Hilfe bei Depressionen und Co.

Ich kann nicht mehr … was soll ich tun?

Was tun, wenn plötzlich alles zu viel wird? Woher das Gefühl „ich kann nicht mehr“ kommt, welche Symptome für eine Depression sprechen und was jetzt wichtig ist.

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Die Arbeit häuft sich und du weißt nicht mehr, wo dir der Kopf steht? Der*die Partner*in, die Kinder oder Freund*innen fühlen sich wie eine Belastung an? Du bist nur noch müde, kannst nicht mehr schlafen und nichts macht dir mehr Freude? Alles was du noch denken kannst, ist „ich kann nicht mehr“?

Wenn man erst mal so fühlt, ist es oftmals nicht so leicht, aus diesem Zustand herauszukommen. Prof. Dr. Anne Karow, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Klinikdirektorin und Chefärztin der Libermenta Klinik Schloss Tremsbüttel, verrät, woher das Gefühl von „ich kann nicht mehr“ kommt, ab wann man von einer Depression sprechen kann und welche Hilfe wichtig ist, damit es dir wieder besser gehen kann.

Prof. Dr. Anne Karow, Libermenta
Prof. Dr. Anne Karow sammelte Erfahrungen in der Früherkennung und Frühintervention psychischer Erkrankungen in Australien und habilitierte sich zu der wissenschaftlichen Untersuchung der Lebensqualität bei schweren psychischen Erkrankungen. Foto: Libermenta Kliniken

„Ich kann nicht mehr“: Was steckt hinter dem Gefühl?

Prof. Dr. Anne Karow: „Das Gefühl „ich kann nicht mehr“ kennt jeder Mensch in akuten Überforderungs- oder Krisensituationen. Meistens ist dieses Gefühl glücklicherweise nur kurz anhaltend und etwas Abstand sowie emotionale Unterstützung aus dem eigenen Umfeld helfen uns aus der Krise.

Wenn dieses Gefühl aber lange anhält, gar nicht mehr ganz abklingt und mit dauerhaftem Interessenverlust an den Dingen verbunden ist, die uns eigentlich Freude bereiten, dann kann eine Depression dahinterstecken. Im Gegensatz zu einer akuten Krise oder Belastungssituation sind die Auslöser und Ursachen für eine Depression viel komplexer.

Bei vielen Betroffenen bestehen familiäre Vorbelastungen, die mit einer erhöhten Anfälligkeit für Stress einhergehen, sodass insbesondere länger andauernde und kombinierte Belastungen zu einem Gefühl eines „Ausgebranntseins“ führen können und im ungünstigsten Fall in einer Depression mit unterschiedlichem Schweregrad münden können.“

Habe ich eine Depression? Wie sich das Gefühl im Alltag äußert

Prof. Dr. Anne Karow: „Eine Depression äußert sich meistens durch eine anhaltende Stimmungsverschlechterung und den Verlust von Freude an Dingen, die uns eigentlich Freude bereiten sollten – sei es, dass der Kontakt zu anderen Menschen belastend wird und ich mich daher zurückziehe, oder dass mir der Antrieb fehlt, meinen Alltag zu meistern, sodass mir auch ganz übliche Alltagsaufgaben schwerfallen, wie z. B. Einkaufen gehen oder das morgendliche Aufstehen.

Bei einer schweren Depression hält dieser Zustand über mehrere Wochen an und führt dazu, dass die Betroffenen nicht mehr arbeiten oder für ihre Familie sorgen können oder sogar Gedanken entwickeln, nicht mehr Leben zu wollen – allerspätestens hier ist dringend eine intensive Behandlung geraten. Es gibt auch Depressionen, die schwieriger zu erkennen sind, sogenannte „larvierte“ Depressionen, bei denen die Betroffenen vorwiegend körperliche Beschwerden haben und eher unruhig und ängstlich wirken.“

Mehr über die Symptome einer Depression findest du hier:

„Ich kann nicht mehr“ – Hilfe und Unterstützung suchen

Prof. Dr. Anne Karow: „Wenn man bei sich oder bei seinen Liebsten anhaltende depressive Symptome bemerkt, dann sollte man sich unbedingt zeitnah in eine Behandlung begeben bzw. die nahestehende Person unterstützen, sich eine Behandlung zu suchen. Hier ist im Zweifelsfall ein Hausarzt die allererste Anlaufstelle, zumal die Wartezeiten auf Psychotherapien leider oft zu lang sind. Das Gefühl „ich kann nicht mehr“ erfordert einen Perspektivwechsel und ein Time Out.

