Verlustangst in Beziehungen: Symptome, Ursachen und wie du sie überwinden kannst
Die Angst, verlassen zu werden, kann es schwer machen, gesunde Beziehungen zu führen. Erfahre mehr über die Ursachen, Symptome und wie du Verlustangst überwinden kannst.

- Definition: Was bedeutet Verlustangst?
- Ursachen von Verlustangst: Woher kommt die Angst vor dem Verlassenwerden?
- Verlustängste: Symptome und ihre Auswirkungen
- Verlustangst in der Beziehung: Wenn die Angst vor der Trennung die Liebe sabotiert
- Partner*in mit Verlustangst helfen? Wie du dich verhalten kannst
- Verlustangst überwinden: Was Betroffene tun können
Beziehungen zu anderen Menschen können das Leben reich und wertvoll machen. Sei es eine Liebesbeziehung, Freundschaft oder die Beziehung zu einem Familienmitglied. Umso schmerzhafter ist es, wenn so eine Beziehung plötzlich wegbricht, eine Person dich verlässt oder ein Todesfall zu einem erschütternden Verlust führt.
Die Angst vor solch einem Verlust ist mehr als verständlich. Schließlich birgt jede Beziehung ein gewisses Risiko. Ob und wie lange ein Mensch Teil deines Lebens ist, kannst du nun mal nicht kontrollieren.
So ist Verlustangst bis zu einem gewissen Grad normal und nachvollziehbar. Doch wenn diese Angst dich lähmt und deine Beziehungen sabotiert, dann sollte etwas gegen sie unternommen werden.
Die psychologische Beraterin und Expertin für die Themen Verlustangst und Bindungsangst Ruth Westebbe-Pape verrät, was hinter Verlustängsten steckt, wie sie sich äußern und was du dagegen tun kannst.
Definition: Was bedeutet Verlustangst?
Die Angst davor, einen geliebten Menschen zu verlieren oder von einem*einer Partner*in verlassen oder abgelehnt zu werden – das steckt hinter dem Begriff Verlustangst. Laut der Expertin Ruth Westebbe-Pape entsteht sie häufig bereits in der Kindheit.
Verlustangst finde nicht nur in Partnerschaften statt. Auch in Freundschaften oder familiären Beziehungen könnten Betroffene unter Verlustangst leiden.
„Da die verlustängstlichen Personen ständig Angst haben, verlassen oder abgelehnt zu werden, neigen sie zu übermäßigem Kontrollverhalten, Eifersucht und Klammern“, sagt die Expertin.
Ursachen von Verlustangst: Woher kommt die Angst vor dem Verlassenwerden?
Laut der psychologischen Beraterin können Verlustängste unterschiedliche Ursachen haben, die ihren Ursprung jedoch häufig in der Kindheit hätten.
„Traumatische Erlebnisse, wie Missbrauch oder der Verlust einer Bezugsperson, können tiefe Spuren hinterlassen. Auch die Trennung der Eltern kann dabei eine Rolle spielen.“, weiß die Expertin. Wer solche Erfahrungen in der Kindheit gemacht habe, könne dann eine Angst vor zukünftigen, erneuten Verlusten entwickeln.
„Wenn Eltern unvorhersehbar oder inkonsistent in ihrem Verhalten waren, kann dies ebenfalls zu einem Gefühl von Unsicherheit bei Kindern beitragen. So lernen sie dann, dass Beziehungen nicht sicher sind und entwickeln Angst vor dem Verlassenwerden.“
Doch diese Ängste können sogar noch früher entstehen, wie Ruth Westebbe-Pape erklärt: „Gerade in den ersten Lebensmonaten spielt die Erfahrung mangelnder Geborgenheit und Sicherheit eine große Rolle. Im ersten Lebensjahr ist der Säugling der Mutter (bzw. den primären Bezugspersonen) mit seinen Bedürfnissen vollkommen ausgeliefert.
Wenn ein Kind die Erfahrung macht, dass diese Bezugsperson da ist, wenn es sie braucht - aber eben auch in Ruhe lässt, wenn es für sich sein möchte, wird sie automatisch zu einer sicheren Basis für das Kind und so erwirbt es Vertrauen in Beziehungen und eine sichere Bindung an seine Mutter.“
Ist das nicht der Fall, könne das Auswirkungen auf das Erwachsenenleben haben. Denn im besten Fall „erwirbt das Kind mit dieser sicheren Bindung das sogenannte Urvertrauen – das Gefühl, geliebt zu werden und in der Welt willkommen zu sein“, so Westebbe-Pape.
