#WunderbarECHTES Interview

Sarah Kuttner: „Ich bin vermutlich der am wenigsten perfekte Mensch“

Sarah Kuttner spricht aus, schreibt nieder und postet, was andere lieber verschweigen. Mit Wunderweib spricht sie über ihren neuen Roman "Kurt", den Tod und Bockwurstbeine.

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Vor zehn Jahren feierte die auf VIVA und MTV bekannte Moderatorin ihr Romandebüt. In "Mängelexemplar" erzählte Sarah Kuttner die Geschichte einer depressiven Frau und schaffte intensive Einblicke, wie sie zu dieser Zeit kaum jemand bot. Zehn Jahre und zwei weitere Bücher später erscheint nun Kuttners vierter Roman. Und wieder behandelt Kuttner ein Thema, bei dem sich andere lieber wegdrehen. Ein Kind stirbt - innerhalb einer Patchworkfamilie, die verzweifelt versucht, ihr Leben nach dem Schicksalsschlag weiterzuführen. Harte Kost, mag man meinen. Oder einfach ein ganz normaler Konflikt, der vorkommen kann - wie Sarah Kuttner meint. Mit Wunderweib hat sie über ihre Art gesprochen, einfach drauf los zu schreiben, zu sprechen und zu reden - und warum sie genau diese Art #wunderbarECHT macht.

#WunderbarECHT - was ist das?

Sarah Kuttner im #WunderbarECHT-Interview

Sarah Kuttner: Ich habe tausend Macken!
Sarah Kuttner: "Ich habe tausend Macken!" Foto: © Katharina Hintze

Eine Patchworkfamilie. Eine Frau, die mit einem Kind lebt, das nicht ihres ist. Ex-Partner. Neue Partner. Der Tod. Der Tod eines Kindes auch noch. Warum schreibst du über Themen, über die andere lieber schweigen?

„Ich empfinde das immer gar nicht so sehr als das Brechen eines Tabu-Themas. Das sind dann einfach nur Konflikte, die mich interessieren. Welche verschiedenen Möglichkeiten es gibt, damit umzugehen, sich damit auseinanderzusetzen, daran zu scheitern. Da steckt kein erhobener Zeigefinger hinter.“

Wie kommst du denn dann auf deine Themen – zum Beispiel zu deinem neuen Buch "Kurt"?

„Es ist nicht so, als würde ich auf einem Feld rumstehen und dann trifft es mich wie der Blitz. Es sind meist Themen, mit denen ich ein paar Jahre zuvor mehr zu tun hatte oder die mich einfach so sehr interessieren. Im Grunde ist das nur gesunder Menschenverstand. Hier ist ein Konflikt. Wie könnte man damit umgehen?“

„Trauernde verstecken sich schnell“

Man hat das Gefühl, als würde die Hauptfigur, Lena, ihre Gefühle permanent unterdrücken, vielleicht aus Rücksicht vor ihrem trauernden Freund. Gibt es ein Rezept, richtig mit Trauer umzugehen?

„Ich glaube, dass Lena nicht notgedrungen zum Schutz von anderen das unterdrückt, sondern dass sie nicht so ein Gefühl dafür hat, dass sie auch etwas wert ist und Rechte hat.

Ich glaube, es gibt da jetzt kein allgemein gültiges Rezept. Wenn man unsicher ist, finde ich ehrlich und natürlich zu sein, den sinnvollsten Umgang, sowohl mit der eigenen Trauer, als auch mit fremder Trauer. Ich glaube, Trauernde verstecken sich schnell. Erstens, weil sie unglaublich traurig und verletzt sind, und zweitens, weil sie denken, sie würden der Welt zur Last fallen. Und wenn man dann da ist, muss man ihnen genau dieses Gefühl nehmen.

Es schadet ja auch nicht, zu sagen, „Es tut mir wahnsinnig leid, dass es dir so geht, ich wünschte, ich könnte irgendetwas machen, habe aber Angst, etwas falsch zu machen.“ Wenn man diese Sachen zu jemandem sagt, ist man einfach nur ehrlich und nimmt trotzdem Anteil. Besser als sich wegzudrehen.“

Du stellst im Buch sehr deutlich dar, dass die Welt nicht stehen bleibt, wenn jemand stirbt – sondern immer weitergeht. Ist das deine Botschaft?

