Der Matilda-Effekt: Wie Frauen aus der Geschichte gelöscht wurden
Bis heute sind bahnbrechende Errungenschaften von Frauen in Wissenschaft, Kunst und Kultur unsichtbar. Den Erfolg dafür ernteten Männer. Das steckt hinter dem Matilda-Effekt.
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- Frauen, die Geschichte schrieben, aber nicht erwähnt wurden
- Beispiele für den Matilda-Effekt: Die wahren Heldinnen der Geschichte
- Der Matilda Effekt: Die Frauen hinter den erfolgreichen Männern in der Geschichte
- System der Unterdrückung: Weniger Chancen für Frauen in der Wissenschaft
- Sexismus & der Matilda-Effekt heute
Wie mächtig wäre das Patriarchat ohne seine Lügen? Was wäre, wenn nicht Männer für die erfolgreichsten Erfindungen in der Geschichte verantwortlich wären, sondern Frauen?
Das könnte einiges ändern. Vielleicht. Oder auch nicht. Denn dafür müssten wir alle hinschauen. Und uns endlich von veralteten Rollenbildern verabschieden.
Und das sollten wir. Denn diese Frage ist nicht hypothetisch. Zahlreiche Frauen sind für Errungenschaften in Wissenschaft, Kunst und Kultur verantwortlich oder haben an diesen mitgewirkt. Ihre Namen sind den meisten Menschen jedoch nicht bekannt.
Frauen, die Geschichte schrieben, aber nicht erwähnt wurden
1962 wurden die Forscher Francis Crick, James Watson und Maurice Wilkins mit dem Nobelpreis für Medizin für ihre Entschlüsselung der DNA-Struktur ausgezeichnet. Ein bedeutendes Ereignis, das den Weg für die heutige Genforschung bereitet hat.
Doch hier fehlt ein entscheidender Name: Rosalind Franklin. Die Wissenschaftlerin trug maßgeblich zu den Erkenntnissen über die DNA bei. Den Nobelpreis bekamen jedoch allein ihre männlichen Kollegen. Sie wurde mit keinem Wort erwähnt.
Wie kann so etwas sein? Wieso bekommt die Frau, ohne die dieser Meilenstein nicht erreicht worden wäre, keine Anerkennung für ihre bahnbrechende Leistung?
Rosalind Franklin ist nur eines von vielen Beispielen von Frauen, die unsichtbar blieben, während die Männer den ganzen Ruhm kassierten. Mit diesem System der Unterdrückung beschäftigt sich der sogenannte Matilda-Effekt.
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Beispiele für den Matilda-Effekt: Die wahren Heldinnen der Geschichte
Beispiele für den Matilda-Effekt gibt es unzählige. In unserer Bildergalerie findest du einige Beispiele aus Wissenschaft, Kultur und Kunst. Klicke dich durch die Galerie und erfahre mehr über die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte.
Der Matilda Effekt: Die Frauen hinter den erfolgreichen Männern in der Geschichte
Der Matilda-Effekt ist nach der amerikanischen Frauenrechtsaktivistin Matilda Joslyn Gage benannt, die 1870 in ihrem Pamphlet „Woman as an Inventor“ („Frauen als Erfinderinnen“) die verfälschte Sicht auf Frauen in der Wissenschaft kritisierte.
Sie belegte darin nicht nur, dass der weitverbreitete Glaube, Frauen besäßen kein Interesse und keine Begabung in wissenschaftlichen Tätigkeitsfeldern, schlichtweg falsch ist, sondern beleuchtete auch, welche fatalen Auswirkungen das hat. Denn ihre Beispiele für Frauen in der Wissenschaft zeigen, dass vor allem eine Gruppe in der Gesellschaft davon profitiert: Männer. Und das bis heute.
Etwa hundert Jahre nach ihr beschäftigte sich die Historikerin Margaret Rossiter mit Gages Arbeit und sammelte weitere Erkenntnisse über Wissenschaftlerinnen, die keine Anerkennung für ihre Arbeiten erhielten und veröffentlichte dies in ihrem Essay „The Matilda Effect in Science“. Um dem Phänomen einen Namen zu geben, benannte sie es nach der Frau, die sich als erste damit auseinandersetzte.
Doch auch wenn der Matilda-Effekt demnach schon seit langer Zeit bekannt ist, fehlt es nach wie vor an öffentlicher Aufmerksamkeit. Und das dient einzig und allein dem Patriarchat.
Noch immer liegt der Anteil an Frauen in MINT-Studiengängen (also Studiengänge in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) deutlich unter dem der Männer. 2023 lag dieser laut dem Statistischen Bundesamt bei 35,1 %. Und auch Nobelpreisträger*innen sind bis heute überwiegend weiße Cis-Männer.
