechnen.

Man kennt sich nie wirklich, man belügt sich oder vermeidet zumindest häufig die ganze Wahrheit, irgendwann gibt es plötzliche und heftige Konfliktsituationen, die nicht selten im Ende der Beziehung münden, denn der Harmoniesüchtige platz immer dann mit allem raus, was er die letzten Jahre zurück gehalten hat, wenn der bekannte Tropfen das Fass zum überlaufen bringt.

Darüber hinaus hat der Harmoniesüchtige noch damit zu kämpfen, dass er den Kontakt zu sich selbst verliert, da er verlernt seine Bedürfnisse wahrzunehmen und ihnen auch nachzugehen. Er kann nur schwer um seiner selbst Willen geliebt zu werden, denn sein Selbst kennt ja keiner, manchmal sogar er selbst nicht mehr, was einen schleichenden Verlust des Selbstbewusstseins bedeutet. Häufig bietet er sich an, um ausgenutzt zu werden, da die Umwelt spürt, dass man es mit ihm machen kann. Protest oder ein „Nein, dazu habe ich grade keine Lust!“ ist nicht zu erwarten.

Könnte das Austragen und vor allem das Aushalten von Konflikten also tatsächlich eine Chance für uns sein, um uns und unsere Mitmenschen wahrhaftig kennenzulernen und um ehrlich zu lieben und wertzuschätzen?

JA! Konflikte haben immer viel mit dem Äußern unserer Wahrheiten zu tun und die Wahrheit ist sicherlich das größte Abenteuer im Leben! Nur in der Wahrheit haben wir die Chance wir selbst zu sein und uns ehrlich zu zeigen.

Wer damit dann wie umgeht können wir nicht wissen, aber wenn wir den Anspruch haben echt zu sein und auch echt geliebt und geschätzt zu werden, müssen wir ehrlich mit uns und anderen sein. 

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Wir müssen lernen, unsere Konflikte auszutragen

Wir dürfen niemals durch Vermeidung den Kontakt zu unseren Bedürfnissen verlieren, denn nur wenn wir sie kennen und uns um sie kümmern, lieben wir uns selbst. Und nur wenn wir uns selbst lieben, können wir auf ehrliche Weise von anderen geliebt zu werden.
Erst dann können wir "gebraucht" und "benutzt werden" gegen "geliebt werden" eintauschen.

Wir sollten also keine Angst vor den Konflikten haben, die zum Leben einfach dazu gehören. Denn da wo sich Menschen begegnen, begegnen sich unterschiedliche Meinungen und jede Meinung muss ein Recht und eine Chance haben, gehört zu werden.

Ob man daraus dann gute Kompromisse und gemeinsame Lösungen entwickeln kann ist ein weites Feld. Das A und O dafür ist neben dem Respekt und der Wertschätzung für die eigenen Bedürfnisse und der Fähigkeit diese respektvoll zu artikulieren, dass man mit den Bedürfnissen der Anderen ebenso wertschätzend und respektvoll umgeht.

Alles darf sein. Jedes Gefühl und jedes Bedürfnis hat erst einmal ein Recht artikuliert zu werden. Danach kann es dann nochmal schwierig werden, aber hier macht Übung den Meister und der alte Spruch, dass man jeden so behandeln sollte, wie man selbst behandelt werden möchte, hilft hier ein ganzes Stück des Weges.

Also fangen wir an unsere Wahrnehmungen, Bedürfnisse und Meinungen nach außen zu kehren, sie haben in uns drin einfach nicht zu suchen, denn sie sind ja dafür da, um uns mit unseren Mitmenschen interagieren zu lassen.

Und vergessen wir das Dogma, dass wir nur in der einfachen Ausführung von uns geliebt werden. Liebe bedeutet immer im Ganzen erkannt und geliebt zu werden. Wer nur unsere Sonnenseite kennt, der kann uns nicht lieben. Denn so wie wir Licht und Schatten in uns tragen, so geht es unseren Mitmenschen auch. Und wenn Menschen, die beides in Harmonie vereinigen konnten, aufeinander treffen, gibt es die Chance auf eine tiefe, ehrliche und intensive Verbindung in der wir sein dürfen wie wir sind und uns zu Hause fühlen.

Konflikte sind also die Chance auf das größte Abenteuer unseres Lebens. Das Kennenlernen wer wir wirklich sind und diejenigen kennenzulernen mit denen wir auf dem Weg des Lebens gehen!

Das Thema dieses Beitrages beschäftigt mich als Coach natürlich oft selbst, da viele meiner Klienten mit Konflikten zu tun haben, aber ich bin mit diesem Beitrag auch einer Einladung von Christina Wenz (Mediatorin, Konfliktcoach und Juristin) gefolgt. Sie hat angeregt Artikel darüber zu schreiben wie man Konflikte als Chance sehen kann.

Je mehr wir uns mit dem Thema beschäftigen, umso mehr können wir vielleicht Anregungen dazu geben, sich vor Konflikten nicht fürchten zu müssen. Ein Leben ohne geht gar nicht, dass wäre so, als wollten wir künftig auf "miteinander reden" verzichten. Lasst uns also Konflikte zur Normalität erklären und lasst uns beginnen ehrlich mit uns und unseren Mitmenschen zu sein. Ein Konflikt ist kein Teufelszeug, sondern ein ganz natürlicher Vorgang. Und mit Respekt, Wertschätzung und gegenseitiger Achtung wird jeder Konflikt tatsächlich zur Chance auf uns selbst zu treffen.

Dieser Text ist ein Gastbeitrag von Susanne Henkel. Susanne ist systemischer Coach und Unternehmerin und arbeitet bundesweit als Coach.

Nähere Informationen zu Susanne Henkel und zu ihrem Coaching findest du hier und auf ihrer Facebook-Seite.

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