Älteste-Tochter-Syndrom: Wie es unbewusst dein Verhalten als Erwachsene beeinflusst
Die älteste Tochter zu sein beeinflusst dein Verhalten bis ins Erwachsenenalter. So erkennst du die Muster.
Du bist perfektionistisch, sehr selbstkritisch und erlaubst dir keine "Fehler". Bei Konflikten spielst du die Vermittlerin und fühlst dich für alle Sorgen und Bedürfnisse deiner Familie verantwortlich. Du bist diejenige, die an Geburtstage von Eltern, Nichten und Neffen denkt. Du nimmst Organisation und Planung lieber selbst in die Hand. Es fällt dir schwer Hilfe von anderen anzunehmen.
Das Pflichtgefühl und die Verantwortung ist dir manchmal lästig, trotzdem willst du es allen recht machen. Wenn dir das alles bekannt vorkommt, bist du vermutlich vom sogenannten "Älteste Tochter Syndrom" betroffen. Lies in diesem Artikel, was es damit auf sich hat, welche Anzeichen dafür sprechen könnten und wie die Rolle der großen Schwester dein Erwachsenen Leben beeinflusst.
"Älteste Tochter Syndrom": Was ist das?
In den sozialen Medien ist dieses Phänomen auch unter Begriffen wie "Biggest Sister Syndrome" oder "Eldest Sister Syndrome" verbreitet worden. Zunächst halb ernst, halb augenzwinkernd, haben sich immer mehr junge und erwachsene Frauen darüber ausgetauscht, wie es sich anfühlt, die große Schwester in der Familie zu sein. Schnell wurde deutlich, dass die Frauen in ihrer Kindheit und Jugend mehr wie ein zweites oder drittes Elternteil behandelt wurden und werden.
Zweite Mama, Babysitter, Familientherapeutin, aufpassen, dass elterliche Aufgaben von den Geschwistern auch umgesetzt werden, die Verantwortung sich später um die Altersfürsorge der Eltern zu kümmern: Das sind nur einige Punkte, die die Frauen im gemeinsamen Austausch in den sozialen Medien genannt hatten.
Zwar impliziert der Begriff "Syndrom" ein medizinisches Leiden, doch das "Älteste Tochter Syndrom" ist nichts, was diagnostizierbar ist. Laut Paris Capleton, Psychotherapeutin am Cambridgeshire and Peterborough NHS Foundation Trust in Großbritannien, dem Magazin Business Insider gegenüber sind damit eher Denk- und Verhaltensmuster gemeint, die daraus resultieren, dass du als Kind "parentifiziert" wurdest. Also schon früh als Erwachsene behandelt wurdest und auch Erwachsenen-Aufgaben übernommen hast.
Gerade Mädchen und große Schwestern werden häufig und sehr schnell innerhalb der Familie zum Helfen im Haushalt, Aufpassen auf jüngere Geschwister und Co. eingespannt. Die frühe Verantwortung in der Kindheit und das Pflichtgefühl die Erwartungen zu erfüllen, das daraus entsteht, führt zu bestimmten Verhaltensweisen, die dich bis ins Erwachsenenalter begleiten.
"Die Große" hilft nicht nur beim Saubermachen, Kochen und Babysitten, sie leistet auch emotionale Arbeit innerhalb der Familie. Sie ist Vertrauensperson, schlichtet Streitigkeiten zwischen ihren Geschwistern, hat die Rolle der Vermittlerin zwischen den Elternteilen oder eben beides - je nach Situation. Das bedeutet sehr viel (seelischer) Balast und Stress für ein Kind oder eine angehende Erwachsene, die oft in diese verantwortungsvolle Rolle gedrängt wurde.
Gründe für die Verhaltensweise der ältesten Tochter
Die Gründe für das "älteste Tochter Syndrom" und das damit verbundene Gefühl der "Über-Verantwortung" sind sehr divers. Sicherlich hat es auch kulturelle und gesellschaftliche Hintergründe, dass gerade Mädchen und junge Frauen früh ins Management des Familien-Alltags mit einbezogen werden. Doch auch andere Faktoren könnten eine Rolle spielen. So berichtet das Magazin Huffpost von einer Studie, laut der, erstgeborene Töchter von dem hohen Stresspegel der werdenden Mutter, während der Schwangerschaft, beeinflusst werden. Was sie schneller erwachsen werden lässt.
Andererseits spielt es in einigen Familienkonstellationen keine Rolle, ob die älteste Tochter auch wirklich das erstgeborene Kind ist. Als ältestes, weibliches Familienmitglied (abgesehen von der Mutter) wird ihr gleichermaßen viel Verantwortung aufgetragen. Ob sie nun das älteste Kind ist oder nicht. Demnach deckt die oben genannte Studie nicht ganz das Gesamtbild des "älteste Tochter Syndroms" ab.
7 Anzeichen, dass du vom "Älteste Tochter Syndrom" betroffen bist
Die folgenden Anzeichen können dir helfen herauszufinden, ob auch du von dem "Eldest Daughter Syndrome" betroffen bist.
1. Selbstkritik & Perfektionismus
Du bist ehrgeizig und setzt dich selbst unter Druck, um in allen Bereichen deines Lebens erfolgreich zu sein. Dabei fühlst du dich schuldig, wenn etwas nicht nach Plan lief und machst dir Sorgen, wenn du etwas nicht "richtig" erledigt hast oder die Bedürfnisse und Erwartungen nicht zu aller Zufriedenheit erfüllen konntest.