Das Urvertrauen spiele eine entscheidende Rolle im Erwachsenenalter. „Denn es entscheidet darüber, wie sehr wir uns angenommen fühlen und in der Lage sind, zu vertrauen.“
Jedoch könne auch das Gegenteil, nämlich überbehütende Eltern, zu Verlustängsten führen. „Durch ihre ständigen Sorgen und Kontrolle können sie das Gefühl vermitteln, dass die Welt gefährlich ist und das Kind ohne die Eltern hilflos ist.
Meine Klient*innen sind oft verwundert darüber, da sie den Zusammenhang zwischen ihren extrem behütenden Eltern und ihrer Verlustangst nicht sehen können.“
Eine Verlustangst könne aber auch im Erwachsenenalter entstehen. Ursachen seien zum Beispiel negative Beziehungserfahrungen: „Trennungen oder eine Scheidung können das Vertrauen in eine Beziehung schwächen.
Auch das Erleben von Untreue kann tiefe Verletzungen und Misstrauen verursachen, was die Angst vor erneutem Verlust nähren kann.“
Eine wichtige Rolle spiele außerdem das eigene Selbstvertrauen, wie Ruth Westebbe-Pape erklärt. „Menschen mit geringem Selbstwertgefühl neigen dazu, sich in Beziehungen unsicher zu fühlen und haben oft Angst, nicht ausreichend und liebenswert genug zu sein, um nicht verlassen zu werden.“
Persönlichkeitsmerkmale wie eine hohe Sensibilität oder Ängstlichkeit können ebenfalls eine Rolle bei der Anfälligkeit für Verlustangst spielen: „Nicht zu vergessen sind psychische Erkrankungen. Wenn man an einer Depression oder einer Angststörung leidet, können in diesem Zusammenhang auch Verlustängste auftreten.“
Mehr zum Thema: Vertrauen wieder aufbauen: Nach Lügen, Enttäuschungen oder Trennung

Expertin: Ruth Westebbe-Pape
Ruth Westebbe-Pape ist psychologische Beraterin mit Schwerpunkt im Bereich Beziehungen. Sie unterstützt Menschen mit Verlustängsten und Bindungsängsten und begleitet Personen bei Liebeskummer und Trennungen. Zudem bietet sie Paarberatung an. Auf ihrem Instagram Account Loesungsverliebt gibt sie Tipps zu den verschiedenen Themen. Eine Beratung kann vor Ort in Düsseldorf oder online stattfinden. Mehr Informationen
Verlustängste: Symptome und ihre Auswirkungen
Doch wie äußert sich Verlustangst eigentlich konkret? Ruth Westebbe-Pape beschreibt typische Symptome, die sie aus der Praxis kennt:
„Kontrolle und übermäßige Eifersucht sind typische Verhaltensweisen, die Menschen mit Verlustangst in Beziehungen zeigen. Der Grad der Eifersucht spiegelt in diesen Beziehungen nicht das Maß der Zuneigung zum*zur Partner*in, sondern den Grad der eigenen Unsicherheit und Angst wider.
Verlustängstliche suchen ständig nach Bestätigung und Nähe, um ihre Ängste in Schach zu halten und überfordern damit häufig ihre Partner*innen, die diesem extremen Nähe-Bedürfnis weder nachkommen können noch wollen.
Da Verlustangst auch mit Misstrauen einhergeht, deuten die Betroffenen jede kleine Veränderung und Distanzierung ihres*ihrer Partner*in als Zeichen dafür, nicht mehr genug geliebt und verlassen zu werden.
Sie zeigen häufig Schwierigkeiten, sich auf eine Beziehung wirklich einzulassen, da es ihnen schwerfällt, zu vertrauen.
Ähnlich wie bei bindungsängstlichen Menschen wechseln manche zwischen klammerndem Verhalten und plötzlichem Rückzug, um sich vor Verletzungen zu schützen. Das ist der Fall, da Verlustangst oft mit Bindungsangst einhergeht und Nähe auch immer die Gefahr, verlassen zu werden, birgt.
Eine große Angst vor dem Alleinsein und eine damit einhergehende Panik ist ebenfalls ein Symptom der Verlustangst. Betroffene berichten in Gesprächen oft davon, sich innerlich leer zu fühlen, sobald ihr*e Partner*in nicht anwesend ist.
