Gefühlskälte als Persönlichkeitsmerkmal: Was ist Alexithymie?
Erkennen, wie es einem selbst und anderen Menschen geht - für gefühlskalte Persönlichkeiten ist das eine große Herausforderung. Der Fachbegriff für die scheinbare Emotionslosigkeit lautet "Alexithymie". Was es damit auf sich hat? Das erklären wir dir hier.
- Warum erscheinen manche Menschen so emotionslos?
- Was sind die Symptome von Alexithymie?
- Gibt es einen Zusammenhang zwischen Alexithymie und Sexualität?
- Wie gehe ich damit um, wenn mein Partner keine Gefühle zeigen kann?
- Was tun, wenn ich selbst keine Gefühle zulassen kann?
- Wie kann eine Therapie bei Alexithymie aussehen?
Warum erscheinen manche Menschen so emotionslos?
Manche Menschen behalten ihre Gedanken und Emotionen gern für sich, andere tragen ihr Herz auf der Zunge. Wenn jemand gefühlsarm wirkt, fühlt derjenige sich vielleicht unwohl dabei, sein Innenleben offen zu zeigen. Ein gefühllos wirkendes Verhalten kann aber auch als Symptom einer Depression oder einer Persönlichkeitsstörung (zum Beispiel Narzissmus) auftreten. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass Menschen, die keine Gefühle zeigen oder zulassen können, krank sind.
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Es gibt auch eine Form von (scheinbarer) Gefühlskälte, bei der Betroffene ihre eigenen Emotionen und die ihrer Mitmenschen nicht verstehen, erkennen oder beschreiben können. Dabei handelt es sich um eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur, die sich Alexithymie oder Gefühlsblindheit nennt. Es handelt sich dabei weder um eine Krankheit noch um eine Störung - es ist ein ausgeprägtes Persönlichkeitsmerkmal.
Als Ursachen für die Entstehung einer Alexithymie kommen traumatische Erlebnisse infrage - die Betroffenen versuchen, Gefühlsregungen, die das Trauma wachrufen könnten, zu verdrängen. Die Wurzeln der Gefühlsblindheit können außerdem in der Kindheit liegen. Wer von seinen (möglicherweise selbst gefühlskalt auftretenden) Eltern nie beigebracht bekommen hat, Gefühle zu erkennen und auszudrücken, kann das oft auch als Erwachsener nicht.
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Was sind die Symptome von Alexithymie?
Alexithyme Menschen wirken auf Außenstehende zwar gefühlskalt und emotionslos, das heißt aber nicht, dass sie keine Gefühle haben. Körperliche Auswirkungen von Emotionen verspüren Alexithymiker, sie können sie nur nicht als Gefühle benennen. So kommt es typischerweise dazu, dass sie beispielsweise sagen können, wenn sie Herzrasen und Schweißausbrüche wahrnehmen - aber nicht, dass sie Angst haben.
Oder sie tragen sich jahrelang mit unerkannten Gefühlen herum, stehen dadurch unter permanenter Anspannung, bis diese sich in psychosomatischen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Magen-Darm-Problemen oder Bluthochdruck äußert. Manchmal kommt es irgendwann zu plötzlichen Gefühlsausbrüchen, in denen sich die aufgestauten Emotionen mit einem großen Knall entladen.
Im Video siehst du ein paar häufige psychosomatische Symptome (Artikel wird unter dem Video fortgesetzt):
Folgende Anzeichen fallen bei Betroffenen häufig ebenfalls auf:
- Wenig Fantasie
- Träume bleiben nach dem Aufwachen fast nie in Erinnerung
- Ausgeprägte Logik und Realismus in der Denk- und Ausdrucksweise, Konkretes wird Abstraktem vorgezogen
- Versuch, Konflikte durch Handlungen, nicht durch Gespräche, zu lösen
- Gefühle auszudrücken fällt schwer, aber auch, Gefühle anderer zu erkennen und zu deuten
- Schwierigkeiten, empathisches Verhalten zu zeigen
- Zurückhaltendes, unauffälliges und sozial angepasstes Verhalten
- Kurz angebundene Antworten auf Fragen nach dem Befinden, Wortkargheit
Alexithymiker wissen oft selbst nicht, was mit ihnen los ist. Das kann sehr belastend sein - nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre PartnerInnen oder ihre Kinder. Außenstehende sind durch die scheinbare Gefühlsarmut und das emotionslos wirkende Verhalten oft irritiert oder sind frustriert, weil die Kommunikation über Gefühls- oder Beziehungsthemen so schwierig ist.
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Gibt es einen Zusammenhang zwischen Alexithymie und Sexualität?
Manche Gefühlsblinde wirken auch in sexueller Hinsicht kühl, sachlich und zweckmäßig. Es kann vorkommen, dass sie von sich aus selten ihre Partner umarmen, küssen oder mit ihnen Händchen halten wollen. Das kann abweisend, distanziert, lustlos und desinteressiert wirken - die Beziehung wird dadurch teils auf eine harte Probe gestellt.
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Wie gehe ich damit um, wenn mein Partner keine Gefühle zeigen kann?
Einfach ist es leider nicht, mit Alexithymie in der Partnerschaft umzugehen - es kommt häufig zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen des Verhaltens auf beiden Seiten. Du kannst deinem gefühlsblinden Partner aber helfen, indem du dir bewusst machst, dass er nichts für seine Schwierigkeiten kann, Emotionen zu deuten.
Einfühlsame Gespräche - die du aber wahrscheinlich wirst anregen müssen - und eine offene, wertschätzende Kommunikation können helfen, die Denkweise und Perspektive des anderen nachzuvollziehen und sich einander anzunähern. Wenn dein Partner spürt, dass er von dir akzeptiert wird, wie er ist, löst das womöglich seine innere Anspannung - auch, wenn er dafür keine Worte hat.
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Was tun, wenn ich selbst keine Gefühle zulassen kann?
Alexithymie ist zwar weder eine Krankheit noch eine psychische Störung - trotzdem stellt sie Betroffene vor große Hürden im sozialen Bereich und vor allem in der Liebe. Wenn du selbst bei dir eine Gefühlskälte oder eine Schwierigkeit, Emotionen wahrzunehmen, bemerkst und darunter leidest, kann eine Psychotherapie sinnvoll sein. Das gilt auch, wenn fehlende Empathie und eingeschränkte Sozialkompetenz immer wieder zu Konflikten mit deinen Freunden oder im Beruf führen.
Solltest du unter psychosomatischen Symptomen wie ständigen Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Herzrasen oder Magen-Darm-Beschwerden leiden, für die es keine körperliche Ursache zu geben scheint, ist eine Psychotherapie ebenfalls ratsam.
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Wie kann eine Therapie bei Alexithymie aussehen?
Die Behandlung einer Alexithymie hat für gewöhnlich das Ziel, dass der Betroffene lernt, die körperlichen Symptome von Gefühlsregungen wahrzunehmen und als Emotionen zu erkennen. Es geht außerdem darum, zwischen Gefühlen wie Freude, Trauer, Wut und Angst zu unterscheiden und zu lernen, sie auszudrücken.
Da es sich bei dieser Form der Gefühlskälte oder Gefühlsblindheit aber um ein Persönlichkeitsmerkmal handelt, wird es nie ganz verschwinden. Aber Betroffene können lernen, damit umzugehen, sodass die unerkannten Emotionen sich nicht mehr so sehr aufstauen, dass psychosomatische Beschwerden drohen oder die Beziehungen zu anderen Menschen so stark belastet werden, bis sie zerbrechen.
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