2. Um Hilfe zu bitten, fällt dir schwer
Da du schon früh sehr unabhängig Aufgaben erledigen musstest, gibst du die Kontrolle auch als Erwachsene nicht gerne ab. Frei nach dem Motto "Wenn man nicht alles selbst macht,..."
3. Du stellst deine eigenen Bedürfnisse hinten an
Allen und Allem gerecht zu werden, erfordert es nun mal die eigenen Wünsche und Bedürfnisse nach hinten zu priorisieren. Aus diesem Grund fällt es dir oft schwer, deine eigenen Wünsche zu definieren, zu äußern und auch durchzusetzen.
4. Alle können sich immer auf dich verlassen
Ob nun in der (ursprünglichen) Familie, der Beziehung oder im Freundeskreis. Alle können auf dich zählen. Du hast einen ganz natürlichen Impuls andere zu unterstützen und denkst oft "Ich darf keine Belastung sein".
5. Du willst immer die Kontrolle
Da du als Kind gewohnt warst alles zu planen, zu organisieren und zu kontrollieren, bist du oft verunsichert, wenn du Situationen nicht selbst im Griff hast und deine Routine unterbrochen wird. Auch in Liebesbeziehungen ergreifst eher du die Initiative im Alltag und kannst auch mal dominierend und kontrollierend deinem Partner oder deiner Partnerin gegenüber sein.
6. Du willst allen gefallen
Du passt deine Vorlieben und Abneigungen anderen an oder äußerst sie nicht? Laut der Psychotherapeutin Paris Capelton kann dieses Verhalten daher rühren, dass "wenn ein Großteil der Kindheit von Unterstützung und Fürsorge geprägt war, tendiert die Identität dazu, sich auf das zu konzentrieren, was man anderen bieten kann“ oder "es kann aber auch das tief sitzende Gefühl sein, dass das, was man tut, nie gut genug ist, oder dass man nie das Gefühl hat, dass seine Bemühungen von anderen gewürdigt werden“.
7. Es fällt dir schwer, loszulassen und Spaß zu haben
Schon früh hohe Verantwortung zu haben ließ dir als Kind nicht viel Raum für ausgelassenen Spaß. Deshalb kann es sein, dass du auch als Erwachsene eher pflichtbewusst bist und es dir nicht leicht fällt zu entspannen.
Vorteile eine "älteste Tochter" zu sein
Natürlich ist nicht alles persé schlecht geschweige denn schlimm am älteste Tochter Dasein und den damit verbundenen möglichen Charaktereigenschaften.
Denn, dass du dich um andere Menschen sorgst, empathisch bist und dich um andere kümmerst sind ja grundsätzlich positive Eigenschaften. Auch dein Ehrgeiz und deine Verlässlichkeit kann dir in vielen Lebensbereichen (beruflichen, familiären) weiterhelfen. So behältst du den Überblick über komplizierte und knifflige Situationen und bist gut darin, die Wogen zu glätten. Auch die Eigenschaft viel in die Beziehung zu investieren sowie öfter mal die Initiative in Liebesdingen zu ergreifen, kann durchaus Vorteile haben.
Problematisch kann es werden, wenn die seelische Belastung so groß ist, dass sie zu Depressionen, Burnout und anderen psychischen Leiden führt. Dann ist eine professionelle Beratung die einzig richtige Anlaufstelle.
Wenn dich aber an deiner Lebenssituation etwas stört, gibt es dennoch einige Möglichkeiten, um diese zu verändern. Schließlich haben wir alle unser Verhalten immer selbst in der Hand. Heißt: du musst dich nicht immer im ungewollten "Verantwortungs-Kreis" drehen.
Was die "älteste Tochter" tun kann, um glücklicher zu sein
Was dir helfen kann, um glücklicher zu werden und an dem Gefühl der Last der Verantwortung nicht auszubrennen ist es für dich klare Grenzen zu setzen. Denn nur, wenn du lernst auch mal "Nein" zu sagen, kannst du dich vor emotionaler Ausbeutung schützen.
Laut Natalie Moore, Ehe- und Familientherapeutin in Kalifornien dem Magazin Huffpost gegenüber, ist es wichtig, dir bewusst zu werden, dass du dich in bestimmten wiederkehrenden Verhaltensmustern bewegst. Im nächsten Schritt, empfiehlt die US-Amerikanerin aufzuschreiben, was du an deiner "Funktion" als "älteste Tochter" magst und was nicht.
Auch eine Journaling-Routine, kann helfen, deine Gedanken zu sortieren und dir den Frust von der Seele zu schreiben. Einmal aufgeschrieben entdeckst du ja vielleicht auch einige Aspekte deiner Rolle als "große Schwester", die dir gefallen und identifizierst wiederum diejenigen, die dich unglücklich machen.
Wichtig ist auch, deine Gefühle und Bedürfnisse mit deinen Familienmitgliedern deutlich zu äußern und offen deine Veränderungswünsche auszusprechen. Moore zufolge könnte das zum Beispiel so aussehen: Deine Geschwister können dich ruhig um Rat fragen, sie sollten dich aber vorher anrufen, statt einfach bei dir vorbeizuschneien. Oder aber das Organisieren des Geburtstagsessen für deine Mutter. Wenn dir das gefällt, kannst du das natürlich weiterhin tun, schlage aber deinen Geschwistern vor, sich die Rechnung dafür zu teilen.
Was noch helfen kann um zu lernen mit dem Stress und dem Druck umzugehen und dich wieder ins Gleichgewicht zu bringen, ist die Arbeit an deinem inneren Kind. Wie du es heilst, um als Erwachsene glücklicher zu werden, liest du hier.
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