Horror nach der Geburt

Husband Stitch: Frauenverachtender Trend oder Mythos?

Frauenverachtung pur: Beim „Husband Stitch“ sollen Ärzte die Mutter nach der Geburt enger zunähen, um den Mann glücklich zu machen. Für die Frau bedeutet das vor allem Schmerzen. Was du über den sogenannten Husband Stitch wissen musst.

Video Platzhalter

'Na, soll ich Sie für Ihren Mann ein bisschen enger zunähen?'

Was klingt wie ein schlechter Scherz, soll eine reale Praktik sein. Immer wieder berichten Frauen über Probleme nach der Geburt, Schmerzen beim Sex, schlecht verheilenden Wunden. Trotzdem sind die Details einer Entbindung noch immer ein Tabu-Thema – weshalb viele Frauen von makabren Techniken wie dem „Husband Stitch“ bzw. "Gentleman's Stitch" noch nie gehört haben.

Husband Stitch – was ist das überhaupt?

Der Husband Stitch (in etwa "Stich für den Ehemann"), auch Daddy Stitch genannt, soll folgendes Phänomen beschreiben: Ärzte nähen die Mutter nach der Entbindung bewusst etwas enger – diese extra Naht ist der Husband/Daddy/Gentleman's Stitch. Erstmals in einem sogenannten Fachbuch erwähnt wurde die Praktik im ausgehenden 19. Jahrhundert - einer Zeit, in der die Frau nicht viel mehr war als die Hausfrau zu Willen des Mannes. Selbstbestimmung war noch ein Fremdwort. Angeblich soll die Praxis vorrangig in den USA aber erst ab den 1950ern vermehrt durchgeführt worden sein, wie auf  Fachseiten wie "MedicineNet" zu lesen ist.

Die Praktik soll den Beschreibungen zufolge entweder in Absprache mit dem Vater oder ganz ohne Einwilligung geschehen. Man weiß kaum, welche Variante schlimmer ist: Ein Mann, der seine Frau als Sex-Objekt bitte etwas zugenähter hätte, damit er beim Geschlechtsverkehr durch eine engere Vagina ein "besseres Erlebnis" hat oder ein (meist) männlicher Gynäkologe, der meint, er würde dem Vater einen Gefallen tun.

Wie uns Eva Placzek, Hebamme und Autorin des Buches "Ich, Hebamme, Mittäterin: Mein Einsatz gegen Gewalt im Kreißsaal und für eine sichere Geburtshilfe" (erscheint am 27.02.2024) im Interview erklärt, müsse "man natürlich betonen, dass es keine Praktik ist, welche gelehrt wird, oder generell in irgendeiner Form anerkannt ist. Der „Husband Stitch“ wird noch vereinzelt von wenigen Ärzt:innen durchgeführt." und weiter "Ich spreche explizit von Ärzt:innen, da in der klinischen Geburtshilfe üblicherweise nur Ärzt:innen Geburtsverletzungen versorgen, auch wenn Hebammen ebenfalls kleinere Verletzungen versorgen und vernähen können und dürfen. Auch wenn man es nicht denken mag, kommt es auch heutzutage immer noch vor. Zum Glück jedoch nicht häufig."

Wie Placzek weiter erzählt, habe sie "in ihrem Betreuungskreis in den vergangenen zwei Jahren 3 Fälle gehabt, in denen es zu einem „Husband Stitch“ gekommen ist, einer davon mit der Aussage `Ich nähe sie noch etwas enger, damit ihr Mann auch wieder Spaß hat.´ Auch wenn das nun selten klingt, spricht es dafür, dass diese Fachkräfte in jeglichen Bereichen der Geburtshilfe unethisch handeln. Schlecht versorgte Geburtsverletzungen, also schlecht vernähte Verletzungen, sind tatsächlich deutlich häufiger, aber auch hier gibt es leider keine Statistiken." 

Nach der Entbindung ist das Nähen an sich in gewissen Fällen normal: ein Dammriss ist Folge der Dehnung, die durch den Kopf des Babys entsteht. Ein Dammschnitt hingegen wird durch den Arzt*die Ärztin bewusst gemacht, um die natürliche Geburt zu unterstützen. Der Damm befindet sich zwischen Vagina und After. Der Riss verheilt allerdings oft von selbst sehr gut oder muss bei kleinen Verletzungen nur minimal genäht werden. Der Husband Stitch geht jedoch über diese normale Prozedur hinaus und besteht aus einer oder mehreren Stichen (engl. stitch = Stich) extra.

Der Husband Stitch: Mythos oder Fakt?

