Umweltschutz

Nachhaltigkeit: Worauf es wirklich ankommt

Michael Braungart im Interview über Cradle to Cradle - das Designkonzept, das die Erde retten kann und warum klimapositiv zählt.

 Müllhalde mit einer Stadt im Hintergrund (Themenbild)
Klimaneutral ist nicht genug - Im Interview erklärt Prof. Dr. Braungart, warum wir klimapositiv sein sollten Foto: iStock/ArtMarie
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Ob es sich um Produkte und deren Prozesse oder um das Verhalten jedes Einzelnen handelt - das Ziel ist Klimaneutralität. Doch ist klimaneutrales Wirtschaften wirklich die Lösung oder ist es dafür schon zu spät? Das fragen wir den Experten Prof. Dr. Michael Braungart. Er ist Professor für Öko-Design an der Leuphana Universität in Lüneburg und einer der Gründer des Designkonzepts Cradle to Cradle (C2C).

Für ihn ist es wichtig, dass die Dinge nicht nur weniger schlecht, sondern gut sind. Das C2C-Kreislaufsystem ist so konzipiert, dass aus Abfall Nährstoffe werden und die Menschen ohne Verzicht leben können. Denn laut Prof. Michael Braungart verschiebt die herkömmliche "Reuse-Reduce-Recycle"-Strategie den Kipppunkt nur in die Zukunft. Damit ist der Zeitpunkt gemeint, ab dem unsere Ressourcen aufgebraucht sind und nur noch Abfall übrig bleibt.

Cradle to Cradle Designkonzept Grafik
Foto: Wunderweib

Wunderweib.de: Professor Braungart, was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?

Prof. Dr. Braungart: Hierbei unterscheide ich zwischen Biosphäre und Technosphäre. Nachhaltigkeit bedeutet für die Biosphäre, alle Lebewesen zu erhalten. Ich möchte, dass es auch noch in 100, 500 und 5.000 Jahren Eichen, Buchen und Birken gibt oder Löwen, Tiger und Nilpferde.

Für die Technosphäre, also alles vom Menschen künstlich hergestellte, ist die Nachhaltigkeit ein Schaden, weil sie das Bestehende nur optimiert. Bei nachhaltigen Produkten geht es mir um ein umfassendes Qualitätsverständnis. Ein Produkt, was zu Abfall wird, hat einfach nur einen Qualitätsmangel.

Warum ist Nachhaltigkeit nicht für alles die richtige Lösung?

Nachhaltigkeitsbeauftragte in den Firmen sind meine größten Feinde. Denn sie sind ein Teil der Kommunikationsabteilung und nicht der Innovationsabteilung. Sie machen die Plastiktüte um 5% leichter, erhöhen aber die Materialzusammensetzung. Anstatt sich zu fragen: warum brauchen wir überhaupt Plastiktüten?

Dadurch, dass das Bestehende optimiert wird, muss alles, was neu ist, mit hoch optimierten, falschen Systemen konkurrieren. Sie machen das Falsche perfekt.

Wie meinen Sie das?

Die Materialzusammensetzung ist das Problem. Es gibt noch keine ausgereiften Technologien, die das Mischmaterial auflösen können, um es wiederzuverwenden.

„Wenn wir nichts ändern, wird für Zerstörung und Reparatur zu viel gezahlt, sodass wir nichts Neues mehr machen können.“
Prof. Dr. Michael Braungart

Warum genügt Klimaneutralität nicht?

Wenn wir die Dinge nur weniger schlecht, aber nicht gut machen, verschiebt sich der Zeitpunkt, an dem nur noch Abfälle übrig sind und alle Ressourcen verbraucht sind. Wenn wir nichts ändern, wird für Zerstörung und Reparatur zu viel gezahlt, sodass wir nichts Neues mehr machen können.

Ist Recycling, wie wir es kennen keine Lösung, sondern nur eine Lüge?

Wenn Produkte und deren Prozesse nicht für Recycling entwickelt worden sind, ist es kein Recycling, sondern Downcycling. Durch den Recyclingprozess verliert das Produkt an Qualität und hat nicht mehr den gleichen Wert wie zu Beginn. Es ist noch nie ein Auto zum Auto gemacht worden! Es wäre wichtiger ein Upcycling zu machen. Bedeutet, die Vorteile des Produkts zu behalten und das Gesamtprodukt so aufzuwerten, dass es zukünftig kreislauffähig ist.

In Kambodscha, Vietnam, liegt überall deutscher Verpackungsmüll herum. Es wird behauptet, es wurde recycelt, aber es wurde nach Kambodscha exportiert. Es ist also kein Recycling. Es ist eine gigantische Lüge.

Warum ist es für Unternehmen einfacher, Nachhaltigkeit nur vorzutäuschen?

'Facts are facts, but perception is reality', sagte schon Einstein. Wenn ich Tatsachen nicht ändern kann, dann verändere ich die Wahrnehmung der Tatsachen. Also: Wahrnehmung ändern, anstatt Realität ändern – Dadurch ist es dann die neue Realität.

Können sich alle Wirtschaftssektoren mit dem Cradle-to-Cradle Konzept zu einem nachhaltigen Kreislaufsystem entwickeln?

Ja, ohne Grenzen. Gebrauchsgüter, also Dinge wie Fernseher, Waschmaschinen oder Autos gehören im C2C-Konzept der Technosphäre an. Also Dinge, die nur genutzt werden, aber nicht verschleißen. Im biologischen Kreislauf sind Verbrauchsgüter, also Dinge wie Bekleidung, Shampoo oder Autoreifen. Diese werden aus natürlichen Materialien gefertigt – so entstehen keine Abfälle, sondern neue Rohstoffe. Die Technosphäre sowie die Biosphäre sind funktionierende Kreisläufe, die die Umwelt positiv beeinflussen und in denen Menschen ohne Verzicht leben können. 

Zur Person

Prof. Dr. Michael Braungart ist Gründer und wissenschaftlicher Geschäftsführer von BRAUNGART EPEA, einem internationalen Umweltforschungs- und Beratungsinstitut. Er ist Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter von McDonough Braungart Design Chemistry (MBDC), Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts e.V. (HUI) und Leiter von Braungart Consulting in Hamburg.