Wenn mich dieses Gefühl überflutet, macht mich dies auch aus neurobiologischen Gründen handlungsunfähig. Wichtige Notfallmaßnahmen sind dann die Selbstberuhigung und eine nicht wertende emotionale Unterstützung durch Partner, Familie und Freunde, um einen inneren Abstand zu der Situation zu gewinnen. Erst wenn ich mich wieder ruhiger fühle, bin ich in der Lage, einen aktiven Umgang mit meiner Belastungssituation zu entwickeln, kann die Entstehung von Ohnmachtsgefühlen verhindern und meine Belastungen bewältigen.

Dies fördere ich durch eine Analyse der Situation – vielleicht auch mit Hilfe von Alltagstipps wie Pro und Contra Listen und bestenfalls mit Unterstützung von nahestehenden Menschen. Dann kann ich meinen eigenen individuellen Handlungsplan entwickeln – auch wenn ich diesen vielleicht nicht zu 100 Prozent umsetzen kann. Denn Veränderungen sind immer schwierig und manchmal werden sie durch äußere Umstände behindert. Hier hilft manchmal als letztes Mittel eine Haltung der radikalen Akzeptanz für Situationen, die wir nicht ändern können, solange diese zumutbar sind – davon haben wir leider gerade in den letzten Jahren durch die Pandemie einige erleben müssen.

Selbstfürsorge stärken: Warum es wichtig ist, sich gut um sich selbst zu kümmern

Prof. Dr. Anne Karow: „Unser Wohlbefinden hängt wesentlich mit unserer inneren Balance und dem Umgang mit Schwankungen und Anforderungen ab – also dem Gleichgewicht zwischen zu viel oder zu wenig. Zu viel Sport kann mich genau so krank machen wie zu wenig Bewegung. Zu viel zwischenmenschliche Kontakte können zu einem Verlust innerer Ruhe beitragen, zu wenig Kontakt zu einer Vereinsamung führen.

Unsere Selbstfürsorge ist ein sehr wichtiges Instrument für eine positive emotionale Regulation und Bewältigung von Disbalancen. Dabei gilt es die individuellen Warnsignale, eine Über- oder Unterforderung frühzeitig zu erkennen und eigenständig Gegenmaßnahmen zu ergreifen, indem ich für mich sorge."

"In unserer Kindheit haben wir diese Erfahrung der Fürsorge idealerweise durch unsere Eltern vermittelt bekommen, mit dem Erwachsenwerden verinnerlichen wir diese Aufgabe und können sie für uns selbst und unsere Liebsten anwenden. Problematisch ist es für Menschen, die diese positiven Erfahrungen nicht oder eingeschränkt erleben durften, daher eine geringere Resilienz aufweisen und eigene Frühwarnsignale übersehen könnten.

Hier können feste Regeln hilfreich sein. Dazu gehört immer zuerst die Achtung unserer Grundbedürfnisse: Essen und Trinken, Schlaf, Bewegung, Beziehung, Sexualität und darüber hinaus Spiritualität, Lernen, Entwicklung und vieles mehr – und eines ist auch klar: wir alle vergessen gelegentlich im Alltag ausreichend für uns zu sorgen und sollten uns dies nicht übel nehmen, sondern uns liebevoll daran erinnern und immer wieder zu der individuellen Balance für unser Wohlbefinden zurückfinden.“

Hilfe und Unterstützung:

Du hast Depressionen und weißt nicht weiter? Dann kontaktiere das Info-Telefon Depression unter der 0800 / 33 44 533. Hier bekommst du schnelle Hilfe bei der Vermittlung einer passenden Anlaufstelle in deiner Nähe.

Du hast Suizidgedanken oder kennst jemanden mit Suizidgedanken? Kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge: 0800 1110111. Die anonyme Hotline steht dir rund um die Uhr zur Verfügung.

Artikelbild und Social Media: Pheelings Media/iStock