Nun handelt es sich beim Husband Stitch zum Teil um einen waschechten Mythos. Nicht, dass der Riss am Damm weiter zugenäht wird, sondern der Vorteil, der für den Ehemann (engl. husband) entstehen soll. Hier hat sich das ganze Thema schnell auserzählt: Die Mär von der engen Vagina durch einen weiter als notwendig zugenähten Damm ist Quatsch und medizinisch völlig überflüssig. Es führt lediglich zu einer Vernarbung und dadurch Schmerzen beim Sex und weiteren Beschwerden, was nicht nur ein absoluter Nachteil für alle am Geschlechtsakt beteiligten Personen ist, für die Frau ist es zudem eine traumatische Erfahrung von Gewalt, die schlimme Folgen haben kann. Die Eltern haben also am Ende nichts davon.

Doch ob das Prozedere wirklich so stattfindet, ist etwas unklar. Zum einen ist die Praktik schwer belegbar und nicht wissenschaftlich erfasst, zum anderen erzählen viele Frauen - oft anonym - in Online-Foren von der traumatischen Erfahrung, die oft erst später deutlich werden soll. Insofern kann es gut sein, dass der Husband Stitch im Kreißsaal direkt nach der Geburt des Kindes kein Internetmythos ist oder war - andere Genitalverstümmelungen finden vielerorts auch statt, obwohl sie in weiten Teilen der Welt verboten ist.

Auch die erfahrene Hebamme Eva Placzek bestätigt uns: "Wie bei allem in der Geburtshilfe, ist es sehr schwer das [Husband Stitch] nachzuweisen, da vor Gericht vor allem die Dokumentation der Geburtshelfer:innen zählt und dort würde so etwas natürlich niemals dokumentiert werden. Die meisten Klagen, egal welche Form von Gewalt während der Geburt, wird in den meisten Fällen vom Gericht nicht einmal anerkannt. Generell kann man Ärzt:innen natürlich bei der zuständigen Ärztekammer melden." 

Letztlich ist es Fakt, dass sich eine Vagina nach der Geburt weiter anfühlen kann, doch Dr. med. Jen Gunter in "Die Vagina-Bibel" schreibt: "Wenn Sie nach der Entbindung das Gefühl haben, dass Ihre Vagina sich irgendwie lockerer anfühlt, dann sollte das mit Beckenbodenübungen im Rahmen einer Physiotherapie angegangen werden, nicht jedoch mit einer OP." (Gunter: Die Vagina-Bibel, S. 237) Natürlich kann als letzter Ausweg eine Scheidenstraffung durchgeführt werden, doch das hat mit der hier behandelten Form der Genitalverstümmelung nichts zu tun. Zwar ist es normal, dass eine Geburtswunde am Damm manchmal genäht werden muss, wenn sie nicht selbst heilt, aber alles darüber hinausgehende ist eine Körperverletzung mit oftmals schwerwiegenden Folgeschäden.

So problematisch & sinnlos ist der "Stich für den Ehemann" wirklich

Es lässt sich zusammenfassen, dass der Husband Stitch eine zutiefst misogyne Praktik ist, die nichts, aber auch gar nichts bringt. Denn wer sich mit der weiblichen Anatomie etwas mehr auseinandersetzt, wird wissen, dass mit einem enger genähten Scheideneingang nichts gewonnen ist. Der Beckenboden selbst wird dadurch nicht enger gemacht, sondern es führt zu weiteren Problemen.

Eine Folge einer überdehnten Beckenbodenmuskulatur kann zum Beispiel das umgangssprachlich sogenannte "Lost Penis Syndrom" sein, aber auch Infektionen und starke Schmerzen beim Sex können auftreten. Als wäre das nicht schon oft nach einer "normalen" Geburt der der Fall, wird alldem mit dem vollkommen sinnbefreiten Engernähen des Scheideneingangs also noch Vorschub geleistet. Ebenso möglich sind Nervenschmerzen und psychische Folgen wie die Angst, wieder den Schmerz durch das Eindringen des Partners zu spüren. Der Sex bleibt somit auf der Strecke.

"Die Folge von zu eng genähten Geburtsverletzungen sind Schmerzen in jeglichen Lebenssituationen, ob es während dem Geschlechtsverkehr, Selbstbefriedigung, Arztbesuchen, Nutzung von Periodenprodukten oder bei der nächsten Geburt. Wenn die Verletzungen einmal komplett verheilt sind, müsste unter Betäubung alles rekonstruiert werden, was die wenigsten Krankenkassen zahlen, da es meist als „ästhetischer“ Grund gesehen wird, was natürlich komplett falsch ist. Ich habe Frauen betreut, die jahrelang unter Schmerzen gelitten haben, weil bei jeder Penetration, das falsch genähte Gewebe, immer wieder eingerissen und geblutet hat. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Beziehung zu sich selbst, sondern natürlich auch auf die Partnerschaft.", so Eva Placzek.