Auch eine On-Off-Dynamik ist bei Verlustangst – ähnlich wie auch bei der Bindungsangst – zu beobachten. Denn auch Verlustängstliche können sich in Beziehungen eingeengt fühlen und versuchen dann durch Distanz und Rückzug ihre Autonomie zu wahren.
Was allerdings so gut wie immer in meiner Beratung deutlich wird, ist, dass diese Angst, verlassen zu werden, mit zu wenig Liebe und dem mangelnden Gefühl von Sicherheit in der Kindheit zu tun hat. Daher ist die Auseinandersetzung mit den eigenen inneren negativen Glaubenssätzen, die Arbeit mit dem inneren Kind und die Stärkung des Selbstwertes absolut entscheidend für die Überwindung dieser Angst.“
Verlustangst in der Beziehung: Wenn die Angst vor der Trennung die Liebe sabotiert
„Die mit der Verlustangst einhergehenden oben beschriebenen Symptome führen in Beziehungen zwangsläufig zu Spannungen und Konflikten, da der*die Partner*in sich durch das kontrollierende Verhalten, die übermäßige Eifersucht und Kontaktaufnahme erstickt und überfordert fühlen kann und sich dann distanziert“, weiß Ruth Westebbe-Pape.
Dadurch können sich die Verlustängste noch verstärken und die Betroffenen werden immer unsicherer: „Ich beobachte zudem bei meinen Klient*innen mit Verlustangst manchmal, dass sie ihre Beziehungen selbst sabotieren. Sie beenden die Beziehung lieber selbst, um nicht verlassen werden zu können, weil sie denken, diese Ablehnung nicht aushalten zu können.“
Eine weitere Dynamik kann die Anziehung zwischen bindungs- und verlustängstlichen Menschen sein, erklärt die Expertin: „Die Person mit Verlustangst sucht verzweifelt nach Nähe, um die große Angst vor dem Verlassenwerden zu beruhigen. Der*die Bindungsängstliche empfindet jedoch zu viel Nähe als Bedrohung der eigenen Autonomie und zieht sich immer mehr zurück, je mehr Nähe der*die andere sucht. Damit entsteht ein Teufelskreis und die Ängste beider Partner*innen werden verstärkt.“
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Gleichzeitig könne diese Dynamik zu einem intensiven, aber instabilen Beziehungsgefühl führen. „Wenn ich mit meinen Klient*innen arbeite, wird häufig deutlich, dass sie unbewusst die Hoffnung haben, der*die Partner*in könne die eigenen Verletzungen heilen.
So hoffen die verlustängstlichen Personen darauf, bei ihrem*ihrer Partner*in die ersehnte Sicherheit zu finden, die sie in der Kindheit nie hatten - und die Bindungsängstlichen hoffen, durch die Liebe des Partners*der Partnerin ihre Angst vor Nähe endlich überwinden zu können“, erklärt die Expertin.
Letztendlich sei diese Hoffnung jedoch unrealistisch und führe zu großen Enttäuschungen, da beide Partner*innen erst ihre eigenen ungelösten Themen bearbeiten müssten.
„Es ist mir jedoch sehr wichtig zu betonen, dass diese Anziehung fast immer unbewusst abläuft. Erst wenn man an der Heilung der zugrunde liegenden Verletzungen arbeitet und sich der eigenen Anteile und Muster bewusst wird, kann man aus einer solchen Dynamik aussteigen, weil die unbewusste Anziehung dann nicht mehr so stattfindet.“
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Partner*in mit Verlustangst helfen? Wie du dich verhalten kannst
Wenn du in einer Beziehung mit einer verlustängstlichen Person bist, kann dich das schnell an deine eigenen Grenzen bringen. Vielleicht fragst du dich, wie du dich verhalten sollst oder deinem*deiner Partner*in helfen kannst. Das Wichtigste ist laut Expertin, die Ängste des Partners*der Partnerin ernst zu nehmen und zu versuchen, sie zu verstehen.
„Auch wenn diese Ängste nicht rational sind und übertrieben scheinen, sollte ihm*ihr nicht unterstellt werden, zu übertreiben oder viel zu empfindlich zu sein. Damit es dem*der verlustängstlichen Partner*in etwas leichter fällt, zu vertrauen, rate ich meinen Klienten*innen dazu, sich sehr verlässlich an Vereinbarungen zu halten und dem*der Partner*in durch Gesten und Worte zu vermitteln, dass er*sie sich sicher fühlen kann.“
Diese Tipps der Expertin können außerdem im Umgang mit dem*der verlustängstlichen Partner*in helfen:
Gemeinsame Aktivitäten können das Vertrauen und die Bindung festigen.
