Enttarne die Masche

Strategische Inkompetenz in der Beziehung: Stellt er*sie sich mit Absicht dumm?

Wie du die Verhaltensweise entlarvst und was du gegen strategische Inkompetenz in der Beziehung tun kannst.

Strategische Inkompetenz in der Beziehung: Stellt er*sie sich mit Absicht dumm?
Foto: skynesher/iStock
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"Sich fünf Minuten dumm stellen erspart einem oft einen Haufen Arbeit" dieses allseits bekannte Sprichwort beschreibt recht gut die Verhaltensweise, die hinter dem Begriff "strategische Inkompetenz" steckt. Erfahre mehr über das Phänomen, an welchen Anzeichen du strategische Inkompetenz in deiner Beziehung erkennst und was du tun kannst, um das Problem zu lösen.

Was bedeutet strategische Inkompetenz?

Kurz und knapp ist mit strategischer Inkompetenz gemeint, dass eine Person sich mit Absicht blöd anstellt oder ein To-Do schlecht erledigt, damit es ihr abgenommen wird. Die Folge daraus: Eine ungerechte Arbeitsteilung.

Zwar ist das Verhaltensmuster nichts Neues, doch der Begriff dafür, die "strategische Inkompetenz" (engl. strategic incompetence), wurde erst später so richtig bekannt. Und das eher im Umfeld der Businesswelt.

So beschrieb der Journalist Jared Sandberg im Jahr 2007 in seinem Artikel "The Art of Showing Pure Incompetence At an Unwanted Task" (deu. Die Kunst bei einer unerwünschten Aufgabe, Inkompetenz zu zeigen) im Wallstreet Journal, mit "strategischer Inkompetenz" das Verhalten einiger Mitarbeitender großer Unternehmen. Eine Art Vermeidungs-Taktik:

Um sich vor lästigen, vermeintlich 'unwichtigen' Aufgaben zu drücken, tun die Mitarbeitenden einfach so, als wären sie unfähig, diese zu erledigen.

Eine Firmenfeier soll geplant, eine lange Excel-Tabelle soll erstellt oder neuer Kaffee gekocht werden: Die Inkompetenz-Taktik wurde in erster Linie bei solchen Aufgaben angewendet, die keine berufsbezogenen Fähigkeiten erfordern.

Auf diese Weise konnten die strategisch Inkompetenten die 'nervigen' Dinge oder die Dinge, auf die sie eben keine Lust haben, an andere abgeben. Und das, ohne dies offen zugeben oder gar fürchten zu müssen, dass deswegen ihre beruflichen Kompetenzen in Frage gestellt werden. Win-win, oder?

Die Mitarbeitenden stellten sich also absichtlich blöd an oder suchten Ausreden, um die Arbeit auf andere Kolleg*innen abzuwälzen. Ganz mit dem bewussten Ziel vor Augen, dass die Arbeit ihnen kurz- oder langfristig komplett erspart bleibt. Natürlich zum Leidwesen ihrer Kolleg*innen.

Strategische Inkompetenz: Unfähigkeit als Waffe einsetzen

Während der Wallstreet-Artikel sich mit strategischer Inkompetenz im Berufsleben beschäftigt und das Verhalten fast schon als clever bezeichnet, wird das "Sich-absichtlich-dummstellen" heutzutage kritischer gesehen.

Übrigens: Die Frage, ob die hinterhältige Masche sich auf Dauer im Job-Alltag bewährt, lassen wir mal so dahingestellt...

So etablierte sich auf Social Media Plattformen seit dem Jahr 2022 die weitaus negativere Bezeichnung "Weaponized Incompetence" zu deutsch in etwa "als Waffe eingesetzte Unfähigkeit".

Schließlich findet die Person es ja nicht wirklich zu schwierig im Büro die Geburtstagskarte zu organisieren oder die Spülmaschine einzuräumen. Vielmehr noch, erhoffen sich die Strategen sogar mit dem Aufschieben und schlecht Erledigen von To-Dos, dass ihre Arbeit übernommen wird.

Meistens bedienen sich die angeblich Unfähigen dabei an scheinbaren Komplimenten wie

  • "Du machst das viel besser als ich, könntest du nicht übernehmen?"

  • "Das geht viel schneller, wenn du das erledigst"

  • "Ich bin so schlecht darin, würdest du das machen?"

Was zunächst nach Lob klingt, gehört aber zur Taktik.

Hinzu kommt, dass solche Denk- und Verhaltensmuster uns ja nicht nur in der Arbeitswelt begegnen und vor den eigenen vier Wänden Halt machen.