Ein Mann, der seiner Partnerin so etwas bewusst antäte, denkt nicht nur zutiefst egoistisch, sondern auch hochgradig kurzsichtig und lässt zu, dass einer Frau Gewalt angetan wird wegen seinem "Ding". Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass die Geburt für die Mama auch der Start in ein neues Leben für das Kind ist. Wer so selbstsüchtig ist, sollte es sich mit dem Kinderwunsch nochmal überlegen. Ebenso sollten Ärzt*innen, die den Husband Stitch praktizieren, nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten und Kinder auf die Welt bringen.

Frauen berichten von ihren Erfahrungen mit dem Daddy Stitch

Lange galt der Husband Stitch als Mythos oder Witz. Doch mittlerweile berichten immer mehr Frauen im Internet von ihren Erfahrungen. Sie klagen über verzweifelte Schmerzen bei dem Versuch, nach der Geburt wieder Sex zu haben:

„Eines Nachts versuchten mein Mann und ich Sex zu haben, er konnte aber nicht eindringen, ich hatte das Gefühl zu zerreißen. Danach ging ich ins Bad und schaute zum ersten Mal zwischen meine Beine und bemerkte eine zusätzliche Naht. Wie bitte?! Ich habe Angst, je wieder Sex zu haben und weiß nicht, was ich tun soll.“

Ich hörte, wie der Arzt meinem Mann sagte, er würde mir einen Husband Stitch verpassen. Erst später fand ich heraus, dass das bedeutet, die Vagina enger zu nähen, so dass es sich nicht ausgeleiert anfühlt. Das Problem war, dass es so eng war, dass es richtig wehtat!

„Ich kann einfach nicht glauben, dass sie das gemacht haben, ohne mich überhaupt zu fragen. Es fühlt sich an als würde es nie wieder heilen und ich nie wieder Sex genießen können.“

„Nach einem Jahr schmerzhaftem Sex stellte sich heraus, dass mein Arzt freundlicher- oder nicht so freundlicherweise den „Daddy Stitch“ gemacht hat. Ich kann keine Tampons mehr benutzen, ohne wund zu werden, das Entfernen ist wirklich schmerhaft, genauso wie die Schmerzen beim Sex. […] Das ist ohne mein Einverständnis passiert.“

„Die Ärztin sagte ‚Sie bräuchten zwar nur einen Stich, aber ich mache mal zwei, nur für den Fall…*zwinkernd*‘. Ich dachte, es wäre für meine Sicherheit. Doch dann gingen die Schmerzen nach der Geburt nie weg. Erst nach meiner zweiten Geburt war ich nach einiger Zeit wieder schmerzfrei.“

In Foren trauen sich Frauen auszusprechen, was gesagt werden muss. Denn offensichtlich handelt es sich bei dem Husband Stitch nicht um einen Mythos, sondern eine Realität, über die nicht länger geschwiegen werden sollte.

„Wir brauchen so viel mehr Forschung in weiblichen Thematiken!“
Eva Placzek, Hebamme

Das Fazit von Dr. med. Martina Lenzen-Schulte zum Thema Geburtsschäden in ihrem Buch "Untenrum offen - Der Beckenboden nach der Geburt": "Bei der Frage, warum Frauen so unzureichend vor Beckenbodenschäden bewahrt und so unzureichend versorgt werden, wenn sie verletzt worden sind, geht es folglich nicht allein um medizinisch-fachliche Probleme. Es geht um Machtverlust im Kreißsaal, es geht um die Deutungshoheit über eine der elementarsten Erfahrungen im Leben einer Frau [...]" (Lenzen-Schulte: Untenrum offen - Der Beckenboden nach der Geburt, S. 235)

"Der Husband Stitch ist nichts was man jeden Tag finden wird, aber es passiert, auch wenn es kaum jemand zugeben wird. Er ist jedoch nur ein kleiner Teil eines viel größeren Problems. Die schlechte Versorgung von Geburtsverletzungen ist dabei ein viel größeres und traumatisches Problem. Was leider viel häufiger passiert, ist das Nähen ohne oder mit nicht ausreichender Betäubung. Es sind extreme Schmerzen, die eine Frau bezüglich Intimität langfristig traumatisieren können.", bestätigt auch Eva Placzek.

Gute Lesetipps & Quellen

Quellen