„Ich will den Leuten ehrlich gesagt nie etwas an die Hand geben. Ich schreibe wirklich nur für mich. Wenn das was ist, was bei den Leuten hängen bleibt, dann ist das gut und auch richtig. Denn Sachen bleiben nicht stehen und das wäre glaube ich wirklich fatal. Dass trotzdem Wurst und Klopapier gekauft und das Bad saubergemacht werden muss – auch wenn jemand gestorben ist. Aber ich habe nie einen Bildungsauftrag dabei.“

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„Ich bin nicht schöner. Dann muss ich auch nicht so tun.“

Nun sagst du, dass du nur für dich schreibst – wie ist das mit deinem Instagram-Profil? Wir haben gerade eine Kampagne namens #WunderbarECHT laufen – dein Profil sticht in sozialen Medien heraus. Hast du eine Instagram-Strategie oder legst du da auch drauf los?

„Das ist wie mit dem Bücherschreiben. Das ist das, was ich kann, was ich machen will und so bin ich. Ich bin nicht schöner, auch nicht dünner oder straffer. Dann muss ich auch nicht so tun.  Diese Instagram-Geschichte verstört mich schon ein bisschen. Weil das da so wichtig mit den Fotos ist, ich aber eher eine Frau des Wortes bin. Ich werde dann auf eine Art bockig.

Das allererste Foto, das ich auf Instagram hochgeladen habe, waren die entfernten Hoden meines Hundes. Um schon einmal die Marschrichtung klar zu machen. Ich werde hier nicht super schön mich von hinten vorne rechts links präsentieren.

Ich glaube tatsächlich, dass man Menschen mehr anspricht, wenn man sagt: Oh, gerade erst aufgewacht, die Augen kleben noch zusammen. Als wenn man sich heimlich schminkt und behauptet, man wäre gerade erst aufgestanden. Ich bin quasi zu faul um größeren Aufwand zu machen und ich finde es auch nicht authentisch. Ich mag das, wenn Sachen normal und unaufgeregt sind. So will ich sie auch darstellen. Gerade in Zeiten von Instagram ist es ja wichtig, den Menschen das Gefühl zu geben: Keine Sorge, das ist NICHT die Realität. Die Realität sieht so aus.“

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„Wir müssten eigentlich zusammenhalten. Lasst mal meine Bockwurstbeine meine Bockwurstbeine sein.“

Wie schaffst du es, dich selbst diesem Druck der Perfektion auf Instagram zu entziehen?

„Ich folge nicht einem Influencer. Ich sehe all diese Sachen nicht. Das würde mich auch nerven und schlecht gelaunt machen. Nicht, weil ich nicht so dünn und knackig bin, sondern weil ich es uninteressant finde.“

Vor kurzem hast du ein Bild deiner Beine beim Frauenarzt hochgeladen – und nicht nur positives Feedback bekommen. Wie gehst du persönlich mit negativen Kommentaren um?

„Ich lese sie mir schon alle durch. Das ist immer sehr unterschiedlich. Je nachdem, wie unverschämt ich es finde. Wenn mehrere Menschen etwas von Stampfern und Bockwurstbeinen schreiben und das auch noch Frauen sind, dann ballere ich da eben noch etwas hinterher und sage, so, wir müssten eigentlich zusammenhalten. Lasst mal meine Bockwurstbeine meine Bockwurstbeine sein. Dann werde ich schon ein bisschen zickig. Es wäre sicherlich professioneller und schlauer, das zu ignorieren, aber so bin ich einfach nicht.“

Verrätst du uns eine persönliche Macke von dir?

„Ich habe tausend Macken! Ich kann nicht gut schlafen, wenn die Öffnung der Bettwäsche oben ist. Mich macht es wahnsinnig, auf einer Stulle eine viereckige Scheibe Käse zu haben. Ich habe lauter winzig kleine Macken. Ich neige wahnsinnig gern dazu, abends zu essen, je später, desto besser! Das macht aber nun wirklich niemanden glücklich. Ich spüle manchmal nachts nicht, um Wasser zu sparen, ist ja nur Pipi, ist ja egal. Lauter Quatsch. Ich bin vermutlich der am wenigsten perfekte Mensch der Welt.“

"Kurt" erscheint am 13. März 2019, S. Fischer Verlage, 20 Euro

Kurt heißt Sarah Kuttners neuer Roman, der sich um Tod, Familie, den kleinen und den großen Kurt dreht.
Foto: © Katharina Hintze