Ehrliche und klare Kommunikation: Es sollte offen über die Ängste gesprochen werden und auch darüber, was der*die Verlustängstliche braucht, um sich sicherer zu fühlen.
Der*die Partner*in sollte sich im Klaren darüber sein, dass er*sie nicht dafür verantwortlich ist, die Verlustangst zu heilen. Er*sie kann unterstützend zur Seite stehen, aber der*die Verlustängstliche muss an der Angst arbeiten und sich ggfs. professionelle Unterstützung suchen, wenn die Beziehung aufgrund dieser Thematik zu sehr belastet ist.
Die eigenen Grenzen und Bedürfnisse nicht vergessen: Es ist wichtig, dass der*die Partner*in Grenzen setzt und übermäßiges Kontrollverhalten oder extreme Eifersucht nicht einfach toleriert.
„Häufig kommen Paare, in denen eine*r eine Verlustangstthematik mitbringt, auch zu mir in die Paarberatung und wir schauen uns gemeinsam an, welche Dynamik in der Beziehung herrscht, und erarbeiten Strategien zur Bewältigung der Angst und finden Lösungen, damit sich beide Partner*innen in der Beziehung verstanden und gesehen fühlen.“
Verlustangst überwinden: Was Betroffene tun können
Da Verlustangst häufig auf Verletzungen in der Kindheit zurückzuführen ist, sei die Arbeit mit den verletzen inneren Anteilen besonders wichtig, so die psychologische Beraterin.
„Die Arbeit mit dem ‚inneren Kind‘ ist hier hilfreich, denn dieses repräsentiert alle Erfahrungen, die wir in unserer Kindheit gemacht haben, sowohl negative als auch positive. In meiner Beratung setzen wir uns mit den verletzen Anteilen des*der Klient*inauseinander, er*sie lernt, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und sich selbst die Liebe und Sicherheit zu geben, die ihm*ihr in der Kindheit gefehlt haben.“
Neben dem „inneren Kind“ gebe es jedoch auch den erwachsenen Anteil ins uns, der für rationale Entscheidungen und Selbstfürsorge steht. Dieser Anteil werde gestärkt, indem der*die Verlustängstliche sich deutlich macht, dass er*sie heute erwachsen und in der Lage ist, auch allein zu überleben.
„Denn die Ängste, die mir Menschen mit Verlustangst schildern, sind vergleichbar mit denen aus der Kindheit – so übermächtig und extrem fühlen sie sich an. Jetzt würde er*sie – anders als früher, als er*sie existenziell von der Bindung der Bezugspersonen abhängig war, einen Verlust überleben.“
Diese Erkenntnis sei extrem hilfreich, damit er*sie sich von den irrationalen Ängsten des „inneren Kindes“ distanzieren könne.
Verlustangst sei oft auch mit einem geringen Selbstwertgefühl verbunden. Es sei wichtig, negative Glaubenssätze über sich selbst zu hinterfragen und durch positive, realistischere zu ersetzen.
„Auch neue Hobbys, Freundschaften und Interessen können das Selbstwertgefühl stärken – daher kann es helfen, die Betroffenen immer wieder zu ermutigen, sich außerhalb der Beziehung für etwas zu interessieren“, rät Ruth Westebbe-Pape.
„Wichtig ist, dass der*die Verlustängstliche sich nicht für seine*ihre Ängste verurteilt und Geduld mit sich hat. Denn die irrationalen Ängste sind tief verwurzelt und lassen sich nicht in wenigen Tagen überwinden. Professionelle Hilfe kann sehr unterstützend sein, da sich Menschen mit Verlustangst häufig selbst gar nicht erklären können, warum sie diese Angst haben und woher sie kommt.
Ich stelle in meiner Beratung allerdings häufig fest, dass sichere Beziehungserfahrungen – also mit jemandem in einer Partnerschaft zu sein, der*die verlässlich und konstant ist, einen sehr großen Einfluss darauf hat, wie gut jemand mit der Verlustangst umgehen kann.“
Artikelbild und Social Media: zeljkosantrac/iStock