Umso wichtiger ist es, dass über den Matilda-Effekt mehr gesprochen wird. Das macht zum Beispiel die Autorin Leonie Schöler in ihrem aktuellen Bestseller „Beklaute Frauen“. Dort gibt sie einen ausführlichen Einblick in die Geschichten der Frauen, die für ihre Leistungen beklaut wurden und beleuchtet die patriarchalen Strukturen, die sich von der Vergangenheit einen Weg bis in die Gegenwart gebahnt haben.
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System der Unterdrückung: Weniger Chancen für Frauen in der Wissenschaft
Hinter dem Matilda-Effekt steckt noch mehr, als die Verheimlichung der Leistungen von Frauen. Denn es stellt sich die Frage, wie konnte es überhaupt soweit kommen? Der Matilda-Effekt ist eine Folge eines Systems der Unterdrückung.
Denn Frauen hatten bis Anfang des 21. Jahrhunderts meist gar keine echten Chancen, Karriere zu machen. Ihnen blieb also keine andere Wahl, als für ihren oder einen Mann zu arbeiten.
Der Zugang zu Bildung wurde Frauen erschwert. Und selbst wenn eine Frau es schaffte, eine Hochschule zu besuchen, so gab es für sie im Anschluss kaum (bezahlte) berufliche Chancen. „Die Abhängigkeit der Frauen von Männern, ob und wie weit sie Karriere machen können, wirkte entsprechend auf der gesellschaftlichen, politischen wie auch der privaten Ebene." (Schöler: Beklaute Frauen, S.60-61)
Doch die Ehe mit einem Mann bremste die meisten Frauen aus. Die Rolle als Wissenschaftlerin wurde ihr häufig nicht zugestanden. Stattdessen lag ihre Aufgabe nur darin „ihrem Mann, der selbstverständlich weiter Karriere machte, den Rücken frei zu halten“. „Zahlreiche Frauen arbeiteten deshalb privat hinter verschlossenen Türen als unbezahlte Co-Autorin, Lektorin oder Privatsekretärin mit ihrem Mann zusammen – oftmals ohne je irgendwo genannt zu werden.“ (Schöler: Beklaute Frauen, S. 61-62)
Sexismus & der Matilda-Effekt heute
Es ist kein Geheimnis, dass Sexismus auch heute noch ein tiefsitzendes Problem in unserer Gesellschaft ist. Und so ist es wenig überraschend, dass der Matilda-Effekt als Folge dessen noch immer seine Wirkung zeigt.
Nicht nur, dass Frauen in MINT-Berufen weniger vertreten sind und Männer die meisten Nobelpreise absahnen, Frauen wird nach vor viel weniger Bedeutung zugemessen. Sichtbar macht das die sogenannte Gender Citation Gap. Diese befasst sich damit, dass in wissenschaftlichen Arbeiten überwiegend Männer zitiert werden. Die Frauen in der Forschung werden kaum berücksichtigt.
Die Auswirkungen des Matilda-Effekts sind also bis heute enorm. Und das nicht nur in der Wissenschaft und Forschung.
In „Beklaute Frauen“ schreibt Leonie Schöler : „Viele Frauen aber berichteten mir von Beispielen aus ihrem eigenen Leben, in denen sie sich beklaut fühlten. Sie schilderten mir, wie die Forschungsergebnisse der Doktorarbeit auf einmal als Erfolg des Doktorvaters verbucht wurden. Wie ein Kollege schamlos ihre Ideen als seine eigenen ausgegeben hat.“ (Schöler: Beklaute Frauen, S. 318)
So lange Männer sich mehr Raum nehmen und das als selbstverständlich sehen, gibt es ein Ungleichgewicht. Ein unnatürliches Ungleichgewicht, denn die Geschichte zeigt, dass das Geschlecht keine Rolle hinsichtlich der beruflichen Begabung und Eignung spielt.
Also lasst uns die Lügen des Patriarchats weiter entlarven. Wer weiß, was ihr bereits alles hätten erreichen können, wenn wir gleichberechtigt und gemeinschaftlich arbeiten würden?
Quellen
Gage, Matilda Joslyn: Woman as an Inventor, The North American Review, 1883.
Schöler, Leonie: Beklaute Frauen: Denkerinnen, Forscherinnen, Pionierinnen: Die unsichtbaren Heldinnen der Geschichte, Penguin Verlag, 2024.
https://bibliothek.wzb.eu/artikel/2018/f-21482.pdf (zuletzt aufgerufen am 04.03.2025)
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/01/PD24_N003_213.html (zuletzt aufgerufen am 04.03.2025)
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