Die Kraft der weiblichen Wut: Warum sie gehört werden sollte
Kein Tabu, sondern eine Geheimwaffe: Warum wir die weibliche Wut endlich lieben lernen sollten.
Eine wütende Frau? Hysterisch. Ein wütender Mann? Stark. Alte Rollenbilder dominieren häufig noch, wie wir angeblich zu sein haben. Das muss sich endlich ändern.
Denn die weibliche Wut ist nicht nur wichtig im Kampf gegen das Patriarchat, wer sie permanent unterdrückt, schadet sich damit selbst.
Die weibliche Wut: Schlechtes Image und unterdrückte Emotionen
Wut ist eine Grundemotion, die wir alle in uns tragen. Und so wie jede Emotion, erfüllt sie eine wichtige Aufgabe. Wird die Wut unterdrückt, staut sie sich im Körper an. Sprechen wir die Dinge, die uns wütend machen nicht an, so können sie uns (unterbewusst) lange begleiten. Denn unterdrückte Emotionen können sich langfristig auf die eigene Psyche und körperliche Gesundheit auswirken.
Doch gerade die Wut erfreut sich keines guten Images. Und vor allem die weibliche Wut ist gesellschaftlich negativ behaftet. Bereits von klein auf wird vielen Frauen eingetrichtert, sie sollen brav und lieb sein. Wut stehe ihnen einfach nicht gut. Und so kommt es, dass viele Frauen einen gestörten Zugang zu ihrer Wut haben.
Umso wichtiger ist es, dass wir endlich mit diesen Vorurteilen aufräumen. Für die persönliche, aber auch für die gesellschaftliche Entwicklung. Denn wird die weibliche Wut verleumdet und unterdrückt, dann profitieren vor allem das Patriarchat und diskriminierende Strukturen davon.
Im vergangenen Jahr habe ich mich intensiv mit der weiblichen Wut auseinandergesetzt. Zuerst mit meiner eigenen Wut, die ich lange unterdrückt habe und anschließend mit der weiblichen Wut in einer Gesellschaft, die von patriarchalen Strukturen geprägt ist, Sexismus gutheißt und Minderheiten unterdrückt.
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Meine Reise zur (Wieder-)entdeckung meiner Wut
Wut war immer die Emotion, mit der ich die meisten Konflikte in meinem Leben hatte. Nicht weil ich besonders wütend war. Nein im Gegenteil, weil ich meine Wut nicht zulassen konnte. Oder wollte.
Lange Zeit habe ich geglaubt, das wäre der bessere Umgang mit dieser Emotion. Mir erschloss sich der Sinn von Wut einfach nicht. Ich verabscheute die Wut geradezu. Denn sie konnte aus liebevollen Menschen abscheuliche Wesen machen.
Ich sagte mir selbst: Wenn ich jetzt wütend werde, dann führt mich das zu keiner Lösung. Ich kann mich über eine Sache aufregen. Aber ändert sich dadurch etwas daran? Nein. Also entschied ich, dass es viel sinnvoller ist, einfach nicht wütend zu werden.
Und auch wenn ich immer noch glaube, dass es nicht sehr sinnvoll ist, wegen jeder Kleinigkeit einen Wutanfall zu bekommen, weiß ich jetzt, Wut hat ihre Berechtigung und sollte nicht unterdrückt werden.
Einen Sinneswandel brachte mir meine Schauspielausbildung, während der ich mich viel mit meiner Wut beschäftigt habe. Ich konnte nicht länger vor ihr davonlaufen.
„Du bist nicht wütend“ – Das musste ich mir oft anhören. Doch, ich bin wütend, denke ich. Oder?! Was macht mich wütend? Ich kann wütend sein, aber ich mag es nicht. Doch für die Schauspielübungen wollte ich es natürlich versuchen. Doch etwas schien mich zu blockieren.
Irgendwann war ich mir nicht sicher, ob ich einfach kein wütender Mensch bin, oder ob ich vielleicht unterbewusst Angst davor habe, was passiert, wenn die Wut erstmal über mich hereinbricht.