So beschreibt die "Psychology Today", dass diese Art von Manipulation des Gegenübers sich auch in vielen Familien, Paarbeziehungen und Freundschaften vorfinden lässt. Ob sich der angeblich Inkompetente ihrer*seiner Strategie unbewusst oder bewusst ist: die Konsequenz ihres*seines Verhaltens ist immer dieselbe, nämlich eine ungleiche Arbeitsbelastung.

Einen weiteren Aspekt des Problems bei der strategisch eingesetzten Inkompetenz kennen viele Paare: Das große Thema Haushalt und das Kümmern um Familie und gemeinsame Kinder. Die täglichen Aufgaben Zuhause und die sogenannte "Care-Arbeit", wie sie auf Neudeutsch heißt, ist sogar der häufigste Streitgrund für Paare.

Gerade in heterosexuellen Beziehungen lässt sich immer noch beobachten, dass Frau, meist neben dem eigenen Berufsalltag, auch Hauptverantwortliche für die "Care-Arbeit" ist:

Kochen, Wäsche waschen, Einkäufe erledigen, Kinderbetreuung, Familienorganisation und ähnliche Alltags-Aufgaben, die jede*r von Zuhause kennt, sind eine Doppelbelastung. Und noch herausfordernder, wenn die Arbeit, die eigentlich von der*dem Partner*in erledigt werden sollte, oben drauf kommt.

Das führt häufig zu Frustration, Wut und bringt selbstverständlich viel Streitpotenzial mit sich. Auch die mentale Belastung solltest du nicht außer Acht lassen, wenn du die täglichen To-Dos in deiner Beziehung alleine stemmst. Obwohl du dich eigentlich dabei auf dein*e Partner*in verlassen wolltest.

Strategische Inkompetenz "[...] ist eine passiv-aggressive Art, jemanden dazu zu bringen, etwas zu tun, das man einfach selbst nicht tun will. Mehrere Studien zeigen, dass "Weaponized Incompetence" eher ein männliches (erlerntes) Verhalten ist, das auf Rollenstereotypen zurückzuführen sein könnte.

Es wird einfach erwartet, dass Frauen die 'Care'-Rolle und die Verantwortung übernehmen oder die Rolle wird ihnen automatisch zugesprochen, auch wenn dies eigentlich gemeinsam besprochen werden sollte" so der Beziehungscoach John Kenny in der britischen "Glamour" über das Verhaltensmuster.

Leider ist immer noch in vielen Köpfen die Vorstellung tief verankert, dass Frauen 'von Geburt' oder 'Natur' aus besser in allen häuslichen Angelegenheiten seien. Gerade diese sexistische Denkweise führt zu einem negativen Beiklang, wenn die Rede von strategischer Inkompetenz in der Beziehung ist.

Das Pflichtgefühl und die Verantwortung ist dir manchmal lästig, trotzdem willst du es allen recht machen. Wenn dir das alles bekannt vorkommt, bist du vermutlich vom sogenannten "Älteste Tochter Syndrom" betroffen. Lies in diesem Artikel, was es damit auf sich hat

So enttarnst du strategische Inkompetenz in Beziehungen

Bevor wir auf die verschiedenen Beispiele der stratgeischen Inkompetenz eingehen, ist es wichtig zu sagen, dass ein gewisses "sich unfähig stellen", um bestimmten unliebsamen Aufgaben zu entgehen, relativ 'normal` ist.

Problematisch wird es zum einen, wenn du darunter leidest und es dich überbelastet. Zum anderen, wenn sie*er dich absichtlich manipuliert und ausnutzt.

Denn das kann ein Warnsignal dafür sein, dass du dich in einer ungesunden Beziehung befindest. Lies hier mehr über die toxische Beziehung und wie du dich befreien kannst.

Im Magazin theSkimm erklärt Nadine Shaanta Murshid, Sozialwissenschaftlerin an der University at Buffalo in New York, strategische Inkompetenz, indem sie Beispiele für vier verschiedenen Lebensbereiche bzw. Beziehungsdynamiken gibt.

Hast du das Gefühl, dass in deiner Partnerschaft, Freundschaft, Elternschaft oder deinem Job die Taktik bei dir eingesetzt wird, kannst du auf folgende Anzeichen achten, die dir helfen das herauszufinden:

Strategische Inkompetenz in der Paarbeziehung

Wenn dein*e Partner*in jedes Mal, wenn sie*er an der Reihe mit einer häuslichen Pflicht wäre, diese zum Beispiel so lange aufschiebt, dass du dir denkst "Na dann mach' ich das eben selbst". Ein anderes typisches Beispiel ist, das Aussuchen bzw. Besorgen von Geschenken für die Familie. Fallen jedes Mal Sätze wie "Du kannst das ja so viel besser als ich, machst du das?"