Nach sehr vielen Übungen, Selbstreflexion und psychologischer Arbeit habe ich mittlerweile einen Zugang zu meiner Wut gefunden. Doch das war und ist oft immer noch nicht leicht. All die unterdrückte Wut, die sich über die Jahre gesammelt hat, hat sich in meinem Körper festgesetzt. Und nun bedeutet es viel Arbeit, das wieder aufzulösen.
Könnte ich meinem jüngeren Ich etwas sagen, dann wäre es: Sei wütend! Lass dir nicht alles gefallen. Du hast jedes Recht darauf, wütend zu sein. Du musst die Harmonie nicht wahren, um gut zu sein, um liebeswert zu sein. Und für dich und deine Werte einzustehen und deine Wut gegenüber Ungerechtigkeiten zu äußern, ist der größte Liebesbeweis, den du dir selbst machen kannst.
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Warum wir die weibliche Wut im Kampf gegen das Patriarchat brauchen
Seit ich der Wut einen neuen Stellenwert in meinem Leben gegeben habe, kann ich gar nicht glauben, wie lange ich auf sie verzichtet habe. Erst jetzt wird mir klar, wie wichtig sie ist, vor allem für uns Frauen.
Kürzlich habe ich ein Buch der Aktivistin Audre Lorde gelesen, die die Funktion der weiblichen Wut sehr gut beschreibt, wie ich finde. Denn sie ist nicht nur im Kampf gegen das Patriarchat, sondern auch im Kampf gegen Rassismus und jede Form der Diskriminierung wichtig und machtvoll.
„Aus der vielgestaltigen weiblichen Wut lässt sich eine Menge lernen, denn unsere Unterschiede verleihen uns Macht. Wut unter Gleichgesinnten ist Antrieb zum Wandel, nicht zum Zerwürfnis; durch das Unbehagen und das Verlustgefühl, das sie manchmal auslöst, entwickeln wir uns weiter.“ (Lorde: Sister Outsider, S. 23-24)
Ja, Wut ist mitunter nicht angenehm, aber notwendig. Wenn wir Missstände akzeptieren und unsere Wut runterschlucken, dann kann sich schließlich nichts verändern. Audre Lorde ist eine Frau, an der wir uns alle ein Vorbild nehmen können. Denn sie setzte sich mutig für sich und andere ein: „Meine Wut ist keine Ausrede für andere, sich ihren blinden Flecken nicht zu stellen, kein Grund, sich den Konsequenzen des eigenen Handelns zu entziehen.“
Lorde beschreibt ihre Erfahrungen mit ihrer Wut und kommt zu der Erkenntnis, dass die Wut ihr nur dann nicht weiterhelfen konnte, wenn sie unausgesprochen blieb und ermutigt andere Frauen, sich ihrer Wut zu stellen: „Frauen, die zur Angst erzogen wurden, fürchten oft, die Wut könnte sie vernichten.
Sie sind mit männlich geprägten Vorstellungen von Brutalität und Gewalt aufgewachsen und überzeugt, dass ihr Leben vom guten Willen patriarchalischer Macht abhängt; dass der Ärger anderer um jeden Preis verhindert werden muss, da er nichts als Schmerz bringt und immer eine Reaktion auf das eigene Verhalten ist; vielleicht waren sie böse Mädchen, haben den Erwartungen nicht entsprochen oder etwas getan, was sie nicht durften. Und wenn sie ihre Machtlosigkeit akzeptieren, kann Wut sie tatsächlich zerstören.“
Quellen
Lorde, Audre: Sister Outsider, btb Verlag, 2023.
Die Macht von unterdrückten Gefühlen: Wie sich innere Wut auf die psychische Gesundheit auswirken kann: https://www.oberbergkliniken.de/artikel/die-macht-von-unterdrueckten-gefuehlen-wie-sich-innere-wut-auf-die-psychische-gesundheit-auswirken-kann (zuletzt aufgerufen am 11.09.2024)
Artikelbild und Social Media: FilippoBacci/iStock