Strategische Inkompetenz in der Elternschaft

Das Elternteil, das eigentlich mit der Kinderbetreuung dran wäre, beschäftigt sich nicht mit Sohn oder Tochter oder schiebt das Windeln wechseln auf. Ein weiteres Beispiel wäre ein Satz wie: "Ich habe Angst beim Windeln wechseln etwas falsch zu machen." Sodass du dich in Zugzwang siehst das für dein*e Partner*in zu übernehmen.

Strategische Inkompetenz in Freundschaften

Wenn du in deiner Freundesgruppe immer die*derjenige bist, die*der sich um das nächste Treffen kümmert oder für andere Organisation verantwortlich ist, während die anderen sich nie an der Planung beteiligen und sich zurücklehnen.

Strategische Inkompetenz im Beruf

Glaubst du, du bist von der Taktik in deinem Job betroffen, solltest du darauf achten, ob es immer du bist, von dem*der automatisch erwartet wird, dass du Konflikte schlichtest, die Büroküche aufräumst oder dich um das nächste Teamtreffen kümmerst.

Auch Sätze wie "Wie haben wir das Teamtreffen denn früher organisiert?" könnten ein Hinweis darauf sein, dass Kolleg*innen nicht wirklich überfordert sind, sondern sich die Aufgabe ersparen wollen.

Welches Wort die perfekte Beziehung enttarnt, erfährst du im Video:

Video Platzhalter
Video: Glutamat

Ursachen für das Verhalten

Expert*innen zufolge ist ein gewisses Maß an strategischer Inkompetenz ganz 'normal'. Auch wenn es sich um einen Einzelfall handelt, dir das Verhalten also nur hin und wieder auffällt, kann noch nicht von strategischer Inkompetenz oder "Weaponized Incompetence" die Rede sein.

Der entscheidende Faktor ist immer die Häufigkeit und Regelmäßigkeit. Zu einem Red Flag wird das Verhalten erst, wenn es dich sehr belastet, du dich ausgenutzt fühlst oder es dich verletzt. Dann solltest du auf jeden Fall etwas unternehmen und dein*e Partner*in, deine Freund*innen oder deine*Kolleg*innen darauf ansprechen.

  • Oft entsteht das Verhalten nämlich gar nicht aus böswilliger Absicht. Wie Paartherapeutin Julia Henchen dem Magazin SWR3 gegenüber erklärt, liegt die Ursache für das Verhalten oft in der Kindheit. Erlernt wurde beispielsweise, dass dem Kind Aufgaben von den Eltern abgenommen werden, wenn es sagt, es würde sie nicht schaffen.

  • Henchen beschreibt noch eine weitere Möglichkeit: Die Person, die sich absichtlich unfähig stellt, könnte damit bei der*dem Partner*in Nähe schaffen wollen. Der*dem Partner*in sozusagen zu verstehen geben, dass sie*er von ihr*ihm gebraucht wird.

  • Eine andere Ursache hinter der Unfähigkeit mit System ist, dass in der Kindheit sexistische Rollenvorbilder von den Eltern vorgelebt wurden. Ob unbewusst oder bewusst, werden diese bis ins Erwachsenenalter dann mitgetragen.

Das kannst du gegen strategische Inkompetenz tun

Liegt die Verantwortung für alles Mögliche in deiner Beziehung ungewollt ganz bei dir und du möchtest diesen Umstand ändern, solltest du im ersten Schritt das Gespräch mit deiner*m Partner*in suchen.

Wichtig ist, dass du, das, was dich stört ruhig und klar kommunizierst und erklärst, wie es dir damit geht, ständig die Last alleine zu tragen.

Das am besten nicht in einem vorwurfsvollen Ton oder in Form von Anschuldigungen. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dafür dass du den Grund für das Verhalten deiner*deines Partner*in erfährst oder sie*er sogar einen Aha-Effekt erlebt. Genauso hilft es an eurer Paarkommunikation zu arbeiten oder euch Hilfe bei einer Paartherapie zu holen.

Ein ganz praktischer Tipp ist das Erstellen einer Liste mit den jeweiligen To-Dos. So visualisiert steht schnell fest, wer was und wieviel erledigt.